Wann ist welches Glockengeläut erlaubt?

Die Glocken und das Grundgesetz

In Leverkusen haben die Kirchenglocken geläutet, als Bayer 04 Deutscher Fußballmeister wurde. Ist das überhaupt erlaubt? Das Grundgesetz gewährt Glockengeläut im Rahmen der ungestörten Religionsausübung. Aber auch darüber hinaus?

Eine Glocke in einem Glockenstuhl / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine Glocke in einem Glockenstuhl / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Als Leverkusen am vergangenen Sonntag Deutscher Meister geworden ist, haben in der Stadt die Glocken fünf Minuten lang geläutet. Ist dieses Festgeläut erlaubt?

Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach (DR)
Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Jan Hendrik Stens (Glockenexperte und DOMRADIO.DE-Redakteur): Wo kein Kläger, da kein Richter. Wenn eine Stadt komplett in Freudentaumel verfällt, Autokorsos hupend durch die Straßen fahren, dann stört sich in dem Moment sicherlich auch keiner daran, dass dazu die Glocken läuten. Man wird aber sicherlich darüber diskutieren können, ob und wie sinnvoll es ist, Glocken zu nichtreligiösen Anlässen erklingen zu lassen. Aber Fußball hat für manche Leute dann doch auch wieder religiöse Züge. Einfach kann man das nicht voneinander trennen.

Jan Hendrik Stens

"Jegliches Glockengeläut, das religiös motiviert ist, wird vom Grundgesetz her geschützt."

DOMRADIO.DE: Es gibt für das Glockengeläut möglicherweise gesetzliche Regelungen. Wenn Leute neben einer Kirche wohnen und sagen, sie wollen sonntags ausschlafen und sich gegen das Glockengeläut wehren, kommen sie damit nicht durch. 

Stens: Sie sollten einfach nicht neben eine Kirche ziehen. Artikel 4 des Grundgesetzes gewährt die "ungestörte Religionsausübung". Das bedeutet, dass jegliches Glockengeläut, das religiös motiviert ist, vom Grundgesetz her geschützt wird. Dazu zählt das Läuten zu den Gottesdiensten, das tägliche Angelus- und Gebetsläuten, das Einläuten des Sonntags, der Hochfeste, wie aber auch das Gedächtnisläuten. Wir kennen es vom Kölner Dom, beispielsweise freitags um 15 Uhr zur Sterbestunde Jesu Christi.

Angelusglocke des Kölner Domes / © Jan Hendrik Stens (DR)
Angelusglocke des Kölner Domes / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Nicht geschützt ist hingegen der Uhrschlag, also wenn die Glocke mittels eines Schlaghammers angeschlagen wird. Dieser wird dann wie jede andere Geräuschimmission behandelt und unterliegt daher auch den gesetzlichen Ruhezeiten. 

DOMRADIO.DE: Wenn ich eine Kirchenuhr habe, die eigentlich um Mitternacht zwölfmal läutet, dann kann es schon sein, dass das nicht in Ordnung ist?

Stens: Man sagt dann auch nicht “läutet”, sondern es schlägt. Aber die Kirchturmuhr muss man nicht zwangsweise abstellen. Wenn sich keiner beschwert, erst recht nicht. Aber wenn sich jemand beschwert, kann man messen. Hier gibt es eine Dezibel-Grenze, die je nach Wohngebiet und Uhrzeit unterschiedlich ist. Das wird dann geprüft. Hier kommt es tatsächlich auf die gesetzliche Regelung an, aber davon nicht betroffen ist das liturgische Läuten.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn dann zum Beispiel mit Protestläuten aus? Also sagen wir einmal, neben so einer Kirche hält eine bestimmte Partei eine Kundgebung ab, die man für undemokratisch hält. Darf man aus Protest läuten? 

