Warum Mahatma Gandhi nie den Friedensnobelpreis bekam

Fünfmal nominiert und immer leer ausgegangen

An diesem Freitag wird bekannt gegeben, wer in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhält. Mit Mahatma Gandhi hat ausgerechnet die Ikone des gewaltlosen Widerstands die renommierte Auszeichnung nie bekommen.

Autor/in:
Christiane Laudage
Gandhi-Denkmal in Hannover / © Norbert Neetz (epd)
Gandhi-Denkmal in Hannover / © Norbert Neetz ( epd )

Mohandas Karamchand Gandhi (1869-1948), genannt Mahatma – die große Seele, war Politiker, Pazifist und maßgeblich an dem Weg Indiens in die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht beteiligt. Er entwickelte das Konzept des Satyagraha, das vorsieht, das Gewissen und die Vernunft des politischen Gegners anzusprechen durch gewaltfreien Widerstand sowie die Bereitschaft, Schmerz und Leiden auf sich zu nehmen.

Wenn nicht er, dann wer? Diese Frage stellte sich auch der Historiker Oyvind Tonnesson und wertete die damaligen Unterlagen des norwegischen Nobelpreiskomitees aus. Seine Analyse, warum Mahatma Gandhi nie den Friedensnobelpreis bekam, ist auf der Seite des Nobelkomitees veröffentlicht unter dem Titel "Mahatma Gandhi, der fehlende Preisträger".

Erste Nominierung 1937

Gandhi wurde das erste Mal 1937 für den Friedensnobelpreis nominiert und kam als einer von insgesamt 13 Kandidaten in die engere Auswahl. Als Berater des norwegischen Nobelkomitees schrieb der Historiker Jacob Worm-Müller einen eher kritischen Bericht über Gandhi.

Einerseits gab Worm-Müller zu: "Er ist zweifellos ein guter, edler und asketischer Mensch – ein bedeutender Mann, der von den Massen Indiens verdientermaßen geehrt und geliebt wird." Aber andererseits: "Er ist ein Freiheitskämpfer und ein Diktator, ein Idealist und ein Nationalist. Oft ist er ein Christus, aber dann plötzlich ein gewöhnlicher Politiker."

Der Historiker Tonnesson hält es für unwahrscheinlich, dass das Nobelkomitee Gandhi ernsthaft als Preisträger in Betracht gezogen habe. Der norwegische Politiker Ole Colbjornsen, der Gandhi schon 1937 nominiert hatte, schlug Gandhi auch in den folgenden Jahren 1938 und 1939 vor, doch kam der indische Pazifist beide Male nicht in die Endauswahl. Das war 1947 anders, als das Land unabhängig wurde.

Vierte Nominierung 1947

1947 kamen die Nominierungen aus Indien, die das norwegische Außenministerium an das Nobelkomitee weitergab. So schrieb der Politiker Govindh Ballabah Panth, Premierminister der Vereinigten Provinzen: "Empfehle für den diesjährigen Nobelpreis Mahatma Gandhi, den Architekten der indischen Nation, den größten lebenden Vertreter der moralischen Ordnung und den wirksamsten Verfechter des heutigen Weltfriedens." Tatsächlich kam Gandhi in diesem Jahr in die engere Auswahl.

Nach der Analyse von Tonnesson verfasste der Historiker Jens Arup Seip ein positives, doch keineswegs enthusiastisches Gutachten. Laut Tonnesson trat das Komitee am 30. Oktober 1947 zusammen, um sich zu entscheiden. Zwei Mitglieder votierten für Gandhi, drei gegen ihn, wobei die Vorgänge in Indien eine Rolle spielten. 

Mittlerweile kam es nach der Teilung der ehemaligen britischen Kolonie in die Staaten Indien und Pakistan zu brutalen Ausschreitungen. Das Komitee entschied sich dafür, den Preis der Gemeinschaft der Quäker zu verleihen. Die Quäker leben Gewaltfreiheit, verweigern den Wehrdienst und leisten stille Hilfe.

Fünfte Nominierung 1948

1948 wurde Mahatma Gandhi mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert. Zwei Tage vor Ende der Frist wurde Gandhi am 30. Januar 1948 ermordet. Dennoch kam der indische Pazifist wieder in die engere Wahl und wieder schrieb der Berater des Nobelkomitees Seip ein Gutachten.

Er kam laut Tonnesson zu dem Schluss, dass Gandhi durch seinen Lebensweg vorbildlich geworden sei: "In dieser Hinsicht kann Gandhi nur mit den Gründern der Religionen verglichen werden."

Nach den Statuten konnten Nobelpreise damals auch posthum vergeben werden. Tatsächlich gingen die Überlegungen dahin, erklärt Tonnesson, doch am 18. November 1948 entschloss sich das norwegische Nobelkomitee, den Friedensnobelpreis für das Jahr auszusetzen, da es keinen angemessenen lebenden Kandidaten gebe.

Warum kein Nobelpreis für Gandhi?

Der Historiker Tonnesson beantwortet die oft gestellte Frage, ob vielleicht der Horizont des Nobelkomitees zu eng war, mit wahrscheinlich ja. Bis in die 1960er Jahre sei der Friedensnobelpreis fast ausschließlich an Europäer oder US-Amerikaner gegangen. Gandhi wäre der Vertreter einer neuen Generation von Preisträgern geworden, hätte er ihn bekommen.

Ebenso oft wurde spekuliert, ob das Nobelkomitee von einer Verleihung an Gandhi absah, um die Briten nicht zu provozieren. Tonnesson verneint das. Er sagt, 1947 hätte Gandhi die Auszeichnung bekommen, wenn dem Komitee wegen der Ausschreitungen nicht Zweifel an seiner Gewaltlosigkeit gekommen wären. Im Gegensatz zu heute sei es für das Nobelpreiskomitee noch nicht üblich gewesen, den Friedenspreis als Anreiz für die friedliche Beilegung regionaler Konflikte zu nutzen.

Friedensnobelpreis

Der Friedensnobelpreis ist eine der renommiertesten Auszeichnungen weltweit. Seit der Gründung 1901 wurde er bislang 97 mal verliehen; unter den Preisträgern waren 109 Personen und 25 Organisationen. Den ersten Friedensnobelpreis bekamen 1901 der Schweizer Henri Dunant und der französische Pazifist Frederic Passy. Dunant gründete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Friedensnobelpreise wurden bislang in 101 Jahren vergeben - in Kriegszeiten sowie manchen Jahren, in denen kein geeigneter Preisträger gefunden wurde, gab es keine Verleihungen.

Kopien von Medaillen mit dem Bildnis von Alfred Nobel / © Jeppe Gustafsson (shutterstock)
Kopien von Medaillen mit dem Bildnis von Alfred Nobel / © Jeppe Gustafsson ( shutterstock )
Quelle:
KNA