DOMRADIO.DE: Offiziell heißen Sie auf gut Kirchendeutsch Pfarrbeauftragte, das heißt Sie leiten die katholische Gemeinde St. Nikolaus auf Langeoog. Bedeutet das, Sie machen alles, was ein Gemeindepfarrer tut - außer Eucharistie feiern?
Susanne Wübker (Pfarrbeauftragte nach can. 517 § 2 CIC St. Nikolaus Langeoog): Genau, ich leite keine Eucharistiefeiern und spende auch nicht die Sakramente, die nur ein Priester spenden darf. Aber alles andere liegt als Gemeindeleiterin in meiner Hand.
DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt seit fünf Jahren Pfarrbeauftragte. Und es ist bis heute etwas Besonderes, dass eine Frau an der Spitze einer katholischen Gemeinde steht. Fühlen Sie sich noch immer als Pionierin?
Wübker: Ich habe mich nie wirklich als Pionierin gefühlt. Ich bin als Seelsorgerin hierhergekommen. Im seelsorglichen oder liturgischen Tun hat sich gar nicht viel geändert, als 2019 die Pfarrbeauftragung hinzukam. Für die Leute hier auf der Insel war ich auch vorher schon das Gesicht der katholischen Kirche auf Langeoog, ich war Ansprechpartnerin und hatte auch da schon die Gemeinde-Leitungsaufgaben in der Hand. Seit der offiziellen Beauftragung ist das noch einmal ausdrücklich abgesichert und rechtlich legitimiert, was natürlich gut ist. So hat sich in meinen Augen alles organisch ergeben und fühlt sich nicht nach Pionierarbeit an.
DOMRADIO.DE: Wie lösen Sie denn die Frage der Eucharistiefeiern in Sankt Nikolaus?
Wübker: Die praktische Lösung ist, dass hier permanent Pastoren zu Gast sind, Geistliche aus Ordensgemeinschaften, aus der eigenen Diözese, aus anderen Diözesen, manchmal auch übers Bundesgebiet hinaus. Sie verbringen hier ihre Ferien oder nehmen eine Auszeit, meist zwei Wochen, manche weniger, andere mehr. Sie übernehmen dann die sakramentalen Feiern. Wobei sie sich im Grunde nicht vom Rest der Gemeinde unterscheiden, weil hier alle Gäste sind: Die, die liturgische oder musikalische Dienste übernehmen genauso wie alle anderen, die sich sonst irgendwie am Gottesdienst beteiligen. Sie alle bilden die Gemeinde, die vor Ort zusammenkommt. Darin wird deutlich, dass wir uns als Gäste um den Tisch des Herrn versammeln.
DOMRADIO.DE: Nehmen die Urlaubsgäste denn überhaupt wahr, dass Sie als Frau in dieser doch noch immer ungewöhnlichen Position in der katholischen Kirche wirken? Wie reagieren die auf Sie?
Wübker: In der Regel reagieren sie freudig. Wobei mein Wirken in der Kirche, so wie es für die Gäste sichtbar ist, sich ja nicht grundlegend geändert hat, nachdem ich den Pfarrauftrag bekommen habe. Von Gremienarbeit, Verwaltungsfragen, Haushaltsplänen etc. bekommen ja die wenigsten Gäste etwas mit. Und für die Insulanerinnen und Insulaner war ich ohnehin schon Ansprechpartnerin gewesen. Aber jemand hat nach einem Gottesdienst mal einen Dialog zwischen einem älteren Ehepaar aufgeschnappt, wo er dann sagte: "Aber da hat doch jetzt eine Frau gepredigt!" und sie antwortete: "Ja!". Und er: "Aber das war doch ein katholischer Gottesdienst!" Und sie: "Ja, das ist hier so üblich." Diesen Dialog habe ich selbst nicht mitgekriegt, er ist mir zugetragen worden. Also gibt es wohl manchmal Verwunderung darüber, aber ganz oft erlebe ich einfach Zustimmung. Eben auch bei Gästen, die jedes Jahr wiederkommen, manche sogar mehrfach im Jahr, und sich unserer Gemeinde zugehörig fühlen. Sie nehmen das inzwischen als selbstverständlich.
DOMRADIO.DE: Sie machen Ihren Job als Pfarrbeauftragte ja auf ausdrücklichen Wunsch und Auftrag des Bischofs von Osnabrück. Könnte das in Ihren Augen auch ein Modell für die gesamte katholische Kirche in Deutschland sein, wenn wir an den eklatanten Priestermangel denken?
Wübker: Na ja, wir haben hier den Standortvorteil, dass es Priester aus dem ganzen Bundesgebiet gibt, die hier ihre Ferientage verbringen und den sakramentalen Dienst übernehmen. Überall wird das nicht die Lösung sein können. Ich erlebe das hier als ein gutes Miteinander und glaube, dass wir das in unserer Kirche sehr nötig haben. Die Pfarrbeauftragung ist ein Versuch, aber ein zu kurz gegriffener. Ich würde mir schon wünschen, dass es da eine Weiterentwicklung gibt und auch Frauen Weiheämter ausüben können. Ich wäre bestimmt mit dabei.
DOMRADIO.DE: Wenn wir auf die Seelsorge speziell für erholungssuchende, Urlauber und Urlauberinnen schauen. Wie groß erleben Sie den Bedarf bei den Menschen?
Wübker: Erst einmal ist da ein Urlaubs- und Ferienbedarf an sich. Aber die Menschen nehmen sich selbst natürlich in den Urlaub mit und damit all das, was sie zu Hause und im Beruf erlebt haben und wovon sie Abstand gewinnen wollen. Und so bekomme ich immer wieder Anfragen nach seelsorgerlichen Einzelgesprächen, manchmal eben auch rund um die Gottesdienste. Manchmal sucht jemand nach einem meditativen Strandgang Vertiefung - oder, oder, oder. Es gibt solche Anliegen, aber sie lassen sich gut bewältigen. Es ist jetzt auch nicht so, dass die Leute Schlange stehen.
DOMRADIO.DE: Was suchen die Menschen denn in den Ferien bei Ihnen? Was wünschen sie sich von der Kirche?
Wübker: Ein starkes Zeichen ist, dass es eine offene Kirche ist. Nicht nur vom Gebäude her. Ich finde es immer wieder enorm, wie viele Menschen über den Tag verteilt in die Kirche hineingehen. Wobei ich das Wort Kirchgänger oder Kirchgängerinnen nicht nur auf Menschen beziehe, die in Gottesdienste in Eucharistiefeier gehen, sondern wirklich auf alle, die die Kirche betreten und einfach Stille suchen, eine Kerze anzünden, vielleicht auch nur verschnaufen wollen, was auch immer. Manche freuen sich über die Architektur. Und manche erleben die Zeit im Urlaub tatsächlich auch als Zeit des Nachdenkens und Hörens, um neue Impulse zu bekommen, vielleicht auch um noch mal eine andere Kirchenerfahrung zu machen als die, die sie zu Hause machen. Gerade erst zum Beispiel hatten wir jemanden da, der super Orgel spielen konnte und eine Familie, die mehrere Blasinstrumente mit dabeihatte. Es war eine große Gottesdienstgemeinde zusammengekommen, viele waren beteiligt und es hat einfach Spaß gemacht, miteinander Gott zu feiern.
DOMRADIO.DE: Wir leben in einem Moment multipler Krisen. Viele machen sich große Sorgen - um ihre persönliche Zukunft, aber auch um die Zukunft der Menschheit und des Planeten. Was bekommen Sie davon mit und wie versuchen Sie, etwas davon aufzufangen?
Wübker: Wir bekommen es zum Beispiel dadurch mit, dass gleich zu Anfang des Einmarsches Russlands in die Ukraine ukrainische Flüchtlinge auch hier nach Langeoog gekommen sind, teils auch noch unter uns und mittlerweile gut integriert sind. Auch den Anstieg des Meeresspiegels, die Folgen des Klimawandels bekommen wir hier auf der Insel hautnah mit. Oder wenn es ein Schiffsunglück vor der Küste gibt, bangen alle, ob da Öl auslaufen und eine Katastrophe verursachen wird. Da gibt es Bewegungen, die ihr Augenmerk genau darauflegen. Und wir versuchen diese Fragen auch in die Gottesdienste mit hineinzunehmen, in die Fürbitten, sie bei Vortragsveranstaltungen anzusprechen und darauf zu schauen, was möglich ist.
DOMRADIO.DE: Was geben die Leute, die da mit ihren Fragen und Anliegen zu Ihnen kommen, Ihnen vielleicht auch zurück?
Wübker: Oft ist erlebe ich große Dankbarkeit. Wenn ich jemanden hinterher im Ort noch mal einem treffe, bekomme ich zum Beispiel ein Lächeln oder jemand sagt: "Das hat gutgetan, von ihnen zu hören und so mit ihnen in Gespräch zu sein." Das ist oft ganz schlicht, aber schön und weiterführend.
DOMRADIO.DE: Sie sind auch für die Menschen da, die immer auf Langeoog leben. Wie bekommen Sie den Spagat zwischen Feriengästen und Urlaubern hin?
Wübker: Ich versuche, diejenigen, die hier wohnen und ansässig sind, nicht aus den Augen zu verlieren. Zum Beispiel mache ich auch in der Saison regelmäßig Besuche im Altenheim. Ich bin im ständigen Kontakt mit dem Kindergarten. Bei der Einschulung der Erstklässler – es waren gerade einmal sechs an der Zahl – haben wir einen ökumenischen Gottesdienst gefeiert. Außerdem gab es in diesem Frühjahr einige Todesfälle unserer älteren Gemeindemitglieder. Die Begleitung der Angehörigen gehört auch zu meinen Aufgaben. Es ist mir wichtig, diejenigen im Blick zu haben, die hier vor Ort sind und ermöglichen, dass andere gut hier Urlaub machen können.
DOMRADIO.DE: Was macht für Sie bisher diese Sommersaison 2024 aus?
Wübker: Ein schönes Highlight und ein neuer Dreh ist, dass seit Februar eine evangelische Pastorin hier die örtliche protestantische Gemeinde leitet. Wir sind gemeinsam in diese Saison gestartet. Die Ökumene war hier auch vorher schon sehr gut und weiterführend. Und wir wollen sie weiter aufleben lassen und gemeinsam Dinge anstoßen. Unter anderem den plattdeutschen Bibelkreis für Insulaner und Gäste. Er findet tatsächlich großen Anklang und wir sind jedes Mal erstaunt, was das Wort Gottes auf Platt uns noch mal weiter mitgibt. Es lässt uns neu aufhorchen auf das, was sonst ganz selbstverständlich in der Bibel zum Tragen kommt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.