Kommentar zum Abschluss des Erfurter Katholikentages

Zu früh für den Abgesang

In Erfurt geht der Katholikentag zu Ende. Sind die Christen in Zeiten, in denen das Ansehen der Kirche leidet, nur noch eine gesellschaftliche Randgruppe? Renardo Schlegelmilch sagt: Ja, aber ihre Rolle ist nicht zu unterschätzen.

"Zukunft hat der Mensch des Friedens" - Das Motto des Katholikentags / © Dominik Wolf (DR)
"Zukunft hat der Mensch des Friedens" - Das Motto des Katholikentags / © Dominik Wolf ( DR )
Renardo Schlegelmilch / © Marike Balsereit
Renardo Schlegelmilch / © Marike Balsereit

Seit über 175 Jahren treffen sich Christen aus ganz Deutschland regelmäßig zum Katholikentag. Schon von Anfang an war der Katholikentag politisch. Im Vorfeld des Christenfestes 2024 in Erfurt war oft ein Satz zu hören: Das wird der kleinste und unbedeutendste Katholikentag der Geschichte. 20.000 Besucher wurden erwartet, ein Drittel weniger als beim letzten Diaspora-Katholikentag 2016 in Leipzig. Wer aber daraus schließt, dass die Christen in Deutschland nur noch den Einfluss des nächsten Vogelzüchtervereins hätten, ist vielleicht etwas voreilig.

Neben den Katholiken aus dem ganzen Land ist fast die komplette Führungsriege der Bundespolitik nach Erfurt gekommen. Bundespräsident Steinmeier hat bei der Eröffnung gesprochen, Kanzler Scholz war da sowie Annalena Baerbock, Robert Habeck, Oppositionsführer Friedrich Merz und eine ganze Reihe an weiteren Spitzenpolitikern. Sie alle haben durch die Bank die Rolle der Christen für eine demokratische Gesellschaft betont. Natürlich befindet sich Deutschland gerade im EU-Wahlkampf, aber so leicht lässt sich der Einfluss der Katholiken nicht klein reden.

"Ohne die Kirchen wären wir nicht so weit gekommen", sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze im DOMRADIO.DE-Interview mit Blick auf das kirchliche Engagement beim Lieferkettengesetz. Ähnliche Sätze gibt es immer wieder zu hören, geht es nun um Rechtspopulismus, Religionsfreiheit oder soziales Engagement. Auch wenn die Zahl der Christen in Deutschland im Moment rapide abnimmt, die, die bleiben, engagieren sich. Und ihre Stimme ist nicht zu überhören, gesteht auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Er selbst bezeichnet sich als konfessionslos, den gesellschaftlichen Beitrag der Kirchen hält er aber für unverzichtbar. "Diese Gesellschaft braucht auch starke Kirchen als Korrektive in den immer wilder werdenden gesellschaftlichen Diskussionen." 

Renardo Schlegelmilch

"Auch wenn die Zahl der Christen in Deutschland im Moment rapide abnimmt, die, die bleiben, engagieren sich."

Im Jahr 2024 nimmt die gesellschaftliche Spaltung extrem zu. Gerade das Gastgeberland Thüringen ringt vor der anstehenden Landtagswahl um demokratische Mehrheiten. Auch der gastgebende Ministerpräsident Bodo Ramelow vertraut da auf die Kirchen, auch wenn sie in seinem Bundesland nur einen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen. "Wir wissen, dass das ein sehr spezieller Teil unserer Gesellschaft ist, der in Thüringen nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehört, aber zu einem sehr gewichtigen", sagte Ramelow im DOMRADIO.DE-Podcast "Himmelklar"

In den Diskussionen in Erfurt wurde immer wieder deutlich: In Zeiten von Spaltung und Polarisierung können und müssen engagierte Katholiken sich einsetzen und ein Bindeglied für die demokratische Gesellschaft darstellen. Auch wenn es an der Institution Kirche mit Recht genug zu kritisieren gibt: Die Christen sind auch 2024 eine Säule der Gesellschaft. Der Katholikentag hat gezeigt, dass sie immer noch mehr Einfluss haben, als so mancher vielleicht gedacht hat. 

Katholikentage

Deutsche Katholikentage sind Treffen, bei denen sich die Kirche mit ihren Verbänden und Institutionen über mehrere Tage der Öffentlichkeit präsentiert. Sie finden in der Regel alle zwei Jahre in wechselnden Städten statt.

Bei Katholikentagen diskutieren zehntausende Christen über kirchliche und gesellschaftspolitische Themen und feiern Gottesdienste. Veranstalter ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK); Gastgeber ist die jeweilige Diözese des Austragungsortes.

Flyer und Becher mit Bleistiften des 102. Deutschen Katholikentags in Stuttgart / © Gerhard Baeuerle (epd)
Flyer und Becher mit Bleistiften des 102. Deutschen Katholikentags in Stuttgart / © Gerhard Baeuerle ( epd )
Quelle:
DR