Im Gespräch mit der Presseagentur Kathpress (Donnerstag) und weiteren Medien kritisierte das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche "barbarische Akte" Aserbaidschans, das die Geschichte und Existenz des armenischen Volkes und Christentums in Berg-Karabach komplett auslöschen wolle. Immer öfter würden Kirchen zerstört oder Friedhöfe dem Erdboden gleichgemacht.
Aktuell ist in Berg-Karabach das Schicksal von mehr als 4.000 ungeschützten Kulturdenkmälern ungewiss, darunter etwa 300 Kirchen und Klöster, aber auch viele Friedhöfe. Im September 2023 hatte Aserbaidschan Berg-Karabach mit überlegenen militärischen Mitteln angegriffen. Schon nach einem Tag war der Krieg entschieden. Dem Angriff vorausgegangen war eine rund neun Monate dauernde Totalblockade Berg-Karabachs durch Aserbaidschan. Mehr als 100.000 Armenier mussten über Nacht ihre Heimat verlassen.
"Expansionsbestrebungen und Übergriffe"
Ende 2023 hörte das Territorium auch offiziell auf zu existieren. Schon nach dem Karabach-Krieg 2020 waren zudem bis zu 30.000 Karabach-Armenier dauerhaft nach Armenien geflüchtet. Das kleine Land nahm insgesamt mehr als 130.000 Vertriebene auf und versucht, sie zu integrieren.
Karekin II. hat in den vergangenen Monaten wiederholt offiziell zu gesellschaftlichem und nationalem Zusammenhalt in Armenien aufgerufen. Nur so sei es möglich, den aserbaidschanischen Expansionsbestrebungen und Übergriffen auf armenischen Staatsgebiet zu widerstehen. Die Regierung habe nicht nur zu wenig getan, um Berg-Karabach zu unterstützen, sondern verhandele nun auch schlecht; noch dazu ohne Garantien vonseiten des Westens oder Russlands, so der Patriarch.
Recht auf sichere Rückkehr
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew spreche offen aus, dass er sich mit dem bisher Erreichten nicht zufriedengeben wolle, so Karekin II. im Kathpress-Gespräch am Sitz der Kirche in Edschmiadzin bei Jerewan. Er verwies auf aserbaidschanische Ansprüche auf Dörfer in Armenien und einen Korridor im Süden des Landes, der Aserbaidschan mit der Enklave Nachitschewan verbinden soll. Bei den Verhandlungen werde auch an keiner Stelle eingefordert, dass die Karabach-Armenier ein Recht auf eine sichere Rückkehr in ihre Heimat hätten, kritisiert der Katholikos. Auch das Schicksal der Soldaten und Politiker von Berg-Karabach in den Händen Aserbaidschans sei völlig ungewiss.
Armenien erlebt derzeit heftige innenpolitische Turbulenzen. Immer mehr Menschen demonstrierten in den vergangenen Tagen gegen die Politik von Ministerpräsident Nikol Paschinjan. Einer der führenden Köpfe der Proteste gegen Paschinjan ist der armenisch-apostolische Erzbischof von Tavush, Bagrat Galstanyan. Er ist von den politischen Verhandlungen direkt betroffen.
Rückgabe von vier Dörfern
Mitte April hatte die Regierung von Nikol Paschinjan beschlossen, vier Dörfer in der Grenzregion Tavush an Aserbaidschan zurückzugeben, die Armenien in den 90er Jahren besetzt hatte. Gleichzeitig einigten sich beide Länder darauf, den umstrittenen Grenzverlauf in der Region verbindlich festzulegen.
Auch die armenische Kirchenleitung hat bereits deutlich Stellung bezogen. "Wir halten die Aktivitäten in den Grenzgebieten von Tavush, die im Namen der Grenzfestlegung und -markierung durchgeführt werden, für sehr gefährlich", hieß es vor einigen Tagen in einer Erklärung der Armenisch-Apostolischen Kirche.