Konstruktiver Talk über Queersein in der katholischen Kirche

"Jesus war auch nicht bei den Leuten im Schlafzimmer"

Unter der Überschrift "God meets Gays" hatte das Stadtdekanat Köln zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Dragqueen Cassy Carrington moderierte den Abend, der die katholische Sexualmoral kritisch unter die Lupe nahm.

Autor/in:
Johannes Schröer
"God meets Gays" - Kirchentalk im Domforum / © Johannes Schröer (DR)
"God meets Gays" - Kirchentalk im Domforum / © Johannes Schröer ( DR )
Publikum beim Kirchentalk "God meets Gays" im Domforum / © Johannes Schröer (DR)
Publikum beim Kirchentalk "God meets Gays" im Domforum / © Johannes Schröer ( DR )

"Einfach mal still sein. Aufhören mit der Beurteilung von Sexualität". Msgr. Robert Kleine empfiehlt der katholischen Kirche Schweigeexerzitien. Denn die Kirche, so der Kölner Stadtdechant, habe in ihrer Sexualmoral auf einem sehr hohen Ross gesessen. Umso tiefer sei der Fall jetzt. "Laut Bibel war Jesus auch nicht bei den Leuten im Schlafzimmer", sagte er und bekam für seinen Vorschlag viel Applaus.

Viel Kritik im Vorfeld

"God meets Gays" hieß der Kirchentalk am Mittwoch im Kölner Domforum, ein Diskussionsabend im Rahmen der "Cologne Pride", eine Veranstaltungsreihe, die in der Woche vor der Christopher Street Parade in Köln stattfand.

Stadtdechant Kleine hatte die Idee für dieses Podium, er wusste aber auch, dass das Thema in katholischen Kreisen nicht ganz reibungsfrei ist. Auf die Bühne hatte er als Moderatorin Dragqueen Cassy Carrington eingeladen, sowie als Gesprächspartner Ken Reise (alias Julie Voyage) und die Leiterin der katholischen Telefonseelsorge, Annelie Bracke.

Soweit vorweg: die Veranstaltung verlief ohne Störgeräusche, sondern konstruktiv im Dialog. Ein großer Stein sei ihm da vom Herzen gefallen, sagte Kleine am Ende des Abends. Im Vorfeld musste er viele kritische und auch hasserfüllte Stimmen ertragen. Eine dubiose Plattform hatte den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Internet dazu aufgefordert, die Veranstaltung zu verbieten. Angeblich hatte diese homophobe Plattform über 20.000 Unterzeichner gesammelt, aber überprüfen lässt sich das nicht.

Ist Homosexualität Sünde? Was sagt die Bibel

"Ich danke ihnen für den Spagat, den sie hier unternehmen", sagte eine Besucherin später. Denn natürlich musste sich Kleine auch kritischen Fragen in Bezug auf die katholische Sexualmoral stellen. Ein grimmiger älterer Herr las dem Podium aus der Bibel vor, in der Homosexualität als Sünde diskriminiert wird. "In der Bibel, besonders im Alten Testament, finden sich viele Texte, die uns heute fremd anmuten", parierte ein Besucher den Vorwurf und empfahl hier, mit einem exegetisch kritischen Ansatz den Hintergrund auszuleuchten. 

Regens Msgr. Salvador Pane leitet das Redemptoris Mater seit über 20 Jahren / © Beatrice Tomasetti (DR)
Regens Msgr. Salvador Pane leitet das Redemptoris Mater seit über 20 Jahren / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Unter den über 80 Teilnehmern im Publikum saßen auch drei Priester des Kölner Priesterseminars "Redemptoris Mater", darunter auch der Leiter des Seminars, Salvador Pane. Der Diskussion hätte es sicher gutgetan, wenn sich auch einer von ihnen zu Wort gemeldet hätte, um die katholische Sexuallehre zu erklären, die ein streng binäres Geschlechtsbild vertritt: "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau", so die Lehre der katholischen Kirche. So blieb es die Aufgabe von Stadtdechant Kleine, den Ist-Stand der katholischen Sexuallehre plausibel zu machen und es gelang ihm sehr souverän, die Sollbruchstellen zu markieren, inklusive Ausblick nach vorn - davon später mehr. 

Ein Türspalt ist offen

"Dass die katholische Kirche diesen Dialog möglich macht, zeigt doch, dass sich in der Kirche schrittweise etwas bewegt", freute sich Dragqueen Cassy Carrington. Als sie angefragt wurde, die Veranstaltung zu moderieren, habe sie sofort zugesagt.

Dom- und Stadtdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dom- und Stadtdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Apropos schrittweise. Auch Msgr. Kleine ist davon überzeugt, dass sich ein, wie er sagt, Türspalt in der Kirche geöffnet habe. Er meinte damit, das Papier "Fiducia supplicans", das katholischen Priestern erlaubt, homosexuelle Paare zu segnen. "Aber ein Türspalt reicht den Menschen nicht", antwortete Annelie Bracke, "es braucht hier viel mehr". 

Wir haben eine frohe Botschaft

Und immer wieder – auch an diesem Abend – tauchte das Argument auf, dass durch eine Veränderung in der Sexualmoral die Einheit der Weltkirche gefährdet sei, weil eben Europa nicht Afrika sei und Köln nicht der Vatikan. Es gelte zwar auf die Einheit der Kirche Rücksicht zu nehmen, sagte Kleine, es könne aber doch auch in einer Einheit eine Vielfalt geben. "Ich persönlich habe den Wunsch, dass sich da etwas ändert", drückte der Stadtdechant seine Hoffnung aus. "Denn wir haben eine frohe Botschaft", so sein Credo, "die Kirche ist doch nicht der erhobene Zeigefinger Gottes."

Homosexuelles Paar in einer Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Homosexuelles Paar in einer Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )

Der Tenor des Abends: Zeit wird es, dass sich in der Kirche etwas tut. Aber auch, so betonte eine Besucherin, in der säkularen Gesellschaft habe es bis ins Jahr 2018 gedauert, bis unter großem Widerstand gleichgeschlechtliche Paare die Zivilehe eingehen durften. Und in der Kirche? "Was wir hier diskutieren, ist doch völlig marginal", merkte jemand frustriert an, es interessiere keinen normalen Menschen mehr, was die Kirche zur Homosexualität sage.

Und dann meldete sich Schwester Maria Corda zu Wort, sie ist 95 Jahre alt und mit allen katholischen Wassern gewaschen. Lange war sie Direktorin der Kölner Liebfrauenschule. "Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Es kommt auf uns an", forderte sie. Zum Abschluss des Abends sang Dragqueen Cassy Carrington "True Colors", eine Hymne der Schwulen- und Lesbenbewegung – und fast alle im Domforum sangen mit. 

Quelle:
DR