"Vor meiner ersten Geburt hatte ich Respekt. Ich war mir nicht sicher, ob ich das alles sehen kann", erinnert sich Crescentia Hageböck. Im kommenden Jahr schließt die 22-Jährige das Studium der Hebammenwissenschaft an der Universität Bonn ab. Dass sie Frauen auf dem Weg der Geburt begleiten möchte, wusste sie schon lange. Als sie zwölf Jahre alte war, kam ihre jüngste Schwester zur Welt, die siebte in der Reihe. Hageböck: "Ich war alt genug, um die Schwangerschaft meiner Mutter mitzuerleben - die Besuche der Hebamme bei uns zu Hause und später die Nachsorge. Das hat mich fasziniert."
Theorie und Praxis im Dualen Hebammenstudium
Wer Hebamme werden möchte, musste früher eine berufliche Ausbildung absolvieren. Vor zehn Jahren wurde die Ausbildung jedoch akademisiert. So umfasst das duale Hebammenstudium heute laut dem Deutschen Hebammenverband (DHV) rund 2.200 Stunden Theorie- und genauso viele Praxisstunden. "Im praktischen Teil trainieren wir an Puppen und simulieren Geburten", erklärt Hageböck. Später geht es in die Klinik, wo Praktika in der Wochenbett- und Kinderstation und der Gynäkologie auf dem Plan stehen. Vor allem auch im Kreißsaal werden die Studentinnen eingesetzt.
Hageböck erinnert sich noch gut an ihre erste Geburt: "Das war ein ergreifender Moment, wenn das ungeborene Leben auf einmal sichtbar wird und die Eltern ihrem Kind zum ersten Mal in die Augen schauen." Bis heute bekomme sie bei jeder Geburt Gänsehaut.
Teilweise mehrere Geburten gleichzeitig
Doch nicht immer verläuft alles nach Plan. Stress und Hektik gehören zum Job dazu, denn auch in der Geburtshilfe herrscht Fachkräftemangel. Der Verband spricht von rund 700.000 Geburten pro Jahr in Deutschland. 98 Prozent der Frauen gebären im Krankenhaus. Hier sei jedoch kaum noch eine Eins-zu-eins-Betreuung möglich, so der DHV.
Das erlebt auch Hageböck regelmäßig: "In unterbesetzten Schichten kommt es vor, dass eine Hebamme mehrere Frauen gleichzeitig unter Geburt hat." Zusätzlich gefordert sind die Hebammen bei schwierigen Entbindungen, wenn es zu Komplikationen kommt. Auch dann müssen sie Sicherheit und Ruhe ausstrahlen, denn alles andere würde die angespannte Situation negativ beeinflussen. So gehört zum Studium immer auch die Psychologie dazu.
Ethik und Psychologie
"Eine Hebamme muss in einem engen Verhältnis zur Frau stehen. Vertrauen ist sehr wichtig", erklärt Frauke Storp. Sie ist Studiengangsleiterin am Institut für Hebammenwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. An der Universität Bonn hat sie auch Hageböck während des Studiums begleitet.
"In Seminaren wie 'Psychosoziale Belastungssituationen' versuchen wir, die Studentinnen auf die hohen Anforderungen des Jobs vorzubereiten", so Storp. Darüber hinaus spielt die Ethik eine zentrale Rolle im Studium. "Hebammen stehen in einem Konfliktfeld, was den Umgang mit ungeborenen Leben angeht. Dazu zählen auch die Problematik der Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche und die Spätabtreibung aufgrund von genetischen Untersuchungen."
Problemfeld Abtreibung
Für Hageböck sind Abtreibungen ein herausforderndes Thema. In der Geburtshilfe könne eine gute Pränataldiagnostik viele Leben retten. "Das ist Segen und Fluch zugleich. Nach der Diagnose Trisomie 21 kommen viele Familien zu uns ins Klinikum und wollen abtreiben", sagt sie. "Auch Abtreibungen nach ungewollten Schwangerschaften, wenn das Kind nicht geplant war, erleben wir häufig."
Solche sogenannten Fetozide erlebt sie mehrmals pro Woche in der Klinik. Jeder davon sei emotional. Die 22-Jährige, die praktizierende Katholikin ist, sieht sich in einem Gewissenskonflikt. Sie lehne Abtreibungen per se ab, außer es liege ein Notfall vor und das Leben der Mutter sei in Gefahr, erklärt sie. Heute gebe es viele Möglichkeiten, Unterstützung zu erhalten oder auch die Alternative, das Kind zur Adoption freizugeben.
Von der Seele reden
Bis nach der dreißigsten Schwangerschaftswoche habe sie bereits Spätabtreibungen erlebt. "Das Professionellste wäre sicher, die damit verbundenen Gefühle in der Klinik zu lassen. Aber das kann kaum jemand von uns", sagt Hageböck. Was ihr helfe, seien Gespräche mit Freunden. "Meist brauche ich gar keine Antwort, sondern muss mir die Erlebnisse von der Seele reden." Auch ins Gebet nehme sie Vieles mit.
Dabei ist ihr wichtig zu betonen, dass sie über die Entscheidungen von Frauen, die abtreiben, niemals urteilen möchte. Die Situation sei für alle Betroffenen schwer. "Ich versuche ihnen mit viel Liebe zu begegnen und sie dort zu unterstützen, wo es nötig ist." Gegenüber ihren Ausbildern hat sie jedoch den Wunsch geäußert, aus Gewissensgründen bei Abtreibungen nicht dabei sein zu müssen.
Hebamme geht auch ohne Abtreibungen
Strop rät Studentinnen wie Hageböck, ihre ethischen Moralvorstellungen nicht zurückzustellen: "In der Ausbildung hat sie das Recht, ihre Teilnahme an Fetoziden zu verweigern." Sie müsse jedoch den Frauen bei der Geburt des gestorbenen Kindes helfen. Das gehöre zum Beruf der Hebamme dazu.
Ein Hindernis für den beruflichen Werdegang sieht Stropp in Hageböcks Überzeugungen nicht. "Manche Hebammen müssen tatsächlich im Arbeitsvertrag unterschreiben, dass sie Abtreibungen begleiten. In großen Kliniken mit viel Personal ist das häufig jedoch nicht nötig, ebenso in christlichen Häusern, die Eingriffe dieser Art qua Leitbild nicht anbieten."
Kinder machen glücklich
Nach dem Studium möchte Hageböck dennoch eine Zeit lang in einer Klinik arbeiten, bevor sie in die Freiberuflichkeit wechselt. Besonders Frauen, die eine Abtreibung aus persönlichen Gründen erwägen, will sie beistehen. "Ich möchte für sie da sein und ihnen erst alle Wege aufzeigen, die es gibt, bevor sie eine Entscheidung treffen."
Für die Zukunft wünscht sie sich auch selbst Kinder. "Manchmal bin ich nach einer Geburt fast ein wenig eifersüchtig auf die glückliche Mutter", sagt sie und lacht. Aus ihrem Umfeld weiß sie aber, dass bei Hebammen eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, selbst Mutter zu werden: "Das bringt der Beruf mit sich, wenn man jeden Tag mit Schwangeren zu tun hat."