Warum der Papst einen Brandbrief an die Kardinäle schreibt

Offene Fragen

Ein Brief des Papstes an die Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche ist extrem selten. Auch ältere Vaticanisti können sich nicht erinnern, wann es so etwas zuletzt gab. Doch am 16. September war es so weit. Ein Brief von Franziskus.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Papst Franziskus an einem Schreibtisch / © Lola Gomez/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus an einem Schreibtisch / © Lola Gomez/CNS photo ( KNA )

Auf den ersten Blick geht es im Offenen Brief des Papstes an das Kardinalskollegium vom 16. September "nur" um einen Appell zur Sparsamkeit bei den Ausgaben der Römischen Kurie. 

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass nichts weniger auf dem Spiel steht als das schiere Überleben der Leitungsbehörde der katholischen Weltkirche - oder, um es mit den Worten des Papstes zu sagen: "Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir heute vor strategischen Entscheidungen stehen, die wir mit großem Verantwortungssinn annehmen müssen, weil wir aufgerufen sind, die Zukunft unseres Auftrages sicherzustellen."

Dass der Papst den Brief an das Kardinalskollegium schrieb (und ihn dann auch noch öffentlich machte), hat zweierlei Gründe. Zum einen sind es in der Regel Kardinäle, die wichtige "Dikasterien" im Vatikan leiten. Der Brief erreicht also die Männer auf der Leitungsebene im Vatikan - einschließlich der noch lebenden Vorgänger, deren Wort in der Regel auch noch ein gewisses Gewicht hat.

"Weitere Anstrengungen aller sind nötig"

Doch die meisten Empfänger sind Kardinäle, die als amtierende oder ehemalige Ortsbischöfe in den Bistümern der Weltkirche leben. Auch die erfahren dadurch von den dramatischen finanziellen Engpässen, die im Vatikan herrschen - und davon, dass jetzt "strategische Entscheidungen" anstehen. Ferner ist der Brief gewissermaßen ein Rechenschaftsbericht des Papstes an das Gremium, das ihn im März 2013 zum Papst gewählt hat und das ihm die Forderung nach einer gründlichen Reform der Kurie und einer Sanierung ihrer Finanzen gewissermaßen als Jobbeschreibung mit auf den Weg gegeben hat. Auch im jüngsten Gespräch mit den Jesuiten in Jakarta am 4. September hat er dies noch einmal unterstrichen.

Dass er diesen Auftrag nur zum Teil erfüllt hat, indem er mit "Praedicate evangelium" die Struktur der Römischen Kurie veränderte - Kritiker sagen: indem er die Namen einiger Behörden änderte und Türschilder austauschte - räumt der Papst in dem Schreiben implizit ein. Er schreibt: "Aus diesen Gründen ist nun eine weitere Anstrengung aller nötig, damit ein Null-Defizit nicht nur ein theoretisches Ziel sondern eine praktisch realisierbare Vorgabe wird."

Keine echten Einsparungen

Vieles spricht dafür, dass der Heilige Stuhl vom Null-Defizit nach wie vor weit entfernt ist. Zwar wurden seit längerer Zeit keine Bilanzen mehr vorgelegt, aber die Rahmenbedingungen, die zu den letzten bekannten Zahlen aus dem Jahr 2022 über ein strukturelles Defizit in Höhe von etwa 60 Millionen Euro führten, haben sich nicht grundlegend geändert.

Dazu gehören auf der Ausgabenseite die unverändert hohen Personalkosten von jeweils etwa 2.000 Angestellten beim Vatikanstaat und bei der römischen Kurie. Durch schlechter bezahlte Überstunden konnten sie zwar minimal reduziert werden, aber da der Papst aus sozialen Gründen Entlassungen ablehnt, sind echte Einsparungen nicht möglich.

Stunde der Wahrheit für die Vatikan-Finanzen

Auch auf der Einnahmenseite wurden nur geringfügige Verbesserungen erzielt. So wurden etwa die Öffnungszeiten bei der "Cash Cow" Vatikanmuseen verlängert und gleichzeitig die Ticketpreise erhöht. Auch die Ertragssituation bei der Vatikanbank IOR hat sich leicht verbessert - und das, obwohl das Institut weiterhin keine Kredite vergeben darf, womit andere Banken in der Regel ihr Geld verdienen. Rückläufig sind hingegen die Spenden der Gläubigen und der Bistümer aus aller Welt.

Und beim wichtigsten Vermögen des Heiligen Stuhls, dem großen Immobilienbesitz in Rom, geht es mit den Einnahmen nicht wirklich aufwärts. So lässt sich etwa das Vorhaben des Papstes, von den Kurien-Kardinälen marktübliche Mieten für ihre meist sehr großen Wohnungen zu verlangen, in den meisten Fällen nicht realisieren: Von einem überschaubaren Kardinalsgehalt von unter 5.000 Euro monatlich lassen sich beim besten Willen keine 4.000 Euro für eine marktübliche Miete abzweigen. So etwas ist nur bei jenen Kardinälen möglich, die wie einige Amerikaner oder Deutsche über sonstige Einnahmequellen verfügen.

Auf der Suche nach Einnahmequellen

Dem Vernehmen nach hat der Papst persönlich sich dieses Problems angenommen und legt in Einzelfällen die Mietpreise für Kardinalswohnungen fest. Dass er mit dieser Form des Mikro-Managements offenbar nicht die Finanzen des Heiligen Stuhls retten kann, hat er nun selbst mit seinem Brandbrief eingeräumt.

Um aus dem Tal der Tränen herauszukommen, hat er deshalb in dem Schreiben die finanziell sehr unterschiedlich aufgestellten Vatikan-Institutionen aufgefordert, geschwisterlich miteinander zu teilen. Ob das wirklich dazu führt, dass traditionell höchst vermögende Institutionen wie die alte "Propaganda Fide" (heute: Verkündigungs-Dikasterium) mit chronischen Geld-Verbrennern wie dem diplomatischen Dienst gemeinsame Sache machen, ist eine offene Frage. 

Um Abhilfe zu schaffen, appelliert der Papst an die einzelnen Institutionen, jeweils selbstständig nach externen Geldquellen zu suchen und fordert, "dass sich jede Institution darum bemüht, für die Erfüllung ihres Auftrags externe Ressourcen zu suchen und ein Vorbild an transparentem und verantwortungsvollem Mitteleinsatz im Dienste der Kirche zu werden."

Öfters faktisch pleite

Ob das alles reicht - und vor allem, ob es früh genug kommt, um einen Bankrott zu verhindern, ist nicht sicher. Spannend ist auch die Frage, was geschehen würde, wenn es dazu käme. Denn anders als die meisten Staaten kann sich der heutige Vatikanstaat auf dem Kapitalmarkt kein Geld leihen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Kirchenstaat noch fast so groß war wie die Schweiz, gab es Staatsanleihen im Namen des Papstes, doch diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei.

Ältere Vatikanbeobachter berichten, dass der Heilige Stuhl im 20. Jahrhundert schon mehr als einmal faktisch pleite gewesen sei. So auch in der Nachkriegszeit in den 1940er Jahren. Damals habe die US-Regierung den Papst und seinen Apparat finanziell gerettet - auch um ihn als Bollwerk gegen das Vorrücken der Kommunisten in Europa zu stützen. Die Rechnung sei damals aufgegangen. Aber ob Washington in der jetzigen Konstellation wieder so handeln würde, sei fraglich.

Finanzen im Vatikan

Als zentrale Leitungsbehörde einer weltweiten Organisation sowie als Träger karitativer Einrichtungen hat der Heilige Stuhl hohe laufende Kosten, die meisten davon für Personal. Die Einnahmen kommen aus sehr unterschiedlichen Quellen.

Dazu zählen im Vatikan die Gewinne der Vatikanbank IOR aus Gebühren und Zinsen sowie die an den Heiligen Stuhl abgeführten Gewinne des Vatikanstaates, etwa aus Eintrittsgeldern oder dem Verkauf von Briefmarken.

Stapel von Geldmünzen und Geldscheinen spiegeln sich vor einer gezeichneten Kuppel des Petersdoms.  / © Julia Steinbrecht (KNA)
Stapel von Geldmünzen und Geldscheinen spiegeln sich vor einer gezeichneten Kuppel des Petersdoms. / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA