Mit der Geschichte von einer Stadt, in der niemand hungern musste, begann Domkapitular Dominik Meiering seine Predigt im Kapitelsamt des Kölner Domes am Sonntag. So sorgte es für Aufregung, dass plötzlich mitten in der Stadt ein Bettler starb. Der Bettler sei nicht an seinem Hunger gestorben, sondern an seinem Stolz, weil er nicht um ein Stück Brot betteln wollte, so der Rabbi der Stadt.
An diese Geschichte von Manès Sperber müsse Meiering oft denken, wenn er an den vielen Bettlern in der Kölner Innenstadt vorbeigeht und dem einen oder anderen auch etwas gibt oder ihn segnet. Neben der vielen Verzweiflung erkenne er in den Augen dieser Menschen einen unauslöschlichen Funken von Würde. Auf einmal sehe er sich nicht mehr als der huldvolle Geber, der überlegene Schenker. Ist es dieser Stolz, den der Bettler in der Erzählung von Manès Sperber hatte?
Verkümmerung der Geistesgaben
Am heutigen Welttag der Armen gehe es aber nicht nur um diese materielle Form von Armut. Wie viel Armut an Zuwendung verspürten zum Beispiel heute Kinder und Jugendliche, wenn sie sich mehrere Stunden am Tag nur noch mit ihrem Handy beschäftigen? "Wenn ihr technisches Gerät das Fenster zu ihrer Außenwelt und Umwelt ist, dann verkümmert doch etwas", warnt der Domkapitular. Da sei es doch etwas anderes, jemandem real in die Augen zu schauen. "Der Blick des Bettlers, seine ausgestreckte Hand, stellt mir diese Wirklichkeit hautnah vor Augen."
Es sei Armut, mit dieser Wirklichkeit nur noch durch künstliche Hilfsmittel in Kontakt zu stehen. Die Folge daraus sei eine Verkümmerung der Geistesgaben, so Meiering. Die Folgen seien bereits in unserer Gesellschaft zu bemerken. Wie könne es sein, dass Politiker gewählt werden, die Hass reden und Verleumdungen verbreiten, mit der Bibel in der Hand auftreten, aber selbst verurteilte Straftäter sind? Annegret Kramp-Karrenbauer habe in ihrer Predigt zum diesjährigen Kölner Stadtpatronatsfest in der Basilika St. Gereon gefragt, ob bei all der Wut in unserer Gesellschaft das Gemeinmachen mit Kräften, die die Würde des Menschen infrage stellen, gerechtfertigt sei.
Vertrauen auf Gebet und Gericht
Bei alledem müsse er an den unverkäuflichen Stolz und die unauslöschliche Würde des Bettlers denken. Zeige die Anwesenheit dieser vielen Armen, Bettler und Obdachlose uns nicht, dass in unserer Gesellschaft etwas nicht stimmt? Wie könne es sein, dass während Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen, während andere mit ihren Milliardärs-Jachten durch die Meere jagen und auf TicToc ihre goldenen Uhren zeigen? "Da packt mich manchmal auch ein heiliger Zorn, da kann ich verstehen, wie es Jesus zumute war, als er die Händler aus dem Tempel trieb."
Domkapitular Meiering schloss seine Predigt mit einem Vertrauensausspruch auf das, was im Buch Jesus Sirach steht, woraus auch Papst Franziskus in seinem Schreiben zum Welttag der Armen zitiert: "Das Gebet eines Demütigen durchdringt die Wolken. Und bevor es nicht angekommen, wird er nicht getröstet. Er lässt nicht nach, bis der Höchste darauf schaut. Und er wird für die Gerechten entscheiden und ein Urteil fällen. Und der Herr wird gewiss nicht zögern und nicht langmütig sein gegen die Unbarmherzigen."
DOMRADIO.DE übertrug das Kapitelsamt aus dem Kölner Dom. Unter der Leitung von Oliver Sperling und Cécilia Bazile sang der Mädchenchor am Kölner Dom die Messe A-Dur op. 126 von Josef Gabriel Rheinberger sowie "Laudate pueri" von Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Orgel spielte Simon Schuttemeier.