KNA: Was ist für Sie das Schlimmste am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine?
Swjatoslaw Schewtschuk (Kiews Großerzbischof): Krieg ist ein Verbrechen. Er ist ein Verbrechen gegen Gott und ein Verbrechen gegen die Würde des menschlichen Lebens. Die brutalste und sinnloseste Situation, die einem Menschen widerfahren kann. Und seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine versuchen wir als Christen herauszufinden, was es bedeutet, in Zeiten des Krieges ein Christ zu sein.
Wo ist Gott, Jesus Christus, in diesem Moment der Dunkelheit? Diese Suche nach Gott mitten im Krieg gab uns ein Gefühl dafür, was wir jetzt erleben. Und wir können bezeugen, Jesus Christus ist im leidenden Fleisch des ukrainischen Volkes gegenwärtig. Wir können seine Wunden berühren, die Wunden des ukrainischen Volkes, die Wunden von Tausenden von Flüchtlingen, verwundeten Soldaten, alten Menschen, Kindern und Jugendlichen. Wir können Gott in der Ukraine weinen sehen, in den Augen der weinenden Mütter, die ein Kind verloren haben. Und wir bitten: Herr, gib uns Frieden! Lass uns dem Krieg mit all unseren Fähigkeiten entgegentreten.
KNA: Was bedeutet das?
Schewtschuk: Krieg kann niemals heiliger Krieg genannt werden. Selbstverständlich müssen wir die wehrlosen Menschen verteidigen.
Selbstverständlich erkennen wir an, dass wir als einfache Menschen, als Christen, als ukrainische Bürger, ein natürliches Recht, aber auch eine heilige Pflicht haben, das Leben in der Ukraine zu verteidigen. Das ist also der Sinn des Verteidigungskrieges, den wir gerade in der Ukraine erleben.
KNA: Das Oberhaupt der autokephalen Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, sagte wenige Tage nach dem russischen Angriff auf Kiew im Februar 2022, er sei der fünfte auf Russlands Todesliste. Gab es auch einen russischen Befehl, Sie zu töten?
Schewtschuk: Viele Diplomaten, die aus Kiew flohen, warnten mich, dass ich auf der Liste stehe. Ich habe diese Liste nie gesehen. Es ist eine Tatsache, dass Listen erstellt wurden mit Menschen, die hingerichtet werden sollen. Nach diesen vorbereiteten Listen verhafteten sie Menschen, folterten sie und töteten sie. Und ich weiß, dass die russischen Fallschirmjäger, die Angriffsgruppen, die wirklich in das Gebiet meiner Kathedrale eingedrungen sind, nach mir suchten. Sie hatten einen exakten Plan von meinem Haus. Sie wussten sehr gut Bescheid, wo mein Fenster ist, die Eingangstür. Daher kann ich davon ausgehen, wenn die Russen die Stadt Kiew einnehmen würden, würden alle von uns, die die Identität und die Würde der ukrainischen Nation repräsentieren, nicht nur die religiösen Menschen, sondern auch die Künstler und die Intellektuellen, sofort hingerichtet, wie es zu Zeiten Stalins der Fall war.
KNA: Wie sind Sie damit umgegangen, dass Sie auf der Liste standen?
Schewtschuk: Ich stehe immer noch auf dieser Liste. Ja, ich muss damit umgehen, aber das Bewusstsein, dass ich auf dieser Liste stehe, hat mich nicht gelähmt. Zusammen mit meinen Bischöfen, meinen Priestern versuchen wir, die Tatsache, dass wir am Leben sind, in die Fähigkeit umzuwandeln, zu dienen und etwas Gutes zu tun. Denn vielleicht gibt es uns morgen schon nicht mehr.
KNA: Russland hat die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche in den von Moskau annektierten ukrainischen Gebieten verboten. Was ist mit den Geistlichen und Gläubigen Ihrer Kirche dort geschehen?
Schewtschuk: Eine Wiederholung vieler historischer Ereignisse. Jedes Mal, wenn Russland das Gebiet der Ukraine eroberte, wurde unsere Kirche zerstört. Im Russischen Reich wurde unsere Kirche 1839 liquidiert. In der Sowjetunion wurde unsere Kirche 1946 liquidiert.
