Erzbischof Koch wirbt vor Wahl in Brandenburg für Demokratie

"Demokratie ist mehr als die Abgabe eines Stimmzettels"

Am Sonntag wird in Brandenburg der Landtag gewählt. Die beiden großen Kirchen haben vorab zu einer Wahldebatte in Potsdam eingeladen. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch hält die Veranstaltung für geglückt und hofft auf Nachwirkungen.

Erzbischof Heiner Koch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Spitzenkandidatin und Spitzenkandidaten der Parteien, außer der nicht eingeladenen AfD, sind gestern Abend zum Gespräch zusammengekommen. Welche Themen wurden da besprochen? 

Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbischof des Erzbistums Berlin): Wir hatten uns auf einige Themen konzentriert. Das war zum einen das Thema "Gesellschaft auf dem Lande". In Brandenburg mit seinen großen Weiten ist das ein ganz großes Problem. 

Das zweite Thema war die Arbeitsmarktsituation, die dringende Suche nach Arbeitskräften und der gleichzeitig damit verbundenen Problematik mit der Migration, am Beispiel des Pflegedienstes. 

Der dritte Punkt war "Zukunft, Hoffnung, Leben", die Grundmentalität, die wir manchmal in Brandenburg erleben. 

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Atmosphäre in dieser Debatte wahrgenommen? 

Heiner Koch

"Demokratie ist mehr als die Abgabe eines Stimmzettels, sondern das aufeinander hören, aufeinander achten, aber auch das kontrovers streiten".

Koch: Ich war deutlich angespannt. Ich war aber sehr froh, dass die Veranstaltung sehr gut besucht war. Von einer guten Moderatorin bis hin zu guten Fachleuten zeigten alle eine sehr um das Verständnis bemühte Haltung, die deutlich macht, dass Demokratie mehr als die Abgabe eines Stimmzettels ist. Vielmehr geht es darum, aufeinander zu hören, aufeinander zu achten, aber auch kontrovers zu streiten und es auf den Punkt zu bringen. 

Das ist Gott sei Dank geglückt. Das Publikum ist sehr gut mitgegangen. Viele Menschen sind nachher noch geblieben, die mit den Kandidaten gesprochen haben. Das war wirklich eine Bereicherung. 

DOMRADIO.DE: Bei einer ähnlichen Veranstaltung 2019 war die AfD noch eingeladen. Diesmal haben Sie entschieden, dass die AfD bei dieser Wahldebatte nicht dabei sein soll. 

Koch: Das hatte zwei Gründe, zum einen, weil wir das so in der Deutschen Bischofskonferenz zu dem Thema extremistische Gruppierungen und insbesondere Extremisten auf der rechten Seite besprochen haben. 

Der zweite Grund war, dass diese nazistischen und völkischen Überlegungen, die die AfD vertritt, nun voll zur Geltung kamen. Gerade das Führungspersonal in Brandenburg hat diese Themen sehr stark gemacht, und da war gegenüber 2019 eine weitere Verschärfung festzustellen. 

DOMRADIO.DE: Die AfD war gestern Abend also nicht vor Ort. War sie trotzdem Thema? 

Koch: Die AfD war im Grunde von vornherein Thema. Der evangelische Bischof Stäblein hatte das Eingangswort gesprochen, ich das Schlusswort. Stäblein hat die AfD auch gleich zum Thema gemacht und noch einmal begründet, warum wir uns zu diesem Verhalten entschieden hatten. Das Publikum war damit einverstanden. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sehr viele AfD-Mitglieder im Publikum saßen.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie konkret zur AfD in Richtung des Publikums gesagt? 

Koch: Diese Entscheidung war ja vorab schon in der Presse thematisiert worden und das Publikum hat diese Entscheidung als positiv mitgetragen.

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Stimmung insgesamt im Land Brandenburg aktuell so kurz vor der Wahl wahr? Was bewegt die Menschen? 

Koch: Die große Frage ist tatsächlich, wie eine regierungsfähige Mehrheit erreicht werden kann. Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen, die auch die Brandenburger Wahl sehr stark bestimmen wird, stellt sich hier die große Frage, welche großen Parteien hier eine Regierung bilden können. Wobei, groß kann man nur noch relativ sagen, es sind nun viele zersplitterte Parteien.

