Gedenken an ermordete Sinti und Roma

Mahnung zu Toleranz

Vor 80 Jahren wurden die letzten Sinti und Roma in Auschwitz ermordet. Insgesamt starben 500.000 von ihnen im Holocaust. Zum Gedenken in Auschwitz-Birkenau warnte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Diskriminierung.

Autor/in:
Christoph Schmidt und Johannes Senk
Konzentrationslager Auschwitz / ©  Thomas Lohnes (epd)
Konzentrationslager Auschwitz / © Thomas Lohnes ( epd )

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat der im Holocaust ermordeten Sinti und Roma gedacht. Bei einer Gedenkveranstaltung im ehemaligen NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am Freitag rief sie dazu auf, die Erinnerung an die deutschen Verbrechen wachzuhalten und gegen noch bestehende gesellschaftliche Diskriminierung anzugehen. "Das Leid der Sinti und Roma wurde nach dem Krieg nicht anerkannt", so Bas. "Der Rassismus verschwand nicht einfach aus den Köpfen."

Porträt der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas, bei der Jahrestagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Ulm am 12.11.2023 / © Heike Lyding (epd)
Porträt der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas, bei der Jahrestagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Ulm am 12.11.2023 / © Heike Lyding ( epd )

Anlass ihres Besuchs war der Europäische Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma, der jährlich am 2. August stattfindet. Am 2. August 1944, vor 80 Jahren, räumte die SS das sogenannte "Zigeunerlager" in Auschwitz-Birkenau und ermordete alle Insassen. "In nur einer Nacht zwangen die Nationalsozialisten bis zu 4.300 Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern", erinnerte Bas. Insgesamt töteten die Nazis im Holocaust etwa 500.000 Sinti und Roma.

Diskriminierung immer noch verbreitet 

"Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu ihrer historischen Verantwortung", betonte die Bundestagspräsidentin. Dies bedeute zugleich die Verpflichtung, Antiziganismus entschlossen entgegenzutreten. Feindliche Einstellungen und Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma seien immer noch weit verbreitet. 

Dies zeige sich etwa bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem. Auch staatliche Stellen würden ihrer Verantwortung nicht immer gerecht, das Bewusstsein für den Völkermord an beiden Volksgruppen sei immer noch nicht selbstverständlich, so Bas.

Menschenwürde verteidigen

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagte bei dem Gedenken: "Es gibt unter uns Sinti und Roma kaum eine Familie, die mit dem Namen 'Auschwitz' nicht die Ermordung ihrer Angehörigen verbindet." Die Erfahrung aus der Nazi-Herrschaft verpflichte dazu, die Menschenwürde und die Menschenrechte überall und für jeden zu verteidigen. 

Dies gelte auch für tausende Migranten, die jährlich im Mittelmeer ertrinken oder in der Wüste ausgesetzt würden. "Das Vermächtnis der Ermordeten von Auschwitz verbietet es uns, dies gleichgültig hinzunehmen."

Solidarität zeigen

Der Berliner Weihbischof Matthias Heinrich nahm als Vertreter der deutschen katholischen Bischöfe an der Gedenkveranstaltung teil und legte einen Kranz nieder. "Die Tatsache, dass wir heute hier gemeinsam stehen und der Schicksale von Zigtausenden Angehörigen der Minderheit gedenken, ist ein Zeichen der Ermutigung und Hoffnung, dass jahrhundertealte Diskriminierung überwunden werden kann", erklärte Heinrich, der innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz Beauftragter für die Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen ist. 

Ausstellung im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau / © Harald Oppitz (KNA)
Ausstellung im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau / © Harald Oppitz ( KNA )

"Die Solidarität mit den Überlebenden und ihren Nachkommen ist umso wichtiger, als menschenfeindlicher Hass in Form von Antiziganismus und Rassismus sich aktuell wieder verstärkt in unserer Gesellschaft ausbreitet", mahnte der Bischof.

"Verteidigt unsere Demokratie"

Alma Klasing, Überlebende des Holocaust, die nahe Angehörige in Auschwitz verloren hat, betonte in ihrer Ansprache: "Die Wahlerfolge der rechten Parteien machen mir große Angst. Deshalb möchte ich gerade die Jugend vor diesen falschen Propheten warnen und bitte Euch von ganzem Herzen: Verteidigt unsere Demokratie."

Unterdessen forderte die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus mehr Einsatz gegen die Diskriminierung der Minderheit. Insbesondere angesichts des aktuellen Rechtsrucks in Europa solle der Gedenktag eine Mahnung sein, erklärte die Meldestelle in Berlin. Antiziganismus halte an und sei tief in der Gesellschaft verankert. Daher sei dessen Bekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, müsse aber auch auf höchster politischer Ebene angegangen werden. Zudem brauche es mehrAufklärungsarbeit in Schulen.

Sinti und Roma seien täglich von antiziganistischen Anfeindungen betroffen, sagte der Geschäftsführer der Meldestelle, Guillermo Ruiz Torres. Angehörige der Minderheit erlebten europaweit Ausgrenzung in jedem Lebensbereich, sei es im Bildungssystem, bei der Arbeitssuche, in Ämtern oder auf dem Wohnungsmarkt. In Deutschland registrierte die Meldestelle für das vergangene Jahr 1.233 antiziganistische Vorfälle. Das Bundeskriminalamt erfasste 171 gegen Sinti und Roma gerichtete Straftaten.

Der Völkermord an Sinti und Roma

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs durften Sinti und Roma auf Anordnung von Heinrich Himmler ab Mitte Oktober 1939 ihre Wohnsitze nicht mehr verlassen. Die große Mehrheit der deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurde in Lagern interniert, um sie später zu deportieren. Von den erfassten rund 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden über 25.000 ermordet. Insgesamt fielen geschätzte 220.000 bis 500.000 Sinti und Roma dem Rassenwahn der Nationalsozialisten und dem an ihnen systematisch geplanten Völkermord zum Opfer.

Sinti und Roma

Mahnmal für Sinti und Roma in Berlin / © Markus Nowak (KNA)
Mahnmal für Sinti und Roma in Berlin / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA