"Wer sich am christlichen Menschenbild orientiert, darf den individuellen Zugang zum Flüchtlingsschutz in Europa nicht abschaffen", schreiben der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße und der evangelische Berliner Bischof Christian Stäblein in einem Gastbeitrag in der "Welt am Sonntag".
"Gott begegnet uns in den Schutzbedürftigen dieser Welt. Deshalb verbietet es sich für uns, ihre Rechte preiszugeben."
"Ethisch wie rechtlich auf dem Holzweg"
Die Forderung nach einer Drittstaatenregelung, die auf dem Parteitag der Christdemokraten im Grundsatzprogramm verankert werden soll, stehe "in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Orientierung an christlichen Werten", heißt es in dem Text, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt. "Mit solch einer Forderung begibt man sich ethisch wie rechtlich auf den Holzweg."
Die CDU fordert die Einführung einer Drittstaatenlösung und will ein entsprechendes Konzept in ihr neues Grundsatzprogramm aufnehmen. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen vermeintlich sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.
Konzept ähnelt dem hoch umstrittenen "Ruanda-Modell"
Im Fall eines positiven Ausgangs soll der Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Das Konzept ähnelt dem hoch umstrittenen "Ruanda-Modell", das die britische Regierung durchsetzen
will.
Zugleich will die CDU, dass die EU-Staaten jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnehmen; diese Flüchtlinge sollen auf die beteiligten Staaten verteilt werden.
Statt konkrete Lösungen anzugehen und politische Verantwortung zu übernehmen, würden falsche Erwartungen geweckt und Ressentiments geschürt, kritisieren die beiden Flüchtlingsbeauftragten die CDU.
Dass auch in der FDP der Ruf nach der Auslagerung von Asylverfahren laut geworden sei, mache die Sache nicht besser. "Die einzigen, die davon profitieren, sind letztlich die extremen Kräfte in unserem
Land."
Erhebliche Zweifel mit Blick auf Menschrechte
Heße und Stäblein fordern: "Wir brauchen Lösungen, die im Einklang mit den Menschenrechten und dem Völkerrecht stehen." Das im CDU-Entwurf vorgestellte Konzept werfe hier erhebliche Zweifel auf. Deutschland und die EU würden sich aus der Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen verabschieden.
Die Genfer Flüchtlingskonvention würde an entscheidender Stelle geschwächt. "Das individuelle Recht auf Asyl, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Grundgesetz festgeschrieben ist, würde in Deutschland de facto abgeschafft, da hier keine Prüfung der Schutzbedürftigkeit mehr stattfände."
Die meisten Geflüchteten suchen nicht in Europa Zuflucht
Die beiden Bischöfe weisen zugleich darauf hin, dass die meisten Schutzsuchenden weltweit gar nicht Zuflucht in Europa suchen. Von den weltweit 110 Millionen Geflüchteten, die das UN-Flüchtlingshilfswerk
2023 gezählt habe, seien mehr als die Hälfte Flüchtlinge im eigenen Land: Die allermeisten Menschen, die ihr Land verließen, würden wiederum von Staaten in Afrika, Asien oder Südamerika aufgenommen.
"Staaten also, die oft selbst unter Konflikten, Rechtlosigkeit und Armut leiden. Wer angesichts dieser bestehenden Schieflage in der Flüchtlingsaufnahme zusätzlich eine so drastische Auslagerung des
Flüchtlingsschutzes in Nicht-EU-Länder fordert, scheint die Augen vor der Realität verschließen zu wollen", so die Kirchenvertreter.