Statt "Amazing Grace" singt die Gemeinde beim AC/DC-Klassiker "Highway to Hell" mit. Begleitet nicht von einem Organisten, sondern einer Rockband, deren Mitglieder Kostüme tragen.
Sonntägliche Zusammenkunft
Die angegrauten Musiker spielen für die "Sunday Assembly" von Nashville im Südstaat Tennessee, deren Mitglieder sich jeden zweiten Sonntag in einem Freizeitzentrum an der Woodlandstreet treffen. Zu einem Gottesdienst ohne Gott, ohne Gebet und Besinnung, aber vielen Ähnlichkeiten mit amerikanischem Gemeindeleben. Kaffeestunde mit Plätzchen und Small Talk im Anschluss gehören dazu.
So wie in Nashville geht es auch bei den Zusammenkünften an den 13 US-Standorten von Atlanta über Nashville, New York und Los Angeles bis ins Silicon Valley zu. "Wir können Dir nicht den Himmel versprechen, aber auch nicht mit der Hölle drohen", beschreibt Richard Treitel, Vorstandsmitglied der "Sunday Assembly" im kalifornischen Mountain View dem Fachdienst RNS die Auffassung seiner Gemeinde.
"Kirche" für Atheisten
Die Idee einer "Kirche" für Atheisten geht auf die beiden britischen Komiker Sanderson Jones und Pippa Evans zurück, die 2013 im Norden Londons die erste Gemeinde gründeten. Heute treffen sie sich unter dem Leitmotiv "Live better, help often and wonder more" (Lebe besser, hilf oft, denk mehr nach) in 48 Städten der englischsprachigen Welt.
Zu den Versammlungen kommen jeden zweiten Sonntag bis zu mehrere Hundert Menschen zusammen. Gewiss keine Massenbewegung, aber ein Symptom für eine zunehmend entchristlichte Gesellschaft, in der Nichtgläubige nach einer Art Ersatz für kirchliches Gemeindeleben suchen.
Fast drei von zehn US-Amerikanern definieren sich als Atheisten, Agnostiker oder "Nones". Diese Gruppe machte in den 1970er Jahren gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung aus. Heute ist sie größer als Katholiken (23 Prozent) oder Evangelikale (24 Prozent). Laut Schätzungen des renommierten Pew Research Center dürfte es 2070 in den USA mehr Konfessionslose geben als Christen insgesamt.
"Sakralisierung des Säkularen"
Die "Sunday Assemblies" sind derweil nur ein Angebot unter mehreren. Damit konkurrieren das "Oasis Netzwerk", verschiedene "Ethische Gemeinschaften", die "American Humanist Association" sowie lokale Gruppen wie die "Seattle Atheist Church" oder die "North Texas Church of Freethought".
Während evangelikale Gemeindemitglieder darüber sprechen, wie sie zu Gott gefunden haben, legen die Mitglieder der "Sunday Assemblies" darüber Zeugnis ab, warum ihr Glaube verloren ging. Statt Predigten über Bibeltexte gibt es lebenspraktische Hilfe.
Anstelle der Taufe heißen die Religionslosen neue Gemeindemitglieder mit einer Initiationszeremonie in ihren Reihen willkommen. Religionssoziologen wie Jacqui Frost von der Purdue University in Indiana sprechen von einer "Sakralisierung des Säkularen" oder einer "säkularen Spiritualität".
Parallelen zu Kirchen
Im Unterschied zu religiös Gläubigen lehnen die Mitglieder der Gemeinschaften alles Übernatürliche ab. Sie organisieren sich basisdemokratisch, mit flachen Hierarchien. Ihre Mitglieder fühlen sich rationalem Denken verpflichtet und leiten daraus ihre Moral ab.
Das Gros der Mitglieder der "Sunday Assemblies" wollen gute Menschen sein, die ihren karitativen Einsatz nicht von einem Glauben abhängig machen. Und wie bei den Kirchen gilt Familien besondere Aufmerksamkeit.
So wird es auch am kommenden Muttertag bei der Sonntagsversammlung in Los Angeles sein: Die Poetin Deborah Edler Brown spricht über "Lebenslanges Lernen". Um den Müttern an diesem Tag Küchenarbeit zu ersparen, steuern die Gemeindemitglieder jeweils eines ihrer Lieblingsgerichte zu einem Buffet bei. Und anders als in den meisten Kaffeestunden nach dem Gottesdienst gibt es hier auch alkoholische Getränke: Mimosa-Cocktails zum Muttertag.