Und heute, als Russland unser Gebiet besetzte, schlossen sie sofort unsere Kirchen und verbannten unsere Priester und Ordensfrauen oder sperrten sie ein. Einige von ihnen wurden vertrieben, ausgewiesen.
Aber unsere beiden Redemptoristenpater aus Berdjansk sind immer noch im Gefängnis. Und seit mehr als zwei Jahren versuchen wir, sie durch verschiedene Mechanismen zu befreien. Und wir haben es bisher nicht geschafft.
In der Besatzungszone wurde nicht nur unsere Kirche für unzulässig erklärt, sondern auch Caritas, Kolumbusritter und alle humanitären Hilfsdienste der katholischen Kirche. Genauso erging es auch den ukrainischen orthodoxen und protestantischen Gemeinden. Als einzige Religionsgemeinschaft ist dort jetzt die Russisch-Orthodoxe Kirche erlaubt.
KNA: Haben Sie neue Informationen über die im November 2022 verhafteten Redemptoristen Bohdan Heleta und Iwan Lewytskyj?
Schewtschuk: Vor kurzem haben wir die Nachricht erhalten, dass sie am Leben sind. Aber solange sie nicht aufgetaucht sind und kein offizieller Vertreter sie besuchen kann, können wir dieser Nachricht nicht trauen. Deshalb beten wir für ihre Freilassung. Und vielleicht ist jemand, der dieses Interview liest, daran interessiert, uns bei der Freilassung dieser Priester zu helfen. Papst Franziskus hat in der Urbi-et-Orbi-Botschaft am Ostersonntag, die Freilassung aller Kriegsgefangenen gefordert.
KNA: Fürchtet sich Deutschland zu sehr vor Putin?
Schewtschuk: Man braucht keine Angst zu haben. Sehr oft versucht Russland, sich als eine erneuerte Sowjetunion darzustellen. Aber das ist nicht der Fall. Russland ohne die Ukraine wird nie dieselbe Weltmacht sein. Solange die Ukraine frei ist, haben Sie keinen Grund, sich vor Russland zu fürchten, auch wenn Russland versucht, die ganze Welt mit Atomwaffen zu erpressen. Unterstützen Sie die Ukraine!
Unterstützen Sie den unabhängigen ukrainischen Staat! Und das ist der Weg, wie man diese neokolonialen Ambitionen Russlands verhindern kann.
Wenn Russland die Ukraine erobert, wenn diese Millionen Ukrainer zu russischen Sklaven und Soldaten werden, dann wird der nächste Schritt ein Angriff Russlands auf Westeuropa sein. Sie bereiten diesen Angriff vor. Ideologisch erklären sie ihren eigenen Leuten, dass sie angeblich diesen heiligen Krieg gegen die korrupte, unmoralische westliche Zivilisation führen sollen.
Solange die Ukraine weiter besteht, haben wir keinen Grund, Putins Forderungen nachzugeben. Die Ukraine hat also heute eine besondere Pflicht gegenüber der westlichen Zivilisation, diese Zivilisation von der Angst vor dem großen Russland und Putin zu befreien.
KNA: Denken Sie also, Deutschland hat zu viel Angst vor Putin?
Schewtschuk: Nun, diese Frage müssen Sie sich selbst beantworten.
Aber ich glaube, es gibt eine naive Ansicht, dass wir seine Aggression verhindern können, indem wir positiv auf Putins Forderungen reagieren. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs bestätigt, dass der Aggressor nicht durch Beschwichtigung gestoppt wird. Wenn Sie die Forderungen des Terroristen erfüllen, wird sein Appetit größer werden. Also geben Sie die Ukraine nicht auf. Nur so können wir diesen neokolonialen Krieg beenden. Putin muss verlieren, sonst wird es nie zu einer demokratischen Transformation Russlands kommen.
KNA: Verstehen Sie, warum Kanzler Scholz der Ukraine keine Marschflugkörper vom Typ Taurus geben will?
Schewtschuk: Das liegt ein bisschen außerhalb meiner Kompetenz. Aber ich kann sagen insbesondere nach einer Woche hier in München, in der wir mit verschiedenen Leuten, Politikern und Vertretern deutscher Nichtregierungsorganisationen gesprochen haben, dass 60 Prozent der Deutschen davon überzeugt sind, dass ihre Regierung nicht genug für die Ukraine tut. Dass die Regierung die Ukraine mehr, aktiver und effizienter unterstützen sollte. Das bedeutet viel.
Vielleicht verstehen die Deutschen besser als ich, was ihre Regierung als nächstes tun sollte und welche Unterstützung die Ukraine jetzt braucht.
KNA: Wollen Sie, dass Deutschland der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefert?
Schewtschuk: Ich spreche nicht von bestimmten Waffen. Aber Tatsache ist, unser Kampf mit Russland ist ein Kampf zwischen David und Goliath. Wir sind kleiner als Russland. Wir sind schwächer als Russland. Und deshalb werden wir ohne die weltweite Unterstützung und Solidarität nicht standhalten.
In der katholischen Morallehre über Krieg, gerechten Krieg, Verteidigungskrieg gibt es sehr oft das Konzept der Verhältnismäßigkeit der Waffen. Wir können nicht mehr Waffen einsetzen, als der Angreifer gegen uns einsetzt. Ich muss sagen, dass Russland heute zehnmal mehr Waffen hat als die Ukraine. Das ist der Grund, warum die Realität hier unverhältnismäßig ist.
Als Ukrainischer Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften haben wir bereits mehrmals die Welt aufgerufen, uns dabei zu helfen, unsere Städte vor den russischen Luftangriffen zu schützen und den Himmel über der Ukraine zu schließen. Denn wenn wir die Waffen einsetzen, um russische Raketen oder iranische Drohnen abzuschießen, wird niemand sterben. Deshalb können wir sagen, dass es moralisch gerechtfertigt ist, der Ukraine Waffen zu überlassen, damit die Ukrainer in der Lage sind, sich selbst gegen den russischen Aggressor zu verteidigen.
KNA: In einer langen Botschaft Ihrer Kirche zu Krieg und gerechten Frieden von Februar steht: "Auf den ersten Blick scheint Russlands moderne Tyrannei weniger brutal und totalitär zu sein als der kommunistische und nationalsozialistische Totalitarismus. In Wirklichkeit wandelt sie die totalitären Merkmale der Vergangenheit in viel heimtückischere und daher noch gefährlichere Formen um, die man als hybrid bezeichnen kann." Ist die moderne russische Tyrannei sogar gefährlicher als der nationalsozialistische Totalitarismus?
Schewtschuk: Ich denke schon. Und wir erklären in dieser Botschaft, warum wir sie für gefährlicher halten. Lassen Sie mich mindestens drei Gründe dafür nennen.
Weil diese Tyrannei heute mit den neuen Instrumenten zur Kontrolle der Bürger die eigene Bevölkerung noch stärker unterdrückt. Der zweite Grund ist, dass die modernen Waffen effizienter töten als zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Zerstörungskraft moderner Waffen ist entsetzlich und Hunderte ukrainische Städte wurden bereits zerstört.
Und drittens setzt diese Tyrannei sogenannte hybride Kriegsmittel ein.
Dieser Krieg wird nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Wirtschaft, Desinformation und Propaganda geführt. Deshalb bezeichnen wir diesen Totalitarismus mit dem neuen Wort "Raschismus", der auch Sie hier in Deutschland direkt betrifft. Durch die russische Propaganda, durch die Art, wie sie ihre geopolitischen Ambitionen darstellen und rechtfertigen. Russland spaltet heute die Welt und exportiert Krieg. Diese Tyrannei ist heute auf einer noch gefährlicheren Stufe als zur Zeit der Totalarismen des 20. Jahrhunderts.
KNA: Haben Sie noch Kontakt zu Geistlichen in Russland?
