DOMRADIO.DE: Sie hatten ja schon im Vorhinein mit einem großen Andrang gerechnet. Wie war es am Sonntag?
Pfarrer Daniel Lerch (Pfarrei St. Peter in München): Es hat alle Erwartungen übertroffen. Wir hatten weit über 700 Leute in unserer kleinen Kirche und da hat wirklich niemand mehr reingepasst. Die Menschen kamen jetzt nicht nur aus München und aus der näheren Umgebung von München, sondern die kamen wirklich teilweise hunderte Kilometer angefahren aus Baden-Württemberg, aus Hessen und aus Thüringen. Also es war interessant, wie weit die Menschen da angereist sind.
DOMRADIO.DE: War das dann nur am Abend oder haben sich die 700 Besucher über den Tag verteilt?
Lerch: Nein, das war eigentlich ein ziemlich kompaktes Programm. Um 17 Uhr hatten wir die Messe und im Anschluss dann einen Vortrag über das Leben des Seligen Carlo. Dann gab es den Einzelreliquiensegen, wo man sich mit dieser Herzreliquie den persönlichen Segen zusprechen lassen konnte. Allein diese Segnung hat weit über zwei Stunden gedauert, bis dann wirklich jeder dran war.
Die Leute haben sehr geduldig gewartet und ausgeharrt. Auch kleine Kinder standen noch bis spät abends in der Schlange an mit ihren Eltern. Es war sehr ergreifend zu sehen, wie andächtig und ehrfürchtig die Menschen diesen Segen empfangen haben.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn dafür Rückmeldungen bekommen von den Eltern und Kindern?
Lerch: Ich habe jetzt gar nicht mit so vielen Leuten gesprochen, aber ich habe die Gesichter gesehen während des Segnens. Es sind auch Tränen geflossen. Die Menschen waren ganz fröhlich und freudig nach dem Segen. Das war ein intensives Erleben.
DOMRADIO.DE: Wie genau muss man sich diese Herzreliquie vorstellen? Befindet sich das ganze Herz in diesem Reliquiengefäß?
Lerch: Es war tatsächlich nicht das ganze Herz, sondern ein kleines Stück vom Herzbeutel. Und das ist in einem etwa 20 Zentimeter großen Zeigegefäß drin. Dieses Gefäß ist extra so konstruiert, dass man es wirklich auf das Haupt auflegen kann.
DOMRADIO.DE: Wenn man das jetzt so hört, dass ein Herz auf Deutschlandtour ist, dann ist das im 21. Jahrhundert mit einem etwas anderen Verständnis von Körperlichkeit vielleicht etwas befremdlich. Wie können wir den Reliquienkult heute gut vermitteln?
Lerch: Ich hätte es auch so nicht erwartet, aber es scheint doch ein ganz tief sitzendes Bedürfnis im Menschen nach etwas Gegenständlichem zu geben. Dass man etwas berühren kann, dass man irgendwie mit Gott in Verbindung gebracht wird, nicht nur auf einer ideellen Art und Weise, das braucht der Mensch. Das glaube ich ganz tief, und das habe ich jetzt wieder neu erfahren.
Die Heiligen haben immer die Aufgabe, uns zu Jesus zu führen. Es geht ja nicht darum, dass wir bei den Heiligen stehen bleiben, sondern es ist immer der Weg zu Jesus. Und genauso ist es bei den Reliquien. Die Reliquie an sich ist nicht das Thema, sondern dass sich Gott dieser Reliquie bedient, um uns das Heil zukommen zu lassen. Genauso wie er sich jedes Menschen bedienen kann, genauso wie er sich der Heiligen bedient hat. Und warum sollte das mit dem Tod eines Heiligen enden?
Gott kann eigentlich alles nutzen und gebrauchen, um uns seine Gnade zu schenken. Und ich glaube, - das hat auch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt - es ist gut, dass wir Bilder und Reliquien von Heiligen verehren, um uns zu Christus führen zu lassen.
DOMRADIO.DE: Und was macht jetzt diese Reliquie von Carlo Acutis so besonders?
Lerch: Es ist der Selige Carlo Acutis selbst. Es ist diese Figur, die so fasziniert. Ein junger Mann mit 15 Jahren, ein Jugendlicher, der eigentlich so nah an unserer Zeit ist, der Playstation gezockt hat, der Fußball gespielt hat, der äußerlich gesehen ein ganz normales Leben geführt hat. Das spricht ja gerade die Jugendlichen an.
Es war für mich total überraschend, wie viele junge Menschen da gekommen sind, um sich segnen zu lassen. Die können sich wirklich mit diesem Seligen total identifizieren. Die sagen: "Das ist einer von uns." Und das ist das Schöne an den Heiligen. Die sollen uns diese Angst vor der Heiligkeit nehmen. Heiligkeit ist nichts Unerreichbares. Wir können heilig werden. Und wir alle haben eigentlich die Berufung, Heilige zu werden. Und das finde ich an diesem seligen Carlo so interessant, dass er uns das so möglich macht.
DOMRADIO.DE: Bei Ihnen hat sich auch eine Gebetsgruppe von 133 Personen gebildet, die den seligen Carlo als Patron gewählt hat. Was ist das für eine Gruppe?
Lerch: Wir haben vor drei Jahren begonnen, in einer Seitenkapelle in unserer Kirche eine eucharistische Anbetung anzubieten. Jeden Tag zunächst mal eine Stunde. Zu Beginn waren es meist Jugendliche, die bei uns in dieser Anbetungsgruppe dabei waren. Die haben sich als Patron den seligen Carlo Acutis erwählt. Dann ist diese Gruppe doch recht schnell angewachsen und wir konnten bald schon zwei Stunden jeden Tag anbieten und jetzt sind wir schon bei 16 Stunden täglich.
Unser Ziel ist es, irgendwann so viele Mitglieder in unserer Anbetungsgruppe zu haben, dass wir 24 Stunden, sieben Tage die Woche eucharistische Anbetung mitten im Herzen von München anbieten können. Die Mitglieder verpflichten sich regelmäßig eine Stunde pro Woche zur eucharistischen Anbetung zu kommen, also die Altarwache zu übernehmen, weil wir ja das Allerheiligste nie unbewacht lassen.
Die Menschen sagen, auch die jungen Menschen teilweise, dass die Anbetung für sie zum Mittelpunkt der Woche geworden ist: diese Stunde, wo sie mal ganz runterfahren, wo sie mal die ganze Woche sortieren können.
Das Interview führte Tim Helssen.