Historiker klärt über "konfessionelle" Bratwürstchen auf

"Die Konfessions- und Bratwurstgrenzen sind identisch"

Sie sind in Därme gefüllt, gewürzt, zu einem Fleischbrei zerkleinert und vom Schwein oder vom Rind. Was auf den Grill kommt, ist oftmals ein Rätsel. Und manchmal hat es sogar mit Glaubensfragen zu tun, erklärt Christian Boseckert.

Autor/in:
Clemens Sarholz
Bratwürste / © Mironov Vladimir (shutterstock)

DOMRADIO.DE: In Franken unterscheidet man tatsächlich zwischen katholischen und evangelischen Bratwürsten. Was hat es damit auf sich? 

Christian Boseckert (Historiker und Coburger Stadtheimatpfleger): In Franken gibt es zunächst einmal unterschiedliche Bratwürste und diese Unterschiede lassen sich vor allem auch an der Konfessionsgrenze festmachen. Franken ist ja seit der frühen Neuzeit bikonfessionell, also evangelisch und katholisch.

DOMRADIO.DE: Man spricht häufig von einem Weißwurstäquator. Könnte man auch von einem konfessionellen Äquator sprechen? 

Boseckert: Ja, zum Teil schon. In manchen Gegenden sind die konfessionellen Grenzen und die Bratwurstgrenzen identisch.

DOMRADIO.DE: Wie unterscheiden sich diese Würstchen? 

Christian Boseckert

"Eine evangelische Bratwurst, ist etwas länger und gröber, die katholische Bratwurst ist eher klein und fein."

Boseckert: Eine evangelische Bratwurst ist etwas länger und gröber, die katholische Bratwurst ist eher klein und fein. Das Brötchen macht auch einen Unterschied. In evangelischen Gegenden wird das Brötchen oben aufgeschnitten, in den katholischen Gegenden wie Kronach von der Seite.

Und es gibt weitere Unterschiede in der Herstellung. Während in Coburg die Bratwürste zunächst roh hergestellt und dann auf offener Flamme durchgegart werden, werden die katholischen Bratwürste häufig erst im heißen Wasser gegart bevor sie auf den Rost kommen. Dementsprechend schmecken die auch komplett anders. 

DOMRADIO.DE: Diese Unterschiede sollen auch damit zu tun haben, dass die Katholiken immer ein bisschen mehr Geld hatten und sich diese feine Wurstkutterung einfach besser leisten konnten. Ist da was dran? 

Boseckert: Das wäre schon möglich. Die feinen Unterschiede beruhen auf kulturellen Phänomenen, die natürlich auch religiös beeinflusst sind. 

DOMRADIO.DE: Wie meinen Sie das? 

Boseckert: Gerade im Coburger Bereich gibt es scharfe kulturelle und religiöse Abgrenzungen. Coburg grenzt an zwei Hochstiftern, an Bamberg und Würzburg. Diese scharfen Trennungen, die mit der Reformation kamen, sind im 30-jährigen Krieg noch verstärkt worden. Das spürt man bis heute. In Franken war es beispielsweise bis in die 1970er-Jahre sehr schwierig zwischen den Konfessionen zu heiraten. Da war die erste Frage immer, ob der- oder diejenige evangelisch oder katholisch ist. Und wenn es die falsche Religion war, war die Hochzeit häufig schon gelaufen.

Man kann diese scharfen konfessionellen Abgrenzungen sogar in der Landschaft wiederfinden. Im katholischen Raum gibt es einige Wallfahrtskirchen. Man hat dieses katholische Brauchtum, auch mit den Mariendarstellungen. Das fehlt in Coburg und in den Territorien, die evangelisch geprägt sind, komplett.

DOMRADIO.DE: Haben die Unterschiede in der Beschaffenheit der Wurst auch damit zu tun, dass Protestanten die feine Bratwurst als Luxus und überflüssigen Tand abgetan haben?

Christian Boseckert

"Gerade in der Zeit des Pietismus hat man überflüssigen Schnickschnack einfach abgelehnt."

Boseckert: Das wäre eine pietistische Einstellung. Aber das kann ich mir durchaus vorstellen. Gerade in der Zeit des Pietismus gegen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts hat man überflüssigen Schnickschnack einfach abgelehnt. Das sehen wir beispielsweise an der Ausgestaltung der Kirchen. Im protestantischen Raum sind die wesentlich schlichter im Vergleich zu den katholischen Kirchen.

Schauen Sie sich die Barockzeit an. Da waren die Protestanten schon immer etwas zurückhaltender. Und ich halte es für gut möglich, dass es auch im Falle der Bratwürste so gewesen ist.

DOMRADIO.DE: Gibt es zu den verschiedenen Bratwürstchen auch verschiedene Genussempfehlungen? 

Boseckert: Ja, die gibt es tatsächlich. Das ist allerdings schon fast eine Glaubensfrage. Der Coburger isst seine Bratwurst beispielsweise eher ohne Senf, während der Auswärtige oder der Tourist seine Bratwurst eher mit Senf verspeist.

Und hier gibt es auch die "Sauren Zipfel". Dafür werden Bratwürste aus Nürnberg, einer evangelisch geprägten Gegend, in einem Essigsud gegart oder man isst sie nicht nur als Fastfood auf der Straße, sondern in der Gastwirtschaft mit Brot und Sauerkraut oder im Brötchen. Nürnberger Bratwürste sollten immer zu Dritt in der Semmel vertreten sein. 

DOMRADIO.DE: Gibt es die Würstchen auch schon als vegetarisches Imitat?

Boseckert: Hier in Coburg kenne ich sie nicht.

Das Interview führte Clemens Sarholz.

Reformation

Am 31. Oktober gedenken Protestanten der Reformation. Die Reformation (lateinisch: Umgestaltung oder Erneuerung) gehört zu den wichtigsten politischen und geistesgeschichtlichen Umwälzungen in Europa. Am Übergang zwischen Mittelalter und der frühen Neuzeit beendete sie im 16. Jahrhundert die Vorherrschaft des Papstes. Katholische Kirche und Teile des Adels verloren an Macht, neue protestantische Kirchen entstanden. Gestärkt wurden damit auch das städtische Bürgertum und die Landesherren.

Reformationstag (dpa)
Reformationstag / ( dpa )
Quelle:
DR