Warum trotzt die Piusbruderschaft bischöflichen Verboten?

"Katholische Kirche in ihrem Sinne verändern"

Die Piusbrüder haben aktuell das Priesterweihen-Verbot durch den Regensburger Bischof ignoriert. Was treibt die Bruderschaft an und warum anerkennt sie bei allem Streit den Papst? Experte Thomas Schmidinger erklärt ihre Gedankenwelt.

Messe im Priesterseminar der Piusbruderschaft / © Maria Irl (KNA)
Messe im Priesterseminar der Piusbruderschaft / © Maria Irl ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Piusbrüder auf dem Gebiet des Bistums Regensburg haben fast gelangweilt auf das Verbot durch Bischof Voderholzer reagiert und gesagt, der würde jedes Mal ihre Priesterweihen verbieten, diesmal wäre es nur öffentlich geworden. Warum geben die Piusbrüder so wenig auf ein bischöfliches Verbot?

Dr. Thomas Schmidinger (privat)
Dr. Thomas Schmidinger / ( privat )

Dr. Thomas Schmidinger (Buchautor, Politikwissenschaftler und Kulturanthropologe): Die Piusbrüder sind der Meinung, dass die römisch-katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Pfad der reinen Lehre verlassen hat. Gleichzeitig sind sie strategisch darauf ausgerichtet, die existierende katholische Kirche von innen heraus in ihrem Sinne zu verändern. Gewissermaßen gilt es aus ihrer Sicht die Kirche zu unterwandern, um sie wieder zurück auf den rechten Pfad zu bringen. Sie sind der Meinung, dass die gegenwärtige Führung der katholischen Kirche vom richtigen Weg abgekommen ist und das dies zu korrigieren wäre.

Thomas Schmidinger

"Sie sind der Meinung, dass die gegenwärtige Führung der katholischen Kirche vom richtigen Weg abgekommen ist."

Die Piusbrüder sind aber keine sogenannte sedisvakantistische Gruppierung, die den Papst nicht anerkennt. Sie sind auch keine sogenannte konklavistische Gruppierung, die einen Gegenpapst gewählt hätte. Erzbischof Marcel Lefebvre, der Gründer der Piusbruderschaft, hat solche Gruppierungen immer aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen. 

Erzbischof Marcel Lefebvre bei der Bischofs- und Priesterweihe 1988 (KNA)
Erzbischof Marcel Lefebvre bei der Bischofs- und Priesterweihe 1988 / ( KNA )

Innerhalb der Piusbruderschaft spricht man von "Recognize and Resist". Also den Papst als Papst anerkennen und damit auch die Legitimität der katholischen Kirche anzuerkennen, aber gleichzeitig nicht auf seine Anweisungen und die Anweisungen anderer Amtsträger innerhalb der katholischen Kirche zu achten. Das heißt, die Piusbruderschaft macht ihr eigenes Ding. Das ist ihre Grundhaltung. Sie versuchen mit allen Mitteln innerhalb der katholischen Kirche zu bleiben, aber ignorieren diverse Anordnungen, die sie in ihrer Handlungsfreiheit einschränken.

DOMRADIO.DE: Die Priesterbruderschaft St. Pius X. - wie die Piusbrüder offiziell heißen - will vor allem die Messe in vorkonziliare Form feiern und ist skeptisch der Moderne gegenüber. Sind die Piusbrüder denn überhaupt eine Bedrohung?

Blick ins Missale Romanum / © travelarium.ph (shutterstock)
Blick ins Missale Romanum / © travelarium.ph ( shutterstock )

Schmidinger: Die Piusbrüder sind sicher noch keine Bedrohung für die Demokratie. Wahrscheinlich auch noch nicht für die real existierende katholische Kirche. Die Piusbruderschaft setzt aber auf eine langfristige Strategie. Wenn man die aktuellen Trendlinien auf lange Sicht weiterzeichnet, ist es so, dass die Piusbrüder und andere traditionalistische Gruppierungen, die heute innerhalb der katholischen Kirche am Rand stehen, wachsen, während der katholische Mainstream schrumpft. Wenn die eher liberalen oder linksgerichteten Katholikinnen und Katholiken die Kirche verlassen, dann wird der relative Raum für diese Traditionalisten und Traditionalistinnen größer.

