Marienerscheinungen zählen seit dem 18. Jahrhundert zu den "Privatoffenbarungen". Als solche werfen sie theologische Probleme auf, da Gottes Offenbarung nach kirchlicher Lehre mit dem Tod des letzten Apostels an ihr Ende gekommen ist. Das Lehramt trennt daher scharf zwischen Offenbarung und Privatoffenbarungen.
Letztere können die ursprüngliche Offenbarung nur in Erinnerung rufen, erklären oder aktualisieren. Laut Weltkatechismus steht es jedem Katholiken frei, an Privatoffenbarungen zu glauben oder nicht - auch wenn die Kirche sie als gesichert ansieht. Am Freitag nun stellt der Vatikan neue Normen zur Prüfung von Marienerscheinungen vor.
Das Lourdes-Schema
Kritiker wie der britische Historiker David Blackbourn sehen im südfranzösischen Lourdes, wo der Schafhirtin Bernadette Soubirous 1858 insgesamt 18 mal die "Unbefleckte Empfängnis" erschienen sein soll, eine Art Schema für nachfolgende Erscheinungen: eine einfältige Seherin aus dem Volk, geprägt durch Armut, Krankheit oder Vernachlässigung und rohe Behandlung durch Eltern oder Umwelt; Mitteilung einer frommen Botschaft, Heilwasser und Bau eines Heiligtums (Quelle und Kapelle); Ablehnung durch den Pfarrer und die Zivilbehörden, Berichte von Wunderheilungen und schließlich die Errichtung eines offiziellen kirchlichen Kults.
Seit dem frühen Christentum
Marienerscheinungen ergänzen sich in der Volksfrömmigkeit mit den sogenannten Gnadenbildern, bei denen sich um ein Bild oder eine Statue der Muttergottes eine Wallfahrtsstätte entwickelt. Erste Berichte über Marienerscheinungen lassen sich bis ins frühe Christentum zurückverfolgen. Bereits im Jahr 41 soll Maria dem heiligen Jakobus auf einer Säule erschienen sein. Das Mittelalter hindurch blieb der typische Marien-Visionär männlich, erwachsen, zumeist Kleriker.
In Zusammenhang mit Krisen
Erst relativ spät setzte sich ein anderes Erscheinungsbild durch: Mädchen aus dem einfachen Volk sind die "Auserwählten", Hirten zumeist, der Ort einsam gelegen in Wald und Flur. Beispiele sind das Alpendorf La Salette 1846, das Pyrenäendorf Lourdes 1858 oder das saarländische Marpingen 1876.
Experten sehen die Erscheinungen in Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Krisen: mit Hungersnöten, Cholera, Missernten. Eine Häufung gebe es in den 1850er bis 1870er Jahren, im Ersten Weltkrieg oder um das Krisenjahr 1933.
Marien-Welle
Ihre Zahl geht europaweit in die Hunderte, mit Spitzen in den katholischen Ländern Italien und Frankreich. Aber auch aus Lateinamerika, Afrika und Asien gibt es einschlägige Berichte. Dennoch erlangten nur die wenigsten Erscheinungen eine kirchliche Approbation.
In Frankreich waren es La Salette, Lourdes und Pontmain. Mit ihnen wurde die Proklamation des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis von 1854 vorbereitet beziehungsweise besiegelt. Zugleich gelang es den Bischöfen, die regelrechte Marien-Welle allmählich zu kanalisieren; etwa durch die Gründung von Marienkongregationen.
Keine offizielle Genehmigung seit 1933
1930 wurden die Visionen von drei Hirtenkindern im portugiesischen Fatima kirchlich anerkannt; bald darauf die Erscheinungen von Beauraing 1932 und Banneux 1933. Sie alle ähneln dem Ablauf von Lourdes. Seitdem ist keiner weiteren Erscheinung die offizielle Genehmigung zuteilgeworden.
Ein besonderer Fall ist Medjugorje in Bosnien-Herzegowina. Hier dauern die angeblichen Erscheinungen nach Darstellung der Seher seit dem 24. Juni 1981 bis heute an und gehen in die Zehntausende.
Deutschland ohne Genehmigung
Ein "deutsches Lourdes" gibt es nach wie vor nicht: Nachdem der Brite Blackbourn 1997 die fast vergessene Geschichte Marpingens aus dem Schatten der Vergangenheit holte, fanden sich 1999 drei neue "Seherinnen". 1876 hatten drei Marpinger Kinder von Marienerscheinungen berichtet und damit binnen einer Woche Zehntausende in den Härtelwald gezogen. Am Ende ließ Reichskanzler Otto von Bismarck das preußische Heer aufmarschieren und den Zugang zum Wald sperren.
1999 kündigte der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital eine gründliche Prüfung an und verbot, von "Erscheinungen" und"Seherinnen" zu sprechen. Er nannte sie kühl die "Vorgänge im Härtelwald". 2005 erklärte sein Nachfolger in Trier, Bischof Reinhard Marx, es stehe "nicht fest, dass den Ereignissen in Marpingen aus den Jahren 1876 und 1999 ein übernatürlicher Charakter zukommt".