Schewtschuk: Direkten und sehr intensiven Kontakt haben wir nicht. Denn Post ist unmöglich. Aber wir haben uns mehrmals bei verschiedenen internationalen Begegnungen getroffen, vor allem bei Bischofsversammlungen letztes und dieses Jahr in Rom.
KNA: Und was denken Sie über die römisch-katholischen Bischöfe in Russland?
Schewtschuk: Nun, dazu möchte ich mich nicht äußern. Denn ich befürchte, dass sie in Russland zu sehr kontrolliert werden.
KNA: Sind Sie dafür, dass der orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. vor ein weltliches oder kirchliches Gericht gestellt wird, weil er den russischen Angriffskrieg unterstützt?
Schewtschuk: Ihn vor ein Gericht zu stellen, ist ein sehr spezifischer Akt der internationalen Gerechtigkeit. Es liegt nicht in meiner Kompetenz, solch einen Akt zu unterstützen oder nicht zu unterstützen. Aber ich denke, dass diese Ideologie der "Russischen Welt", also die Ideologie des Faschismus und heutigen Völkermordkrieges, verurteilt werden sollte.
Ich habe das Gefühl, dass diese Instrumentalisierung der Religion, dass Religion durch Russland sogar zur Waffe gemacht wird, die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft im dritten Jahrtausend wesentlich kompromittiert. Denn wenn die christliche Kirche das Evangelium beiseiteschiebt und stattdessen einen Krieg verherrlicht, könnte das jede christliche Botschaft in Frage stellen.
Die Ideologie der "Russischen Welt" ist eine ökumenische Gefahr und Herausforderung. Wenn wir genau hinsehen, bedeutet diese Mutation der religiösen Botschaft der Russisch Orthodoxen Kirche heute die gleiche Instrumentalisierung der Religion wie durch den Islamischen Staat. Dort des Islam und hier des Christentums.
Die religiösen Vertreter der Ideologie der "Russischen Welt" versprechen die Vergebung aller Sünden, wenn man in diesem "heiligen Krieg" stirbt. Sie rechtfertigen die Anwendung von Gewalt, um ihren Standpunkt durchzusetzen, dass der "korrupte Westen" die Verkörperung des Antichristen sei. Sie erklären, dass sie die einzigen sind, die für den Kampf gegen den "unmoralischen Westen" und die heutige Zivilisation verantwortlich sind. Diese drei Punkte ähneln sehr dem Dschihadismus aus der Doktrin des Islamischen Staates.
Wenn eine christliche Kirche dazu ermutigt, andere Christen und unschuldige Menschen zu töten, dann müssen wir das verurteilen. Das sollte die gemeinsame Position aller christlichen Kirchen sein.
KNA: Haben die Christen in Westeuropa den Kurs von Patriarch Kiyill I. ausreichend verurteilt?
Schewtschuk: Ich denke, wir stehen erst am Anfang des Prozesses. Mehr als 1.000 orthodoxe Theologen haben in einer gemeinsamen Erklärung diese Art von Häresie verurteilt. Auch der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, hat gegen diese Häresie protestiert.
Ebenso die anglikanische Kirche. Der Ukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften hat einen Brief an christliche Intellektuelle weltweit geschrieben, an die päpstlichen Universitäten in Rom, an Universitäten in Europa, Kanada und den USA. In ihm rufen wir dazu auf, die Ideologie des "Raschismus" und der "Russischen Welt" zu studieren und sie offen zu verurteilen. Denn wenn wir das nicht tun, werden sie noch mehr Menschen töten. Hier geht es nicht darum, jemanden zu demütigen, sondern um die Wahrheit, Gerechtigkeit und den Schutz der Würde des menschlichen Lebens, ungeachtet der religiösen und nationalen Herkunft.
KNA: Ihr Verhältnis zu Papst Franziskus scheint ambivalent zu sein. Sie haben Franziskus beispielsweise für sein Engagement für die Rückkehr ukrainischer Kriegsgefangener und nach Russland deportierter Kinder gelobt. Andererseits haben Sie seinen Rat, die Ukraine solle den Mut haben, eine weiße Fahne zu hissen und mit Russland über ein Ende des Krieges zu verhandeln, massiv kritisiert.