Stens: Hier handelt es sich nicht um liturgisches, sondern um politisch motiviertes Läuten. Da sollte man in der Tat sehr vorsichtig mit umgehen, mag die Motivation auch noch so edel sein. Hier können sich die Verantwortlichen durchaus dem Vorwurf aussetzen, die Religionsfreiheit für politische Zwecke zu missbrauchen. Andererseits gab es mit der sogenannten "Lumpensammler-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts von 1968 eine sehr weitgehende Definition, auch religionsneutrale Handlungen als Religionsausübung zu verstehen. Ich würde hier aber vor einer Beliebigkeit warnen, die irgendwie alles als religiös bezeichnet. Irgendwo gibt es natürlich auch Grenzen. 

Jan Hendrik Stens

"Das Läuten während der Corona-Pandemie oder auch das Friedensläuten zum Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie wichtig es ist, auch durch Glockengeläut den Menschen Trost zu spenden und Botschaften zu übermitteln."

DOMRADIO.DE: Worum ging es bei der "Lumpensammler-Entscheidung"?

Stens: Im konkreten Fall ging es um die Katholische Landjugendbewegung Deutschlands, die gebrauchte Kleidung, Lumpen und Altpapier gesammelt hat. Und das wurde von den Kanzeln aus beworben. Einem gewerblichen Lumpensammlerbetrieb ist dadurch der Umsatz eingebrochen und er hat dagegen geklagt. Durch dieses Urteil ist durch das Bundesverfassungsgericht eine soziale Aktion eben auch als religiöse Betätigung bewertet worden. 

DOMRADIO.DE: Die liturgischen Anlässe des Glockenläutens sind vom Grundgesetz her geschützt. Gibt es eine bestimmte Ordnung, wann genau jetzt was zu läuten hat? 

Stens: Das wird in der Tat sehr unterschiedlich gehandhabt und hängt natürlich auch von den Verantwortlichen in den Gemeinden ab, aber auch von der Leitungsebene der Diözesen und Landeskirchen. Es ist immer sinnvoll eine Läuteordnung zu haben, die die unterschiedlichen Anlässe klanglich hervorhebt und berücksichtigt. Auch aus juristischer Sicht ist es gut, weil die Gerichte im Streitfall danach fragen können. Einzelne Landeskirchen im evangelischen Bereich nehmen es daher mit den Läuteordnungen sehr genau.

Kirchturmuhr der evangelischen Kirche "Zum guten Hirten" in Berlin-Friedenau / © Michael von Aichberger  (shutterstock)
Kirchturmuhr der evangelischen Kirche "Zum guten Hirten" in Berlin-Friedenau / © Michael von Aichberger ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In einigen Kirchen finden kaum noch Gottesdienste statt. Verstummen denn da die Glocken und sind möglicherweise gar nicht mehr zu hören? 

Stens: Hier ist Kreativität gefragt. Es muss ja nicht nur dann läuten, wenn ein Gottesdienst stattfindet. Ich empfehle daher auch immer, Sonntage und Hochfeste am Vorabend einzuläuten. So ist man also unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Gottesdienste. Das Läuten während der Corona-Pandemie oder auch das Friedensläuten zum Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie wichtig es ist, auch durch Glockengeläut den Menschen Trost zu spenden und Botschaften zu übermitteln. Das ist der Auftrag des Glockenläutens und das ist zutiefst religiös.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Die größten Glocken Deutschlands

Es ist nicht ganz so einfach, von der "größten" Glocke zu sprechen, da nicht immer klar ist, welches Kriterium dafür das Maß angibt. Nimmt man den Durchmesser oder die Höhe oder das Gewicht?

Von allem abgesehen ist die 1923 gegossene Petersglocke des Kölner Domes die größte und auch schwerste Glocke in Deutschland. Unter den freischwingend läutbaren Glocken der Welt nimmt sie mit offiziell geschätzten 24 Tonnen Platz Nummer 2 ein, da sie von der großen, etwa eine Tonne schwereren, Glocke in Bukarest abgelöst worden ist.

Wurde am 5. Mai 1923 gegossen – die Petersglocke im Kölner Dom / © Harald Oppitz (KNA)
Wurde am 5. Mai 1923 gegossen – die Petersglocke im Kölner Dom / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR