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DOMRADIO.DE: Am Dienstag hat das Parlament in Georgien ein neues Gesetz beschlossen, das Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, unter besondere Beobachtung stellt. Die Caritas erhält einen Großteil ihrer Finanzierung aus dem Ausland. Was bedeutet dieses Gesetz für Sie?
Anahit Mkhoyan (Direktorin der Caritas Georgien): Das stimmt, das Gesetz wurde in dritter Lesung durch das Parlament gejagt, obwohl ein großer Teil unserer Bevölkerung dagegen ist. Das finden wir problematisch für ein Land, das sich als Demokratie verstehen will. Unsere größte Sorge im Moment ist nicht das Gesetz an sich, sondern die Art und Weise, wie es angewendet werden soll. Im eigentlichen Gesetzestext ist das alles noch sehr vage.
In der Praxis ist die Caritas Georgien eine Organisation, die sich im sozialen Bereich engagiert. Unsere Arbeit hat eigentlich keine politische Dimension. Unsere Arbeit besteht zum großen Teil darin, benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft zu unterstützen. Zivilgesellschaftlich sind wir eigentlich kaum aktiv.
DOMRADIO.DE: Wie finanzieren Sie sich denn bis jetzt?
Mkhoyan: 68 Prozent unserer Finanzierung kommt aus dem Ausland. Größtenteils aus Europa, aber auch aus den USA. Der Rest kommt aus dem Inland, auch die georgische Regierung liefert einen Teil unseres Budgets. Eine der Begründungen für das neue Gesetz ist, dass man mehr Transparenz bei international finanzierten Organisationen braucht. Die Caritas ist bereits jetzt mehr als transparent.
Unsere Steuererklärungen und Jahresberichte sind öffentlich auf unserer Website zugänglich. Bis Ende März jedes Jahres reichen wir diese Berichte auch bei der Regierung ein. Da wir öffentliche Zuschüsse erhalten, ist das so vorgeschrieben. Unsere Finanzen sind also für jeden offen einsehbar, deshalb machen wir uns keine Gedanken über Transparenz.
DOMRADIO.DE: Wird sich denn jetzt an Ihrer Finanzierung konkret etwas ändern?
Mkhoyan: Das hängt im Moment mehr von unseren Geldgebern im Ausland ab als von uns. Es ist vorstellbar, dass man an einigen Stellen nun die Strategie ändert, was die Unterstützung Georgiens angeht. Einer der Aspekte ist die Finanzierung der Altenpflege. Eigentlich wäre das Regierungsaufgabe. Von der Regierung kommt aber nur 50 bis 60 Prozent des Geldes dafür, der Rest muss also aus dem Ausland kommen.
Im Moment machen wir uns am meisten Gedanken über eine Stigmatisierung unserer Arbeit in der Bevölkerung. Der Beschluss wird als "Ausländische Agenten Gesetz" bezeichnet. Hier geht es nicht um Agenten, sondern um finanzielle Hilfen aus dem Ausland. Hilfen, die den Bürgern unseres Landes zu Gute kommen.
Seit 30 Jahren arbeiten wir mit unseren ausländischen Partnern zusammen. Das gesamte internationale Caritas-Netzwerk hat das Ziel, die Schwächsten in der Gesellschaft zu unterstützen. Diese Hilfen als Arbeit "ausländischer Agenten" zu bezeichnen, ist eine ziemliche Beleidigung. Gerade da für die Caritas die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern eine sehr große Rolle spielt.
Wenn wir die Möglichkeit hätten, unser gesamtes Budget innerhalb des Landes aufzubringen, würden wir das sofort tun. Die Realität sieht nun aber anders aus.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie, was kommt in ihrer alltäglichen Arbeit nun auf Sie zu?
Mkhoyan: Wir erwarten in der Tat durch dieses Gesetz vor allem mehr Aufwand im administrativen Bereich. Papierkram. Wir sind jetzt schon mit unseren Projekten mehr als ausgelastet, teils sind unsere Teams 24 Stunden am Tag erreichbar. Nun werden wir zusätzlich noch mehr nachweisen müssen, was wir wie und mit welchem Geld machen.
Wir wissen noch nicht, wie viel Mehraufwand das bedeuten wird. Der Gesetzestext ist da, wie gesagt, noch sehr vage. Wir fühlen uns im Moment einfach unsicher, weil wir nicht wissen, was auf uns zukommt.
DOMRADIO.DE: In den Straßen gibt es regelmäßig Proteste gegen den Regierungskurs. Erst am Mittwoch sind wieder zehntausende Georgier in der Hauptstadt Tiflis auf die Straße gegangen. Wie ist die Stimmung im Volk im Blick auf dieses neue Gesetz?
Mkhoyan: Wenn Sie die Medien verfolgen, sehen Sie ja, wie schnell dieses Gesetz durch das Parlament gepeitscht wurde. Die letzte Anhörung hat 67 Sekunden gedauert. Dieses Gesetz sorgt bei vielen Menschen im Volk für großes Misstrauen gegenüber der Regierung. Vieles erscheint uns schlicht und einfach unlogisch.
Eine demokratische Regierung müsste doch Bedenken bekommen, wenn sich so ein großer Teil der eigenen Bevölkerung gegen ein Regierungsprojekt stellt.
Wir sind etwas verwundert, warum die Regierung nicht auf das Volk hört. Das war bei uns nicht immer so, da scheint es einen Kurswechsel zu geben. Wir bewegen uns gerade politisch auf einem ungewohnten Terrain, was auch viele Bürger verunsichert. Wir waren eigentlich auf einem guten Weg der Demokratisierung und haben einige Fortschritte gemacht. Das könnte jetzt dahin sein.
DOMRADIO.DE: Im Herbst stehen bei Ihnen Parlamentswahlen an. Was erwarten Sie da?
Mkhoyan: Ich gehe davon aus, dass unabhängig vom Wahlergebnis karitative Organisationen wie unsere ihre Arbeit weiter verrichten können. Es sollte ja auch der Regierung wichtig sein, dass wir unsere Arbeit tun. Es könnte sein, dass wir vorsichtiger sein müssen, wenn wir uns zu gesellschaftlichen Themen äußern. Ich denke, größere Probleme könnte es für Organisationen geben, die sich dem Aufbau der demokratischen Zivilgesellschaft widmen.
Wir können im Moment noch nicht absehen, was die Wahlen bringen werden. Es gibt im Moment einfach sehr viel Unsicherheit, ob die Wahlen manipuliert oder kontrolliert werden. In diesem Bereich können wir aber im Moment nicht mehr tun, als Vermutungen anstellen. Im Moment scheint das Vorgehen der Regierung für uns schlicht und einfach unlogisch.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.