DOMRADIO.DE: "Mens sana in corpore sano" ist eine lateinische Redewendung, die besagt, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt und sich dort auch am wohlsten fühlt. Ist eine Auszeit für Körper und Seele wieder oder immer noch ein gelingendes Konzept?
Schwester Ursula Hertewich OP (Dominikanerin im Kloster Arenberg in Koblenz): Ich glaube immer noch, weil das nämlich lange Jahre nicht so berücksichtigt wurde, welche Rolle der Leib auch für die Seele spielt.
Wir kennen alle diese Strömungen, wo das Gegeneinander ausgespielt wird. Was aber die Erfahrung auch der letzten Jahre zeigt, ist das Zusammenspiel, das für ganzheitliche Erholung sorgt und dass der Mensch sich da als ganze Person wirklich aufrichtet. Das ist super wichtig.
DOMRADIO.DE: Sie begleiten Ihre Gäste im Kloster Arenberg, dem Mutterhaus der Arenberger Dominikanerinnen, bei einem Besuch auch seelsorgerisch. Was erwartet die Menschen und wie kommen Sie mit ihnen in Berührung?
Schwester Ursula: Es gibt hier einen Raum, um da zu sein, persönliche Themen zu betrachten, sich an Leib und Seele zu erholen. Das erwartet alle. Wie der Aufenthalt gestaltet wird, ob das ein richtiger Klosteraufenthalt mit dem ersten Gebet morgens um 6:30 Uhr und abends am Ende das Nachtgebet ist oder ob sie hierher kommen und beispielsweise einfach die Zeit im Schwimmbad, den Garten oder das feine Essen genießen, ist den Menschen, die hierher kommen, ganz frei überlassen.
Die meisten nehmen eine Mischung. Sie nehmen die Impulse wahr, kommen ins Gebet oder gehen ins Vitalzentrum. Die meisten nutzen viel. Wir kommen durch unsere zahlreichen Seelsorgeangebote in Berührung.
Das ist meine Hauptnahtstelle zum Gästehaus, dass wir Gespräche führen, Impulse geben, Gesprächskreise führen, bei denen wir viel voneinander hören.
DOMRADIO.DE: Jetzt leben wir in einer Zeit, in der gefühlt die Sorgen der Menschen immer mehr zunehmen. Themen, die bedrücken, bringen die Menschen logischerweise mit in Ihre Klostermauern. Wie gehen Sie selbst mit dem um, was Ihre offenen Ohren, die Sie Ihnen schenken, aufnehmen und was Sie während Ihrer Arbeit erfahren?
Schwester Ursula: Ich selber bin von diesem Geschehen der Zeit nicht unberührt, sondern bin auch suchend und fragend unterwegs. Meine Erfahrung ist, dass es oft Hoffnungsgeschichten sind, die die Menschen erzählen. Man stellt sich Seelsorge immer bedrückend schwer vor.
Ich erlebe aber auch, dass Menschen ganz oft zu uns den Weg in ganz schwierigen Krisensituationen finden. Einige Jahre später sind sie noch mal da und man hört, wie das Leben sich wieder Bahn gebrochen hat, wie das wirklich wieder aufgeblüht ist, wo ich selber manchmal gar keine Hoffnung hatte.
Das macht mich auch wieder stark, andere Menschen in Situationen zu begleiten, in denen es gefühlt erst mal keinen Ausweg gibt. Mir hilft das Gebet persönlich sehr, dass wir dreimal am Tag als Schwesterngemeinschaft zum Gebet zusammenkommen, wo ich alles wieder diesem Gott übergebe, der der Chef ist. Das hilft mir sehr.
DOMRADIO.DE: Man muss aus den gewohnten Abläufen im Alltag brechen, um wieder zu sich selbst zu finden. Man kann sagen, dafür braucht man nicht unbedingt den Glauben. Zumindest raten auch profane Coaches oder Therapeutinnen dazu. Was halten Sie dagegen?