Schewtschuk: Unser Verhältnis zum Papst ist sehr klar, sehr freimütig und offen. Vielleicht sind manche seiner Aussagen ambivalent und wurden durch einige Medien manipuliert. Unsere Leute nehmen den Heiligen Vater nicht hauptsächlich als Privatmann oder politischen Führer wahr, sondern als Oberhaupt der Kirche.
Wir teilen dem Heiligen Stuhl mit, welche Aussagen für uns schwer zu interpretieren sind. Wir teilen mit, dass wir als katholische Bischöfe in der Ukraine diese Botschaften klären sollten, dabei aber die Zeuge der Wahrheit und des Leidens unseres Volkes bleiben müssen.
Wir bitten den Heiligen Stuhl nicht selten um Klarstellung. Und wir haben sie erhalten.
KNA: Kommunizieren Sie jede Woche oder jeden Tag mit dem Heiligen Stuhl und Papst Franziskus?
Schewtschuk: Das kommt darauf an. Alle Kommunikationskanäle sind geöffnet. Mindestens einmal im Monat bin ich im direkten Kontakt mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Vor Zeit zu Zeit schreibe ich einen neuen Brief an den Heiligen Vater. Etwa zum Gefangenenaustausch. Ich denke, die Kommunikation ist ziemlich gut.
Es gibt ein paar Meinungsverschiedenheiten. Denn wir vertreten die lokale Situation. Und der Heilige Stuhl nimmt die universelle Position ein. Und der ständige Dialog zwischen der universellen und der lokalen Situation sollte auf sehr, sehr authentische und offene Weise geführt werden. Deshalb haben wir diese sehr aktive Kommunikation.
KNA: Glauben Sie, dass der Heilige Stuhl anfällig für russische Propaganda ist?
Schewtschuk: Jeder ist anfällig für russische Propaganda, sogar die Ukrainer. Und deshalb ist es unsere Pflicht als Christen, die Wahrheit zu bezeugen. Wir reden mit unserer Bevölkerung, wir reden mit den Deutschen, wir reden mit dem Heiligen Stuhl. Denn Moskau hat sehr, sehr effiziente Möglichkeiten, mit russischer Propaganda Einfluss zu nehmen. Und als Kirche sind wir wieder einmal David gegen Goliath. Aber wir versuchen, unseres Bestens zu tun.
KNA: Wie soll der Krieg beendet werden?
Schewtschuk: Jeder weiß, dass er beendet werden sollte. Aber er kann nicht mit der Zerstörung der ukrainischen Nation und des ukrainischen Staates beendet werden. Denn Russlands Sieg wäre eine globale Katastrophe. Und er würde keinen gerechten und echten Frieden bringen. Ein Sieg Russlands als Ende dieses Krieges wäre der erste Schritt zu einer globalen Konfrontation in einer sehr nahen Zukunft.
Das zweite Szenario, dem die Ukrainer nicht zustimmen können, ist ein eingefrorener Konflikt. Denn ein eingefrorener Konflikt würde Russland eine weitere Chance geben, die eigene Armee weiter aufzurüsten und die nächste, noch zerstörerischere Aggression gegen die Ukraine zu starten.
Der Krieg sollte so enden, dass die Aggression aufhört und der Aggressor seine Meinung ändert. Russland muss die objektive Realität anerkennen, das heißt, dass es eine ukrainische Nation mit eigener Sprache, Geschichte, Kirche, Staatlichkeit gibt. Bis jetzt ist die Ukraine für Russland kein Staat, sondern ein Territorium. Mein Traum ist, dass wir nicht nur das besetzte Gebiet und die dort gefangenen Menschen befreien. Mein Traum ist, dass ukrainische Familien aus der ganzen Welt nach Hause zurückkehren und Sicherheit und Mut haben, um in ihrer eigenen Heimat neue Generationen von Ukrainern zur Welt zu bringen.
