Schulleiter in Jerusalem skizziert Alltag in Kriegzeit

"Dialog ist das erste Mittel der Wahl"

Die Schmidt-Schule ist eine katholische Schule in Jerusalem für palästinensische Mädchen, die entweder Christinnen oder Musliminnen sind. Wie läuft deren Alltag in Zeiten des Nahostkrieges? Schulleiter Dietrich Bäumer gibt Einblick.

Mädchen der katholischen Schmidt-Schule in Jerusalem während einer Pause im Jahr 2009.  (KNA)
Mädchen der katholischen Schmidt-Schule in Jerusalem während einer Pause im Jahr 2009. / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Inwieweit nimmt der Nahostkrieg Einfluss auf das Tagesgeschehen bei Ihnen in der Schmidt-Schule? 

Dr. Dietrich Bäumer (kommissarischer Schulleiter der Schmidt-Schule in Jerusalem): Da kann man ganz vorne anfangen, nämlich am 7. Oktober selbst. Das ist der Tag, an dem die Katastrophe durch den Angriff der Hamas begonnen hat. Das bedeutete für uns, vom Präsenzunterricht in den Onlineunterricht zu wechseln. Aber es bedeutete in der Phase danach, mit Luftalarm zu leben, den wir in der Phase davor gar nicht hatten. Aufenthalte im Luftschutzkeller sind dann in regelmäßigen Abständen immer wieder aufgetreten. Das bedeutete auch, den Unterricht immer wieder unterbrechen zu müssen.

Bäumer

"Wir haben die Schule relativ schnell auf Wunsch der Familien und der Kinder wiedereröffnet, nachdem wir (...) die Erlaubnis dazu erhalten hatten."

Das zweite war, dadurch in Folge auch einen sicheren Schulweg zu garantieren, also dafür zu sorgen, dass unsere Schülerinnen auch nach dem Unterricht sicher nach Hause konnten, solange die Schule dann geschlossen war. Das war nach dem 7. Oktober circa drei Wochen der Fall, da waren wir im Onlineunterricht. Wir haben dann aber die Schule relativ schnell auch auf Wunsch der Familien und auch der Kinder wiedereröffnet, nachdem wir vom israelischen Bildungsministerium die Erlaubnis dazu erhalten hatten.

Herr Dr. Dietrich Bäumer, kommissarischer Schulleiter der deutschen Schmidt-Schule Jerusalem.
Herr Dr. Dietrich Bäumer, kommissarischer Schulleiter der deutschen Schmidt-Schule Jerusalem.

Zwar war die Gefährdung weiterhin möglich, aber der Unterricht konnte trotzdem in Präsenz fortgesetzt werden. Das haben wir dann auch gemacht. Aber wir haben früher aufgehört. Wir haben zum Beispiel die 9. Stunde gekappt, damit sicher ist, dass alle unsere Schülerinnen noch mit dem Bus bis zum Einbruch der Dunkelheit auch wirklich zu Hause sind, um keine weiteren Risiken für die Mädchen einzugehen. Das ist schon ein deutlicher Einfluss auf den Ablauf und die Organisation unseres Unterrichts.

DOMRADIO.DE: Die Schülerinnen bestehen sowohl aus Musliminnen als auch aus Christinnen. Gibt es hier im Blick auf den Nahostkrieg unterschiedliche Wahrnehmungen, was die Religionszugehörigkeit anbelangt? 

Bäumer: Ich habe das immer so wahrgenommen, dass sich die Menschen und auch die Schülerinnen vor allem hier bei uns an der Schule im Prinzip in erster Linie als Palästinenserinnen sehen. Da sprechen sie schon mit einer geeinten Stimme, das kann man schon sagen. Ich nehme da jetzt auch in der Beurteilung der Situation keine direkten Unterschiede zwischen muslimischen Mädchen und christlichen Mädchen wahr. 

Bäumer

"Das ist das Wichtigste, dass wir einander zuhören und dann versuchen, auch bei Konflikten oder Problemen (…) eine gemeinsame Lösung zu finden."

DOMRADIO.DE: Wie sieht es bei den Lehrkräften aus? Zum Teil stammen diese aus Deutschland, wo es schon eine aus der Geschichte stammende besondere Verantwortung für Israel gibt. Kommt es da auch zu Meinungsverschiedenheiten, was die Bewertung oder Beurteilung dieses Konfliktes anbelangt? 

Bäumer: Unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen, die wir hier haben, das sind jetzt nicht so viele. Wir haben insgesamt acht sogenannte entsandte Lehrkräfte bei uns an der Schule. Die sind natürlich mit einer Kriegssituation bisher auch noch nicht vertraut gewesen. Das war schon einmal ein Novum. Da galt es natürlich in erster Linie, den Zusammenhalt hier in der Schule zu stärken und dafür zu sorgen, dass uns die Lehrkräfte auch erhalten bleiben.

Da haben wir erfreulicherweise alle relativ schnell einen Konsens gefunden, dass wir hier weiterarbeiten, dass wir die Menschen nicht allein lassen und dass wir für die Menschen an diesem Standort da sein wollen. Das ist schon einmal das allererste wichtige Statement, das alle Kolleginnen und Kollegen gegeben haben.

Bäumer

"Wir sind eine Schule, wir sind eine Gemeinschaft. Man spricht nicht umsonst von der Schmidtschulfamilie."

Wir waren natürlich durch das Krisenlevel gezwungen, bei Familien mit Kindern auch einmal für eine Ausreise sorgen zu müssen. Die war dann zwingend notwendig, weil Kinder aus sicherheitstechnischen Gründen außer Landes gebracht werden mussten. Aber ansonsten haben da alle einheitlich dafür gestimmt, hier zu verbleiben und unsere palästinensischen Mädchen zu unterstützen.

Natürlich hat jeder Kollege, jede Kollegin da seine Meinung. Ich nehme aber nicht wahr, dass es hier zu Diskrepanzen oder Auseinandersetzungen mit den palästinensischen Lehrkräften kommt. Ich würde sagen, wir versuchen immer zuzuhören. Ich glaube, das ist das Wichtigste, dass wir einander zuhören und dann versuchen, auch bei Konflikten oder Problemen, die hausintern auftreten können, eine gemeinsame Lösung zu finden.

Wir sind eine Schule, wir sind eine Gemeinschaft. Man spricht nicht umsonst von der Schmidtschulfamilie. Als solche ist die Schule in Jerusalem seit fast 140 Jahren bekannt. Diesen guten Spirit, und Teamgeist, den wollen wir auch hoffentlich in der Zukunft bewahren, trotz aller Konflikte. 

DOMRADIO.DE: Nehmen die Schülerinnen dieses Miteinander auch nach Schulschluss mit in ihre Familien hinein? Und was bringen sie dann aus ihren Familien mit in den Unterricht hinein?

Bäumer: Das familiäre Umfeld ist etwas, was wir nicht direkt beeinflussen können, sondern nur indirekt. Selbstverständlich haben wir auch gerade am Anfang des Krieges, wo es natürlich sehr viele Emotionen gab, die hochgekocht sind, immer versucht, unseren Schülerinnen die Gelegenheit zu geben zu sprechen. Ich habe immer gesagt, dass es da erst einmal keine Verbote gibt. Ich möchte durchaus auch, dass die Schülerinnen äußern können, wo ihre Sorgen liegen.

Bäumer

"Wir sind ja selbst auch im Austausch mit den Eltern und den Familien. Die kommen auch an uns heran mit ihren Sorgen."

Wir haben in der Vergangenheit ja auch eine Reihe von Besuchen gehabt. Vor ein paar Wochen war der neue Erzbischof von Paderborn hier bei uns zu Gast und hat auch mit einer 11. Klasse über genau dieses Thema eine sehr schöne und bewegende Diskussion geführt, wo es genau um die Frage geht, wie sich das Leben unserer Schülerinnen verändert hat, wie sie das Leben jetzt in den Familien wahrnehmen. Wir betonen immer wieder, dass wir als Schmidt-Schule eine Mission haben.

Wir sind eine katholische Schule, wir sind eine christliche Schule, wir sind für die Menschen da. Wir wollen diesen Dienst an den Menschen und mit den Menschen hier auch leisten. Ich glaube, es ist uns gelungen, das auch in diesem schwierigen Kriegsjahr den Familien klar zu machen. Wir sind ja selbst auch im Austausch mit den Eltern und den Familien. Die kommen auch an uns heran mit ihren Sorgen.

Und ich sage noch einmal das, was ich eben schon erwähnte: Zuhören ist erst einmal einer der wichtigsten Punkte. Den anderen verstehen kann man nur, wenn man ihm zuhört und dann auch diesen Standpunkt nachvollzieht, ohne ihn sofort zu verurteilen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer diplomatischen Deeskalation, von dem man sich wünschen würde, dass das auch manchmal auf der großen Ebene wie im Kleinen funktionieren könnte.

Ich glaube ganz sicher, dass das eine Lösung auch auf lange Sicht irgendwann wäre, wenn man anfinge, sich wieder zuzuhören und den anderen mit seinen Sorgen und Bedenken ernst zu nehmen. 

DOMRADIO.DE: Sie haben eine Schule mit palästinensischem Personal, palästinensischen Schülerinnen. Aber auf der anderen Seite sind sie in Israel. Sie müssen sich dort mit den Behörden abstimmen. Sie sitzen so ein wenig zwischen den Stühlen und müssen vermitteln. Wie verhalten und positionieren Sie sich, um im gegenwärtigen Konflikt nicht selbst zwischen die Fronten zu geraten? 

Bäumer: Da gilt auch wieder, Dialog ist das erste Mittel der Wahl. Vertrauen schaffen, das ist das zweite und ganz wichtig, mit dem Dialog eng verknüpft. Auch unsere Partner auf der israelischen Seite von der israelischen Bildungsbehörde sehen das so und haben das auch so von unserer Seite verstanden, dass wir an dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit auch weiter interessiert sind, dass wir unseren Schülerinnen eine ideologiefreie Bildung anbieten und dass die Bildung eine wichtige Grundlage ist, auch vielleicht für die zukünftige Lösung solcher schwierigen Konflikte.

Das wird auch von israelischer Seite anerkannt. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie unterstützen die Schule ja auch. Sie machen zwar bestimmte Vorgaben, das ist klar, das ist aber auch verständlich. Aber dennoch unterstützen sie uns an vielen Stellen und lassen uns auch den Freiraum, den wir brauchen, um unsere Bildungsarbeit hier durchführen zu können.

Natürlich wissen die Behörden auch um bestimmte Schwierigkeiten, das ist keine Frage. Aber ich würde sagen, die Zusammenarbeit und der Kontakt dorthin ist gut, genauso wie er zur palästinensischen Seite gut ist. Auch da versuchen wir, durch direkten Dialog und diplomatisches Verhandeln vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle für unsere Schülerinnen wirklich das Beste herauszuholen. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR