Der Händler schüttet einen großen Sack mit Handy-Schutzhüllen auf den staubigen Boden der Hanson Road inmitten von Ghanas Hauptstadt Accra. Daneben liegen hunderte Sim-Karten-Slots und irgendwo noch ein altes Nokia-Handy. "Bei mir bekommst Du alles", sagt er stolz, "nur nicht von den neuen Modellen."
Seine Ware bezieht er aus dem Viertel jenseits der Straße: der illegalen Müllkippe Agbogbloshie, bekannt als "Europas größte Elektroschrotthalde". Rund 8.000 Menschen arbeiten dort im Müll, der zu einem großen Teil illegal aus Europa hier landet. Sie trennen Rohstoffe mit einfachsten Werkzeugen wie Hammer, Meißel und Zangen, verbrennen Kabel, um an das Kupfer zu kommen, brechen Bausteine aus Leiterplatinen oder holen das Messing aus defekten Klimaanlagen.
Kinder spielen im stinkenden Müll
Und zwischendrin spielen Kinder mit allem, was sich im stinkenden Staub finden lässt. Auch die Kinder von Mohammed. Der Dreißigjährige lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern mitten auf der Müllkippe in einem einzigen kleinen Zimmer.
Während er vor der Tür gemeinsam mit Freunden Kupfer aus Motorenteilen und Kabeln gewinnt, schneidert seine Frau Kleider mit einer uralten Nähmaschine. Da fehlt Zeit für den Nachwuchs. Und Kindergarten oder Schule gibt es hier nicht.
Kirchliche Hilfsorganisationen, die vom deutschen katholischen Hilfswerk missio Aachen unterstützt werden, haben deshalb bereits 2008 einen Rückzugsort für die Mädchen und Jungen gegründet: In der "City of God" - einem kleinen zweigeschossigen Bau mit drei Räumen - kümmern sich Ehrenamtliche und junge Erzieherinnen tagsüber um etwa 60 Kinder.
Der große Traum vom Kinderschutz-Zentrum
Viel zu wenig Raum, viel zu wenig Ressourcen für den riesigen Bedarf. 2019 berichtete die in Bad Kreuznach geborene Steyler Missionsschwester Angelina Gerharz gemeinsam mit missio in der TV-Gala "Ein Herz für Kinder" von der Situation vor Ort und von ihrem großen Traum: einem neuen Kinderschutz-Zentrum.
Jetzt haben ZDF-Nachrichtenfrau Gundula Gause und missio- Vizepräsident Gregor von Fürstenberg das neue Zentrum am Rand der Müllkippe eröffnet. In fünf kindgerechten Räumen können hier weitere 150 Kinder spielend lernen oder auf dem geschützten Freigelände herumtoben.
"Diese Mädchen und Jungen haben eine Chance auf eine gute Zukunft", ist sich Gause sicher: "In dem neuen Day Care-Center erfahren die Kinder Zuwendung - die Basis für Menschenwürde und Nächstenliebe."
Weltweite Lawine von Elektroschrott
Doch die Situation der Menschen im Müll bleibt trotz vieler Medienberichte unverändert: "Wenn unsere Elektrogeräte einige Zeit benutzt waren und ausgemustert werden, landen sie oft im Müll", kritisiert von Fürstenberg. Das fördere illegale Müllexporte auch nach Afrika: "Die weltweite Lawine von Elektroschrott vergrößert sich dramatisch", ergänzt er mit Verweis auf den aktuellen UN-Bericht "Global-E-Waste-Monitor".
Kooperationspartnerinnen von missio wie Schwester Mercy Benson von den Steyler Missionarinnen besuchen immer wieder die Arbeiter mitten im Müll. Ihre Sorge um die Gesundheit der Kinder - und auch der Eltern - ist groß: Studien sprechen von einer Lebenserwartung von 30 bis 40 Jahren für die Menschen, die hier leben und arbeiten.
Sie könne sich vor Ort nur um die eine Verbesserung der Situation der Kinder kümmern, an den Grundproblemen aber wenig ändern, so die Ordensfrau. Hier sieht sie die Politik in Europa in der Pflicht, denn: "Wir wollen nicht, dass Afrika zur Müllhalde der Welt wird!
Appell zur Recycling-Wende an die Bundesregierung
In einem Appell fordern missio und seine Partner in Deutschland und in Ghana deshalb jetzt eine "Recycling-Wende" von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne): "Leiten Sie Maßnahmen ein, damit die EU-Quote für das Recyceln von Elektroschrott eingehalten wird."
Die Bundesregierung müsse dringend die bisher viel zu niedrige Recycling-Quote in Deutschland erhöhen und so dafür sorgen, "dass die 6.000 Kilo Gold endlich aus den ausgemusterten 210 Millionen Smartphones in Deutschland herausgeholt werden und mehr Geräte wieder aufbereitet werden", heißt es weiter.
Denn nur so hätten Mohammed und seine Familie eine realistische Chance auf ein besseres Leben - ohne Gift, Müll und Gestank.