KNA: Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., hat seine Teilnahme an der Ukraine-Konferenz Mitte Juni in der Schweiz bereits zugesagt. Sollte auch Papst Franziskus an ihr teilnehmen?
Schewtschuk: Ich habe dem Heiligen Vater einen Brief geschrieben, in dem ich die Bedeutung dieser Konferenz erkläre. Als Christen sollten wir jede Art von Friedensabkommen fördern. In der Schweiz wird die Formel für einen gerechten Frieden für die Ukraine und ein Ende des Krieges diskutiert. Wir hoffen, dass diese Konferenz eine gute Plattform für einen offenen Meinungsaustausch und die Formulierung einiger Prinzipien sein wird. Deshalb halte ich die Anwesenheit der christlichen Kirchen auf dieser Konferenz für sehr wichtig, um die Menschenwürde, die Achtung des Völkerrechts und die nukleare Sicherheit in der Welt als Prinzipien festzulegen. Diese Themen hat die katholische Kirche viele Jahre lang in ihrer Soziallehre artikuliert.
Die Stimme des Heiligen Vaters ist in diesem Dialog sehr wichtig. Und wir freuen uns sehr über die Nachricht, dass der Heilige Stuhl anwesend sein wird. Und ich denke, der Heilige Vater wird seine Botschaft auch irgendwie übermitteln. Vielleicht mit einem Brief oder mit einer Videobotschaft oder sogar mit einer direkten Video-Schaltung. Die Weisheit der Soziallehre der katholischen Kirche wird bei einem solchen Treffen sehr wichtig sein.
KNA: Wie viele Jahre wird es dauern, bis Ihre Kirche als Patriarchat anerkannt wird?
Schewtschuk: Ich weiß es nicht. Aber unsere Pflicht ist es, dieses Patriarchat aufzubauen. Und ich muss sagen, wir haben das Patriarchat bereits. Eine Patriarchatskirche zu sein bedeutet nicht nur den Titel zu haben. Es bedeutet eine bestimmte Verwaltungsstruktur, eine globale Einheit aus Metropolien. Heute haben wir in unserer Kirche acht Metropolien, so viele wie noch nie. Vier sind in der Ukraine und vier außerhalb des Landes. Und gemäß der kanonischen Tradition ist der Primas, der das Oberhaupt dieser Metropoliten ist, ein Patriarch.
Natürlich sind dreißig Jahre dieser Blütezeit ein relativ kurzer Zeitraum. Sowohl die römisch-katholische Kirche als auch die orthodoxe Kirche sollten sich indes daran gewöhnen, dass wir so funktionieren, entsprechend der Bestimmungen für die katholischen Ostkirchen. Wir haben also bereits das System der Selbstverwaltung einer Patriarchatskirche. Den Titel werden wir früher oder später bekommen.
KNA: Nehmen Sie an, dass Franziskus aus der Apostolischen Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien bald eine richtige Diözese macht.
Schewtschuk: Unsere Bischofssynode hat schon eine entsprechende Bitte an den Heiligen Vater gerichtet. Warum? Eine Exarchie ist nur die provisorische Vorstufe einer Diözese einer Ostkirche. Das ist der erste Schritt zu einer Eparchie, das heißt einer normalen Diözese.
In Europa errichtete der Heilige Stuhl nach dem Zweiten Weltkrieg fast zur selben Zeit drei Exarchate der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche: in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Exarchate von Frankreich und Großbritannien wurden bereits vor mehr als zehn Jahren zu Eparchien erhoben. Die in Deutschland nun seit 65 Jahren bestehende provisorische Strukturform eines Exarchats wirkt anachronistisch. Die Zahl der Gläubigen hier stieg wegen des russischen Angriffskriegs stark an.
Wenn der Heilige Vater 2013 den Status für Frankreich und Großbritannien geändert hat, warum sollte Deutschland diskriminiert werden?
KNA: Was erwarten Sie von den Christen in Deutschland für die Ukraine?
Schewtschuk: Geben Sie die Ukraine nicht auf. Bitte unterstützen Sie die Ukraine. Und die Ukraine wird Sie unterstützen.
Das Interview führte Oliver Hinz.