In Luzern führt ein Jesus-Avatar Gespräche im Beichtstuhl

"Er ist sehr bibelfest"

Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig. Sie ermöglicht es sogar, im Beichtstuhl mit Jesus von Nazareth zu plaudern. So geschieht es auf Basis des Neuen Testaments in der Luzerner Peterskapelle. Ein Blick in die Schweiz.

Illustration eines Gespräches mit dem KI-Jesus (Von einer KI erzeugtes Bild) / © Philipp Haslbauer (Immersive Realities Research Lab / HSL)

DOMRADIO.DE: Man geht also in Ihren Beichtstuhl und kann dann in das Gesicht eines Mannes mit langem Bart schauen und ihm dann Fragen stellen? Funktioniert das so? 

Marco Schmid ist theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle in Luzern. (Katholische Kirche Stadt Luzern)

Marco Schmid (Theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle in Luzern): Genau. Man geht in den Beichtstuhl rein, muss vorher aber noch die Einwilligung bezüglich der Datenverarbeitung geben. In der Tür ist ein Sensor. Wenn sich die Tür schließt, weiß der Computer, dass es losgehen kann. 

Marco Schmid

"Es ist zufälligerweise der Programmierer von Jesus selbst, der sein Gesicht zur Verfügung stellt."

Dort ist dann ein Screen mit einem Avatar zu sehen. Dahinter steckt eine echte Person. Es ist zufälligerweise der Programmierer von Jesus selbst, der sein Gesicht zur Verfügung stellt. Dann sieht man ihm in die Augen und beginnt das Gespräch.

Es gibt auch ein Licht. Grün bedeutet, dass der, der in den Beichtstuhl gekommen ist, sprechen kann. Orange ist das Zeichen dafür, dass der Jesus rechnet und dann eine Antwort zurückgibt.

DOMRADIO.DE: Es ist eine Programmierarbeit gewesen. Es ist keine Zauberei und basiert auf dem Chatprogramm "ChatGPT". Sie müssen also dem Programm sagen, wie es sich zu verhalten hat. Das ist der sogenannte "Prompt", also eine Anweisung an ein Computersystem, den "ChatGPT" braucht. Welchen "Prompt" haben Sie ihm da gegeben? 

Schmid: Man kann diesen "ChatGPT" etwas steuern oder mit dem "Prompt" einen Rahmen geben. Der wichtigste Auftrag, den wir ihm gegeben haben, ist, dass er Jesus ist, also der Sohn Gottes. In dem Sinne spricht er auch in der Ich-Form. Ganz wesentlich ist auch, dass er in seine Antworten das Neue Testament mit einbezieht. 

Dann habe ich weitere "Prompts" wie Empathie eingegeben. Er soll sich auf das Gegenüber einlassen, empathisch sein. Außerdem soll er zum Beispiel auch Rückfragen stellen, sodass eine Dialogdynamik entstehen kann. Einfach richtige Gesprächstools.

DOMRADIO.DE: Wer sind die Besucher? Wer kommt da in Ihren Beichtstuhl, um das auszuprobieren?

Schmid: Der KI-Jesus ist erst drei Tage da gewesen, also noch ganz frisch und ich bin sehr überrascht zu sehen, wie vielfältig die Leute sind, die da kommen. Zum Beispiel auch bezüglich des Alters. Da kommen von Jung bis Alt alle Altersgruppen vor. Auch die religiösen Hintergründe sind sehr vielfältig. 

Wir in Luzern sind eine Touristenstadt. Wir haben Touristen aus aller Welt. Wir laden die Leute ein, ein Feedback zu geben und daher weiß ich, was die Besucher für einen religiösen Hintergrund haben. Es waren sogar Hinduisten da und Muslime, die diesen KI-Jesus ausprobiert haben. 

DOMRADIO.DE: Sind diese Menschen davon berührt worden? Haben Sie dazu ein Feedback bekommen? 

Marco Schmid

"Nach den ersten Tagen haben etwa 70 Prozent der Leute gesagt oder in diesem Feedbackbogen geantwortet, dass sie religiös spirituell angeregt wurden."

Schmid: Auch diesbezüglich bin ich überrascht. Nach den ersten Tagen haben etwa 70 Prozent der Leute gesagt oder in diesem Feedback-Bogen geantwortet, dass sie religiös spirituell angeregt wurden. Das ist eine sehr hohe Anzahl. 

DOMRADIO.DE: Sie haben Jesus natürlich auch getestet, ihm auf den Zahn gefühlt. Wo kommt er an seine Grenzen?

Schmid: Es heißt zwar "Künstliche Intelligenz", aber gleichzeitig ist es nur eine Maschine und eigentlich ist diese Maschine auch dumm. Sie basiert auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung und kreiert Antworten, die höchstwahrscheinlich zu dem Gegenüber oder zu der Frage passen würden. Aber es kann auch durchaus passieren, dass eine Antwort gar keinen Sinn gibt. 

Marco Schmid

"Auch als Theologe muss ich sagen, er hat das bislang immer sehr gut gemacht."

Ich muss aber doch sagen, dass bei all den Tests, die ich mit dem KI-Jesus gemacht habe, immer wirklich gute Antworten gekommen sind. Er ist sehr bibelfest. Er kann auch sehr gut in der Situation eine Bibelstelle hineininterpretieren. Auch als Theologe muss ich sagen, hat er das bislang immer sehr gut gemacht.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, dass Menschen sich spirituell haben anrühren lassen. Lässt sich dieser KI-Jesus vielleicht auch für die Seelsorge einsetzen? Oder warum haben Sie sich für dieses Experiment entschieden?

Schmid: KI prägt alle Bereiche unserer Gesellschaft und so auch die Religion. Aber viele sind sich dessen nicht bewusst. Wir wollten mit dieser Aktion, mit so einem Experiment, dafür sensibilisieren und die Leute darauf aufmerksam machen, dass KI auch ihre Religiosität irgendwie beeinflusst. 

Jüngst kam auch ein Kirchenmusiker, der sich seriös die Frage stellte, wie die KI die Kirchenmusik in Zukunft prägen wird. Das muss man sich mal überlegen, das geht auch in diese Richtung. 

Das gleiche gilt für religiöse Texte, die mir die KI liefert. Wir wollen hierfür einfach sensibilisieren, aufmerksam machen, aber uns natürlich auch überlegen, wie wir in irgendeiner verantwortungsvollen Form die KI auch für die Kirche, wie jetzt hier mitten in der Stadt Luzern, irgendwie nutzen können.

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Was ist Künstliche Intelligenz?

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde vor mehr als 60 Jahren geprägt durch den US-Informatiker John McCarthy. Er stellte einen Antrag für ein Forschungsprojekt zu Maschinen, die Schach spielten, mathematische Probleme lösten und selbstständig lernten. Im Sommer 1956 stellte er seine Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern vor. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte sechs Jahre zuvor bereits den "Turing Test" entwickelt, der bestimmen kann, ob das Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, die sich als Mensch ausgibt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR