Hamburger Bahnhofsmission bietet Notpflege für Obdachlose

Wunden verbinden und Krätze bekämpfen

Obdachlose haben häufig viel Pflegebedarf. Das kann etwa eine verletzte Hand oder ein dicker Fuß sein. An Deutschlands meist frequentiertem Bahnhof ist deshalb vor einem Jahr ein einzigartiges Notpflege-Projekt gestartet.

Autor/in:
Clara Engelien
Henrike Lux, Notpflege-Projektkoordinatorin bei der Bahnhofsmission Hamburg, in den Räumen der Bahnhofsmission in Hamburg / © Clara Engelien (KNA)
Henrike Lux, Notpflege-Projektkoordinatorin bei der Bahnhofsmission Hamburg, in den Räumen der Bahnhofsmission in Hamburg / © Clara Engelien ( KNA )

Ein mittelalter Mann steht vor einer holzverkleideten Theke. Die Ellbogen aufgestützt, wippt er auf und ab. Auf seiner Hand klebt provisorisch ein kleines Kinderpflaster. Der Obdachlose hat sich an der Hand verletzt, als er auf der Suche nach Pfandflaschen in einen Mülleimer griff. 

Eigentlich keine dramatische Wunde. Aber er ist auf den Pfand-Ertrag angewiesen und kann seine Hand nicht schonen. Deshalb reißt sie immer wieder auf und hat sich inzwischen ein wenig entzündet.

Henrike Lux in den Räumen der Bahnhofsmission in Hamburg / © Clara Engelien (KNA)
Henrike Lux in den Räumen der Bahnhofsmission in Hamburg / © Clara Engelien ( KNA )

Für solche Fälle besteht seit gut einem Jahr das Notpflege-Angebot der Hamburger Bahnhofsmission. Pflege für Obdachlose und sehr hilfsbedürftige Menschen – das hat es laut dem Leiter der Bahnhofsmission, Axel Mangat, so zuvor nicht gegeben. Das Angebot reicht von Wundversorgung über Altenpflege bis hin zu Läuse- und Krätzebehandlung.

"Warum kümmert sich niemand?"

Mit mehr als 500.000 Fahrgästen am Tag ist der Hamburger Hauptbahnhof Deutschlands meist frequentierter Bahnhof. Immer häufiger hat Mangat dort in den vergangenen Jahren Menschen beobachtet, die so pflegebedürftig sind, dass sie sich nicht mehr von Ort und Stelle bewegen können. 

"An denen man vorbeigeht und denkt: Warum liegt da jemand so, warum riecht da jemand so, warum kümmert sich niemand?", so der Sozialpädagoge. Auch psychische Probleme haben seiner Einschätzung nach stark zugenommen. Sie führten oft dazu, dass Menschen nicht mehr in der Lage seien, sich um sich und ihren Körper zu kümmern.

Mangats Team war überfordert mit diesen Bedarfen. "Wir selber hatten gar nicht das Pflege-Know-How. Das ist ja ein eigener Beruf." Zudem habe es mit Würde zu tun, den Betroffenen professionell zu helfen, findet er. 

Zentral für das Pflegeprogramm, das Mangat mit den evangelischen Johannitern und den katholischen Maltesern erarbeitet hat, ist der Faktor Zeit: Eine Stunde soll jeder Gast bei Bedarf bekommen.

Neue Wege bei der Wundversorgung

Henrike Lux nimmt den verletzten Pfandsammler mit in einen Behandlungsraum. Er ist ein vergnügter Zeitgenosse und freut sich zu plaudern. Die 29-jährige Pflegekraft hört ihm zu und desinfiziert dabei seine Wunde. Dann umwickelt sie die Verletzung mit einem speziellen Verband.

Verbundene Hand eines Hilfesuchenden / © Clara Engelien (KNA)
Verbundene Hand eines Hilfesuchenden / © Clara Engelien ( KNA )

"Beim Thema Wundversorgung mussten wir alle komplett umdenken", erzählt sie später. "Die klassische Pflegeausbildung ist ausgerichtet auf Patienten, die im Krankenhaus oder zu Hause sind – nicht auf solche, die immer unterwegs sind." Daher wickeln sie nun um normale Verbände eine zusätzliche blaue Bandage, die deutlich länger hält. Als Lux fertig ist, spaziert der Mann zufrieden aus dem Raum.

Neben Lux machen drei weitere Pflegekräfte bei dem Hilfsangebot mit. Montags bis freitags von 9.00 bis 15.00 Uhr ist jemand da; gearbeitet wird ohne Termine. 

Lux und ihre Kollegen laufen auch durch den Hauptbahnhof und schauen nach Menschen, die pflegebedürftig erscheinen oder so geschwächt wirken, dass sie den Weg zur Einrichtung nicht mehr eigenständig schaffen würden. Sie nehmen diese Menschen mit, sofern diese einverstanden sind. Manchmal reiche es auch schon, ein Pflaster, ein Paar Socken oder eine medizinische Ersteinschätzung zu geben, so Lux.

Regelmäßige Gäste und Erfolgsmomente

Gut ein Jahr nach dem Start des Notpflege-Angebots fällt die Bilanz positiv aus: All seine Hoffnungen seien übertroffen worden, sagt Leiter Mangat. Das Projekt werde gut angenommen. Mehr als 350 Menschen seien bislang behandelt worden. Acht von zehn Gästen kämen inzwischen regelmäßig.

Das Gebäude der Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof / © Clara Engelien (KNA)
Das Gebäude der Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof / © Clara Engelien ( KNA )

Lux' größte Erfolgsgeschichte ist die einer älteren Dame mit stark entzündeten Beinen mit Wassereinlagerungen. Nach wochenlanger Behandlung erholten sich die Beine – und damit das komplette Wesen der Frau. Die knapp 60-Jährige konnte wieder laufen, es rechtzeitig zur Toilette schaffen, sich besser um sich selbst kümmern. 

Irgendwann habe sie nach farbigen Kompressionsstrümpfen gefragt, erzählt die Pflegekraft. "Sie wollte nicht, dass die schwarzen ihre Outfits ruinieren. Sie achtet jetzt wieder auf sich und ihr Auftreten." Inzwischen habe sie mit Unterstützung des Teams und eines Sozialarbeiters Frührente beantragt - und eine Bleibe in einem Containerdorf für Frauen gefunden.

Bahnhofsmissionen als zentrale Knotenpunkte der sozialen Hilfe

Jahr für Jahr kümmern sich die Mitarbeitendenden der Bahnhofsmission um mehr als zwei Millionen Menschen. Jedem wird geholfen, sofort, gratis, ohne dass vorher bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Sie sind rund um die Uhr im Einsatz, wenn andere Hilfe nicht erreichbar ist. Bahnhofsmissionen gibt es seit über hundert Jahren und an an mehr als hundert Orten in Deutschland.  
 

Kirsten Heinrich von der Bahnhofsmission in Hannover geleitet die blinde Berufspendlerin Martina Nesterok über den Bahnsteig / © Lothar Veit (epd)
Kirsten Heinrich von der Bahnhofsmission in Hannover geleitet die blinde Berufspendlerin Martina Nesterok über den Bahnsteig / © Lothar Veit ( epd )
Quelle:
KNA