Thomas Schmidinger

"Die Piusbruderschaft ist stramm organisiert und verfolgt ein strukturelles Projekt mit dem Ziel, die katholische Kirche zurückerobern zu wollen."

Die Piusbruderschaft ist stramm organisiert und verfolgt ein strukturelles Projekt mit dem Ziel, die katholische Kirche zurückerobern zu wollen. Im Moment sind sie sicher noch eine Minderheit. Wenn wir an den Anlass unseres Gesprächs denken - die Priesterweihen von Anhängern der Piusbruderschaft, dann machen diese Priesterweihen einen erklecklichen Anteil der neuen Weihen innerhalb der katholischen Kirche aus. 

Die Piusbrüder versuchen gezielt innerhalb der Hierarchie und dem Klerus der katholischen Kirche Fuß zu fassen. Die Idee dahinter ist, dass irgendwann die aus Sicht der Piusbruderschaft laschen Christen, die Liberalen und Linken, alle aus der Kirche "hinausgegraust" wurden, dann können die Piusbrüder den "sturmreifen" Haufen übernehmen. Wenn wir auf die derzeitige Entwicklung blicken und diese langfristig anhält, ist das mittelfristig kein völlig unrealistisches Ziel, da tatsächlich der liberale und progressive Teil der katholischen Kirche zunehmend schrumpft.

DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie dann aktuell ein Risiko durch die Piusbruderschaft?

Schmidinger: Im Moment ist die Piusbruderschaft primär eine Gefahr für die Kinder und Jugendliche, die in solchen Familien aufwachsen, weil man versucht, diese Jugendlichen von der Gesellschaft und von anderen katholischen Strukturen fernzuhalten, um so eine Parallelgesellschaft aufzubauen. 

Thomas Schmidinger

"Man versucht, diese Jugendlichen von der Gesellschaft und von anderen katholischen Strukturen fernzuhalten, um so eine Parallelgesellschaft aufzubauen."

Dafür werden eigene Internatsschulen geführt oder es gibt Homeschooling. Auch mit eigenen Jugend- und Pfadfinderorganisationen werden Kinder und Jugendliche von klein auf indoktriniert und ihnen so Lebenschancen und Entscheidungsmöglichkeiten genommen. Ausführlicher ist das meinem Buch zum Thema zu entnehmen. Aktuell sind die Piusbrüder nur für die Menschen ein Problem, die in diesen Familien aufwachsen. 

Es ist noch nicht so weit, dass sie die katholische Kirche übernehmen oder gar die Gesellschaftsordnung, die ihnen mit katholischer Staatsreligion und einem mehr oder weniger monarchistisch verfassten katholischen Europa vorschwebt, errichten könnten. Davon sind die Piusbrüder sehr weit entfernt.

DOMRADIO.DE: Die Parlamentswahl in Frankreich hat gezeigt, dass Parteien mit rechtspopulistischen bis rechtsextremen Ansichten derzeit erhebliche Zustimmung erfahren. Wie bewerten Sie in diesem Kontext traditionalistischen Strömungen in der Katholischen Kirche?

Marine Le Pen vom Rassemblement National / © Thomas Padilla (dpa)
Marine Le Pen vom Rassemblement National / © Thomas Padilla ( dpa )

Schmidinger: Insbesondere in Frankreich gibt es enge Verbindungen zwischen der Piusbruderschaft und der politischen Rechten. Marine Le Pen vom Rassemblement National hat ihre Kinder in einer Gemeinde der Piusbruderschaft taufen lassen. In Frankreich gibt es eine enge Beziehung zwischen der extremen Rechten und dem katholischen Traditionalismus. Diese Beziehung ist aber in jedem Staat anders, weil es davon abhängt, wie die extreme Rechte orientiert ist.

