Suizidpräventions-Beraterin fordert Enttabuisierung

"Offen darüber sprechen"

Die Trennung der Eltern, Mobbing in der Schule: Auch Kinder und Teenager entwickeln Suizidgedanken. Dann ist es wichtig, Anzeichen zu erkennen und mit ihnen zu sprechen, sagt Chantal Abt. Sie ist Beraterin in der Suizidprävention.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Bei [U25] gibt es nur Kontakt per Mail, nicht über persönliche Gespräche / ©  Michael Matthey (dpa)
Bei [U25] gibt es nur Kontakt per Mail, nicht über persönliche Gespräche / © Michael Matthey ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was denken Sie zum Welttag der Suizidprävention?

Chantal Abt und Kollegin Melina Zindel von {U25] Gelsenkirchen / © [U25] Gelsenkirchen
Chantal Abt und Kollegin Melina Zindel von {U25] Gelsenkirchen / © [U25] Gelsenkirchen

Chantal Abt (Teamleiterin der Caritas-Beratungsstelle [U25] in Gelsenkrichen: Ich denke, die Zahlen sprechen stark für sich. Wir haben sehr viele Suizide in Deutschland. Die Zahl ist auch im zweiten Jahr in Folge gestiegen; was auch noch mal deutlich macht, dass das Thema mehr Raum braucht. Wir müssen enttabuisieren, wir müssen darüber sprechen, um Suizide verhindern zu können. Und wir brauchen genügend Angebote, damit Menschen einen Ausweg aus ihren Krisen finden. 

Chantal Abt

"Wir müssen enttabuisieren, wir müssen darüber sprechen, um Suizide verhindern zu können."

DOMRADIO.DE: Wie kann man Teenagern und Kindern mit Suizidgedanken zur Seite stehen? 

Abt: Wichtig ist es natürlich, offen darüber zu reden und das Ganze nicht zu tabuisieren, weil das ein sehr sensibles Thema sein kann. Darüber zu sprechen kann schon ganz viel helfen. Wichtig ist es auch, Anzeichen zu erkennen und dann dementsprechend darauf zu reagieren. Wenn im Umfeld niemand da ist, der helfen kann, können suizidpräventive Angebote wie [U25] sehr hilfreich sein. 

Wenn die Gedanken ganz stark sind, kann man auch immer den Rettungsdienst rufen. Das ist auch eine wichtige Info, die viele gar nicht kennen. 

DOMRADIO.DE: Was sind Anzeichen für Suizidgefahren, die Außenstehende oder Familienangehörige bemerken können?

Abt: Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Verhaltensveränderungen immer sehr auffällig sein können: beispielsweise ein Rückzug, Veränderung der Interessen, Diskussionen über den Sinn des Lebens finden auch häufig statt. Ein großes Thema sind Äußerungen von Suizidabsichten, die leider häufig nicht wahrgenommen werden oder nicht ernst genommen werden. 

Chantal Abt

"Es gibt immer wieder Fälle, wo wir einen großen Anteil daran haben, dass junge Menschen sich für das Leben entscheiden."

DOMRADIO.DE: Bei [U25] gibt es viele Beraterinnen und Berater, so sogenannte Peers. Das sind selbst junge Leute, die ehrenamtlich arbeiten. Wie funktioniert [U25]? 

Abt: Die Peers sind alle unter 25 Jahre alt und unsere Ehrenamtlichen. Die bekommen von uns eine Ausbildung, in der sie auf die Tätigkeit vorbereitet werden. Die Ratsuchenden können sich auf unserer Homepage unter www.U25.de registrieren. Danach erhalten Sie eine erste Antwort nach 48 Stunden. Schließlich erfolgt der Kontakt dann alle sieben Tage.

Dann schreibt man auch immer mit der gleichen Person und es bildet sich in der Regel eine Art Mailkontakt, der auch länger andauern kann. Die Beratung ist unbefristet, kostenlos und anonym. 

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz (dpa)
Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das ist ein Onlineangebot, anders als die Telefonseelsorge, wo man sofort mit jemandem sprechen kann.

Abt: Ja, wir arbeiten viel mit der Entschleunigung, die ein großer Bestandteil sein kann, sodass wir den Ratsuchenden Zeit geben, über das Geschriebene nachzudenken und nicht sofort eine Reaktion zu bekommen. Das kann sich nachweislich suizidpräventiv auswirken.

Angebote wie die Telefonseelsorge sind aber genauso wichtig und sind eine andere Art des Zugangs. Wir brauchen unterschiedliche Zugänge. Nicht für jeden Menschen ist jede Form der Beratung gleich passend. 

Chantal Abt

"Wir nehmen den Glauben häufig als Ressource wahr. Er kann ganz viel bieten."

DOMRADIO.DE: Was kriegen Sie für Rückmeldungen? 

Abt: Wir kriegen sehr viel Dankbarkeit zu hören. Es gibt immer wieder Fälle, wo wir einen großen Anteil daran haben, dass junge Menschen sich für das Leben entscheiden, weil wir regelmäßig in Kontakt sind und eine große Stütze für sie bieten können. Das ist das, was uns auch jeden Tag daran erinnert, dass unsere Beratung so wertvoll und wichtig ist. 

DOMRADIO.DE: Aus welchen Gründen haben die jungen Menschen Suizidgedanken? 

Abt: Das sind sehr vielfältige Gründe. Psychische Störungen haben zugenommen, das sind Depressionen oder auch Angststörungen oder Essstörungen. Die Betroffenen äußern auch Probleme im Bereich der Schule, zum Beispiel kann Mobbing eine Rolle spielen, aber auch Probleme in der Familie, Trennung der Eltern oder Konflikte in der Familie. Es ist sehr breit gefächert und individuell.

DOMRADIO.DE: Spielen religiöse Gedanken irgendeine Rolle? Kommt die Frage auf: Darf ich mir das, was Gott mir gegeben hat, nehmen? 

Abt: Das ist nicht so häufig der Fall, kommt aber immer wieder vor. Wir haben ein paar Peers, die sich bei diesem Thema total gewappnet fühlen und darauf eingehen können. Wir nehmen den Glauben häufig als Ressource wahr. Er kann ganz viel bieten. Wir versuchen den Ratsuchenden Mut zuzusprechen, sich daran festzuhalten. Das kann viel bringen. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

[U25] Suizidpräventionsberatung

[U25] bietet eine Online-Mailberatung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren in akuten Krisen an. [U25] hat sich auf suizidale Krisen spezialisiert. Unterstützt werden aber junge Menschen, denen es schlecht geht, aber keine Suizidgedanken haben. 

Online-Beratung / © Daniel Naupold (dpa)
Online-Beratung / © Daniel Naupold ( dpa )
Quelle:
DR