Vor 100 Jahren wurde US-Autor James Baldwin geboren

Der Prophet

James Baldwin war ein charismatischer Schriftsteller und Vorkämpfer des gesellschaftlichen Wandels. Rassismus, Polizeigewalt, Homosexualität: Seine Themen und Texte sind noch heute aktuell. Heute wäre er 100 Jahre geworden.

Autor/in:
Konrad Ege
Die Bronzeplatte ehrt den Schriftsteller James Baldwin auf dem Harlem Walk of Fame in Harlem, New York.  / © Here Now (shutterstock)
Die Bronzeplatte ehrt den Schriftsteller James Baldwin auf dem Harlem Walk of Fame in Harlem, New York. / © Here Now ( shutterstock )

Er war ein wortmächtiger Schriftsteller, schwarz und queer und politisch links. Seine Texte zu Rassismus, Identität und Gesellschaft, mit hart geschliffener Kritik an der weißen Vorherrschaft, wirken noch heute frisch: Am 2. August 1924, vor 100 Jahren, kam James Baldwin im New Yorker Stadtviertel Harlem als ältestes von neun Kindern zur Welt. 

Er starb 1987 in der südfranzösischen Provence. Manchen gelten seine Texte als prophetisch. Das Nationalmuseum der Afrikanisch-Amerikanischen Geschichte und Kultur in Washington würdigt Baldwin als "eine treibende Kraft für gesellschaftlichen Wandel".

Er war 29 Jahre alt, als er 1953 seinen ersten Roman veröffentlichte, "Go Tell it on the Mountain": Ein "verheißungsvolles Debüt", urteilte die "New York Times". Das Buch ist stark autobiografisch geprägt: Es geht um eine schwarze Predigerfamilie in Harlem, um Glauben, Sexualität und Schuldgefühle. 

Baldwin war homosexuell, sein Stiefvater pfingstkirchlicher Prediger. Als Teenager stand James Baldwin selbst auf der Kanzel, bevor er sich "vom weißen Gott des Christentums" lossagte. Sechs weitere Romane und zahlreiche Essays und Gedichte folgten.

Gegen die weißen Herrschaftsstrukturen

Baldwin spricht darin deutlich und bildhaft. Er provoziert und geht mit den weißen Herrschaftsstrukturen der USA ins Gericht, schwankt zeitweilig zwischen Hoffnung und Verzweiflung, doch hält an universellen Werten fest. 

In einer Ansprache 1979 im kalifornischen Berkeley erklärte er mit Blick auf Afroamerikaner: "Unsere Präsenz in diesem Land" erschrecke Weiße. "Sie haben uns für Arbeitskraft und für den Sport gebraucht, und nun können sie uns nicht loswerden." 

Er war überzeugt: Die "Maschinerie" der USA laufe, um Afroamerikaner kleinzuhalten. In seinem wohl bekanntesten Werk "The Fire Next Time" (Nach der Flut das Feuer) von 1963 schrieb Baldwin: Schwarze und Weiße bräuchten einander, wenn sie wirklich eine Nation werden wollten.

Demonstranten nehmen an einer Friedenskundgebung in den USA teil, nachdem ein Schwarzer durch einen Polizisten getötet wurde.  / © Andrew Dolph (dpa)
Demonstranten nehmen an einer Friedenskundgebung in den USA teil, nachdem ein Schwarzer durch einen Polizisten getötet wurde. / © Andrew Dolph ( dpa )

In diesem Jahr feiern Museen und Kultureinrichtungen in den USA seinen 100. Geburtstag, mehrere Verlage drucken Neuauflagen seiner Werke. In Deutschland erschien im Juli das Porträt "James Baldwin: Der Zeuge". Autor René Aguigah beginnt mit der Bemerkung: "James Baldwin führt, fast vier Jahrzehnte nach seinem Tod, ein so reiches Nachleben, wie es nur wenigen Hundertjährigen vergönnt ist." Angestoßen wurde die Baldwin-Renaissance 2016 durch den Dokumentarfilm "I am not your Negro" von Raoul Peck, in dem es um die Biografie Baldwins geht, um Rassismus und Bürgerrechte.

Ein Freund von Martin Luther King 

Die 1960er Jahre waren die militante Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Baldwin deutete sie als einen Aufstand, der auf Aufstände versklavter Menschen zurückgehe. Er war mit Bürgerrechtsführer Martin Luther King befreundet; gleichzeitig schätzte er den militanten muslimischen Schwarzen-Aktivisten Malcolm X.

Martin Luther King / © Archiv/Romano Siciliani (KNA)
Martin Luther King / © Archiv/Romano Siciliani ( KNA )

Einen Großteil seines Lebens hat James Baldwin im Ausland zugebracht, vornehmlich in Frankreich und in der Türkei. Mit 24 Jahren kam er nach Paris, angeblich mit 40 Dollar in der Tasche, um dem Rassismus in den USA zu entkommen. Der Ortswechsel, so wird Baldwin zitiert, habe buchstäblich sein Leben gerettet und ihm das Schreiben ermöglicht.

"Bericht aus dem besetzten Gebiet"

Seine Romane und Essays sind eng verflochten mit seiner persönlichen Geschichte und dem harten Leben im afroamerikanisch geprägten Viertel Harlem. 

Unter dem Titel "Bericht aus dem besetzten Gebiet" verfasste Baldwin im Wochenmagazin "The Nation" einen Text gegen Polizeibrutalität, den heutzutage Aktivisten der Black-Lives-Matter-Bewegung hätten schreiben können: Er habe den Polizei-Schlagstock kennengelernt und wisse, wie es sich anfühlt, wenn man "am Fuß einer Treppe liegt, von der man gerade eben heruntergestoßen worden ist", schrieb Baldwin. Die Polizei existiere in jeder nördlichen Stadt mit großer schwarzer Bevölkerung, um Schwarze zu unterdrücken und weiße Wirtschaftsinteressen zu schützen.

Auch das Thema Homosexualität zieht sich durch Baldwins Schaffen. "Giovannis Zimmer" hat 1956 Aufsehen erregt, sein Roman über eine homosexuelle Beziehung. Er habe dieses Buch schreiben müssen, sagte er 1984 in der New Yorker Wochenzeitung "Village Voice". Als Teenager habe er erst nicht gewusst, was er mit seiner Identität anfangen solle, "außer dass ich wusste, ich liebe einen Jungen".

Baldwins Leben "verweigert Zusammenfassung"

Auf der Webseite des FBI kann man heute Hunderte Seiten zu Baldwin einsehen. Er erschien der Ermittlungsbehörde verdächtig wegen seiner Haltung zum Rassismus und wegen seiner Homosexualität. Er protestierte gegen den Vietnamkrieg und gegen die Kubapolitik der USA.

Baldwins Leben "verweigert Zusammenfassung", so formulierte es die schwarze Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison nach dessen Tod in der Nacht zum 1. Dezember 1987 in Saint-Paul-de-Vence. Es lade vielmehr zum Nachsinnen ein. Wie viele Freunde und Bewunderer habe sie geglaubt, Baldwin zu kennen. Nun verstehe sie, dass sie durch Baldwin sich selber kennengelernt habe.

Quelle:
epd