Da stellt sich natürlich die Frage nach den einzelnen Koalitionsmöglichkeiten, die gesehen werden, etwa mit der Sahra Wagenknecht-Gruppierung. Wie sieht es damit aus? Aber vor allen Dingen geht es auch um die Frage, welche kleineren Parteien überhaupt in den Landtag kommen? Das ist eine völlig unklare Situation, das trifft auch die Grünen. Die AfD wird sehr stark werden, das wissen wir. Ob die SPD stärker wird, wird sich zeigen. 

DOMRADIO.DE: Sie haben die Menschen im Land noch einmal aufgefordert, zur Wahl zu gehen, Briefwahl zu machen oder am Sonntag ihre Stimme abzugeben. Warum ist das so wichtig? 

Koch: Erstens ist es wichtig, dass wir dadurch auch demonstrieren, dass uns die Demokratie sehr viel wert ist. Ich habe letzte Woche in meinen Renovabis-Tagen (Erzbischof Koch ist Vorsitzender der Unterkommission für Mittel- und Osteuropa (insbesondere Renovabis) bei der Deutschen Bischofskonferenz, Anm. d. Red.) mit einer Frau gesprochen, die aus Belarus zu uns rüber gekommen ist. Dann merkt man nochmal, wie viel Wert die Demokratie hat. Sie hat uns gefragt, ob wir eigentlich wissen, wie wertvoll die Demokratie ist? Das ist das erste. 

Heiner Koch

"Ich glaube, hier werden wenige Stimmen einen entscheidenden Einfluss haben."

Zweitens überlassen wir sonst den Wählenden die Stimmen und nehmen unsere Verantwortung nicht wahr. Das gilt für uns als Mensch wie auch als Christ. Ich glaube, hier werden wenige Stimmen einen entscheidenden Einfluss haben. 

DOMRADIO.DE: Bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen vor drei Wochen hat die AfD große Wahlerfolge erzielt. Jetzt bei der U-16-Wahl in Brandenburg hat die AfD bei den Jugendlichen die mit Abstand meisten Stimmen bekommen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die AfD die Wahl in Brandenburg gewinnen kann? 

Koch: Die ist realistisch. Es ist realistisch, dass sie die stärkste Partei wird. Nach den Umfragen, nach den Prognosen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der AfD und der SPD. Wie die Mehrheit dann mit den anderen Parteien zusammen aussieht, wird sich noch zeigen. 

Aber natürlich macht einem das Sorgen. Wir müssen weiter fragen und im Gespräch bleiben. Das halte ich für ganz wichtig. Wir müssen erklären, warum wir Vorbehalte gegen die AfD haben und warum wir dem als Christen nicht zustimmen können. Das ist eine große Frage an uns: Warum gelingt es uns nicht stärker, hier Menschen auf den Weg mitzunehmen? 

Heiner Koch

"Gestern sagte ein Politiker: "Ohne Ihre Stimme als Kirche wäre es noch viel schlimmer"."

Gestern sagte ein Politiker: "Ohne Ihre Stimme als Kirche wäre es noch viel schlimmer". Das habe ich zwar als ermutigend empfunden, aber es war trotzdem nicht sehr beruhigend.

Wir werden den Weg weitergehen. Wir werden das vor allen Dingen inhaltlich diskutieren und dann wird man sehen. Wir sehen es auch an der Art und Weise, wie die AfD im Landtag sich eingibt.

Das Interview führte Carsten Döpp. 

Heiner Koch

Heiner Koch wurde am 13. Juni 1954 in Düsseldorf als Sohn eines Justizamtsrates geboren. Nach dem Studium der Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Bonn und einer Promotion in Theologie empfing er 1980 in Köln die Priesterweihe. Anschließend war er unter anderem Hochschulpfarrer an der Universität Düsseldorf und hatte leitende Funktionen in der Verwaltung des Erzbistums Köln inne.

Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse ( KNA )
Quelle:
DR