Schwester Ursula: Für mich spielt das eine ganz existenzielle Rolle, welchen Blick ich auf mein Leben richte. Meine größte Kraftquelle ist zum Beispiel die Gewissheit, dass unser Leben kein Zufallsprodukt ist. Das ich nicht zufällig hier in diese Welt hineingefallen bin, sondern dass es den einen gibt, der mich gewollt hat, der mich in dieses Leben hinein geliebt hat.
Für mich ist diese Wirklichkeit wie das Vorzeichen über dem ganzen menschlichen Leben. Ich muss meinen Sinn nicht beweisen, der ist durch Gott gegeben. Ich brauche mir keine Gedanken zu machen, warum es mich gibt. Sondern es gibt den, der mich gewollt hat. Das ist für mich das Entscheidende, was den Glauben von anderen Weltanschauungen unterscheidet.
Es gibt diesen Schöpfer, der mich ins Leben gerufen hat und das ist auch meine Verantwortung, mit diesem Leben gut umzugehen. Es ist eher so, das eigene Leben im Lichte Gottes zu betrachten. Das macht für mich einen ganz entscheidenden Unterschied.
DOMRADIO.DE: Für Sie als Dominikanerin ist das selbstverständlich, aber wie spirituell, gläubig oder auch katholisch müssen die Besuchenden sein, um bei Ihnen eine solche Auszeit nehmen zu dürfen? An wen wenden Sie sich mit Ihrem Angebot?
Schwester Ursula: An alle. Es ist wirklich so. Ich glaube, die wenigsten Gäste bei uns sind klassisch katholisch sozialisierte, regelmäßige Kirchgänger. Es kommen auch viele evangelische Christen. Ich merke das vor allen Dingen in Gesprächen, weil sich viele entschuldigen, dass sie evangelisch sind. Das ist natürlich gar kein Thema.
Aber es kommen auch sehr viele, die aus der Kirche ausgetreten sind, die ihr vor Jahren den Rücken gekehrt haben und die trotzdem diese Gottsuche nicht aufgegeben haben. Die fragen trotzdem nach dem Sinn des Lebens oder vielleicht gerade deshalb. Der Gäste-Pool ist ganz bunt gemischt und genau das macht für mich die Würze aus. Es ist eine sehr schöne Kombination von suchenden Menschen.
DOMRADIO.DE: Was raten Sie, um ein wenig von dieser Auszeit auch im Alltag bei sich zu Hause nachempfinden zu können oder erreichen zu können? Vielleicht auch schon im Vorfeld?
Schwester Ursula: Manchmal braucht es gar nicht viel, um den Alltag so zu strukturieren, dass er mich nicht total ausbremst, sondern auch meinem Leben dient. Ich persönlich bin auch sehr gefährdet, weil ich finde, wer für einen Beruf brennt, ist auch immer gefährdet auszubrennen.
Mir helfen im Alltag manchmal kurze Momente des Innehaltens. Alleine fünf Mal am Tag kurz Stopp zu sagen. Ich mache das meistens bei mir auf der Treppe, um kurz zu fragen, wie es mir gerade geht. Ich kann wahrnehmen, was für Gefühle da sind, um so dem eigenen inneren Leben Raum zu geben und nicht einfach im Alltag durchzurennen.
Bei kurzen Stoppmomenten sage ich gerne: "Ich verwurzel mich ab und zu mal kurz im Himmel." Ich mache mir gewiss, in der Gegenwart Gottes zu sein. Ich merke schon, dass sich das ganze Lebensgefühl ändert. Dafür brauche ich nicht jeden Tag eine Stunde zu meditieren. Das hilft auch, aber es geht auch mit kleineren Schritten, da sich ein anderes Lebensgefühl einstellt und ich ein anderes Gefühl für meine inneren Prozesse bekomme.
Das Interview führte Bernd Hamer.