DOMRADIO.DE: Was ist eigentlich ein Ablass?
Nersinger (Vatikan-Experte und Journalist): Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Denn man kann beobachten, dass der Ablass von vielen, auch von vielen Katholiken, falsch verstanden wird. Es braucht viele Erklärungen, um den vielen negativen Gefühlen, die mit diesem Begriff verbunden sind, zu begegnen.
Grundsätzlich ist es so: Wenn wir gesündigt haben, gehen wir zur Beichte und bekommen dann durch den Priester die Lossprechung, die sogenannte Absolution. Damit ist die Schuld eigentlich getilgt.
Aber etwas salopp gesagt: Das, was ich angestellt habe, muss ich ja in irgendeiner Weise wiedergutmachen. Und diese Wiedergutmachung ist die eigentliche Sündenstrafe.
Die Sündenstrafe ist nichts anderes, als dass ich mich nach der Vergebung der Sünden bemühen muss, mein Verhältnis zu Gott und zu meinen Mitmenschen wieder ins Lot zu bringen.
Das beinhaltet auch meine Beziehung zur Gesellschaft und zur kirchlichen Gemeinschaft. Das, was ich durch meine Handlungen verletzt habe, muss ich in irgendeiner Weise wiedergutmachen. Und das geschieht eben durch die Sündenstrafen.
Diese Sündenstrafen sind für viele gar nicht so einfach zu erfüllen. Da bietet die Kirche ein Geschenk, das ist der Ablass. Durch fromme Gebete, durch Wallfahrten und gute Werke können diese Sündenstrafen getilgt werden.
DOMRADIO.DE: Wenn es aber um besonders schwere Sünden geht, wie etwa Mord, lässt sich das nicht mehr gutmachen. Oder doch?
Nersinger: Man kann einen Mord natürlich nicht ungeschehen machen. Aber man kann sich bemühen, etwas zu tun, was das Geschehene wieder etwas abmildert. Damit auch wieder eine Beziehung besteht, beispielsweise zu den Verwandten des Ermordeten oder auch zu der Gesellschaft als Ganzes.
Man sagt gewissermaßen: Ich habe hier etwas falsch gemacht und nehme es auf mich, diese verletzten Beziehungen in irgendeiner Weise zu bereinigen. Das zu formulieren, ist schwer. Aber durch den Ablass stehe ich für diese Vergehen ein, auch nach meiner Vergebung.
DOMRADIO.DE: Ende des Jahres beginnt das Heilige Jahr. Jetzt ist von sogenannten Ablass-Tarifen, die es im Heiligen Jahr geben soll, die Rede. Können Sie dafür Beispiele nennen?
Nersinger: Der Begriff "Tarife" ist leider schlecht gewählt. Das erinnert an die Zeit, in der Luther gegen gewisse Ablassformeln gepredigt hat. Damals wurde die Peterskirche gebaut und die Päpste waren in Geldnot, weil dieser Bau Unsummen an Geld verschlang.
Deshalb hat man gesagt, dass auch ein Ablass durch Geldspende möglich ist. Das per se ist gar nichts Schlechtes, sondern eine gute Tat. Aber es hat Leute gegeben, die das ausgenutzt haben. Darauf haben die sogenannten Ablassprediger reagiert. Berühmt ist der Satz: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!".
Die Ablassprediger haben diesen Unterschied zwischen Sündennachlass und Sündenstrafen manchmal sehr stark verwässert. So entstand der Eindruck, man könne die Sünden durch Geldspenden eliminieren.
Das ist natürlich falsch, aber dieser Eindruck ist eben entstanden. Tatsächlich hat die Kirche dann schon nach einigen Jahrzehnten darauf reagiert und diese Art des Ablasses wieder abgeschafft. Trotzdem haben die mit dem Ablass verbundenen Skandale die Reformation befeuert.
DOMRADIO.DE: Heute bezeichnen gewisse Stimmen Papst Franziskus als "Ablassanhänger". Warum?
Nersinger: Das ist eigentlich gut verständlich. Der Papst hat den Begriff der Barmherzigkeit hervorgehoben. In diesem Zusammenhang ist auch der Ablass zu sehen.
Er will sagen, dass wir den Ablass brauchen, um uns wieder in der Gesellschaft zu integrieren. Denn es gibt viele Leute, die können ihre Bußauflagen nicht erfüllen. In solchen Fällen bieten fromme Gebete, Wallfahrten und ähnliche Aktionen die Möglichkeit, diese Sündenstrafen zu tilgen oder zumindest zu mindern.
Denken wir an die Heilige Pforte, die wir nun im Heiligen Jahr haben. Durch das Durchschreiten der Heiligen Pforte und durch Gebete trete ich ja mit jedem Durchgehen in eine neue Wirklichkeit ein. In diesem Sinne soll der Ablass ein Geschenk der Kirche darstellen, gerade durch einen Papst, für den Barmherzigkeit ein solch wichtiger Faktor ist.
Das Interview führte Oliver Kelch.