Thomas Schmidinger

"In Frankreich war die extreme Rechte immer stark katholisch, weil sie sich gegen die Französische Revolution und deren Werte, insbesondere den Laizismus gewendet hat."

In Frankreich war die extreme Rechte immer stark katholisch, weil sie sich gegen die Französische Revolution und deren Werte, insbesondere den Laizismus gewendet hat. In Österreich ist die extreme Rechte traditionellerweise deutschnational und antikatholisch, weil wir mit dem Austrofaschismus ein eigenes autoritär-katholisches Regime hatten, gegen das die Nazis waren. 

In Deutschland ist es noch komplizierter, weil Deutschland katholische und protestantische Regionen hat. Daher haben sich die Rechte und der Nationalsozialismus klassisch deutschnational und eher antikatholisch orientiert. Insofern gibt es in jedem Land unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen.

In den letzten Jahren ist auch in Staaten, in denen es traditionellerweise eine Rivalität zwischen katholischem Konservativismus und Traditionalismus und der extremen Rechten gibt, ein gewisses Zusammenwachsen beider Strömungen zu bemerken.

In Österreich hat sich zum Beispiel vor kurzem ein prominenter Aktivist der Identitären in einer Gemeinschaft der Piusbruderschaft taufen lassen. Er tritt jetzt als katholischer Traditionalist und weiterhin als identitärer Aktivist auf. So gibt es deutliche Berührungspunkte. Ein weiteres Beispiel ist der ehemalige FPÖ-Politiker Ewald Stadler, der eine Zeit lang bei der Piusbruderschaft war.

In Deutschland ist der Rechtsextremismus weniger stark katholisch ausgerichtet, weil er in protestantisch dominierten Gebieten aktiv ist. Dort gibt es teilweise auch Überschneidungen mit evangelikal extremistischen Gruppierungen. Im Großen und Ganzen bleibt der deutsche Rechtsextremismus aber eher antiklerikal und findet sogar teilweise mit neuheidnischen, esoterischen Gruppierungen zusammen. Daher sehe ich für Deutschland noch nicht viele Überschneidungen.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie angesichts der allgemeinen Entwicklung in Europa und angesichts der Polarisierung in Politik und Gesellschaft Chancen, dass Gruppen wie die Piusbrüder nicht die Kirche übernehmen, sondern umgekehrt wieder vollständig in die katholische Kirche zurück integriert werden?

Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Schmidinger: Eine Re-Integration der Piusbrüder in die gegenwärtige katholische Kirche kann ich mir aktuell nicht vorstellen. Ich kann verstehen, warum eine Volkskirche immer wieder versucht, diese Ränder in der Kirche zu halten. Die Sicht der Piusbrüder auf die Welt, die eigene Religion und auch auf andere Religionen ist mit Sicherheit aber so fundamental anders als die Sicht des gegenwärtigen Papstes auf Politik, Gesellschaft und Religion, dass ich mir das nicht vorstellen kann.

Das Interview führte Mathias Peter.

Info: Dr. Thomas Schmidinger ist Autor des Buches "Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist" Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich, erschienen im Mandelbaum Verlag.

Traditionalisten - Piusbrüder und Petrusbrüder

Traditionalisten sind Anhänger der katholischen Kirche, die sich gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wenden. 

Zu unterscheiden ist zwischen Gruppierungen, die sich in kämpferischem Widerspruch zur nachkonziliaren Kirche sehen, und denen, die zwar traditionalistisch denken, aber mit dem Papst verbunden bleiben wollen.

Piusbrüder / © Paul Haring (KNA)
Piusbrüder / © Paul Haring ( KNA )

 

Quelle:
DR