DOMRADIO.DE: Seit dem 1. November sind die Kältebusse wieder in der Hauptstadt unterwegs. Was ist die Hauptfunktion eines Kältebusses und für wen ist er gedacht?
Barbara Breuer (Berliner Stadtmission der Evangelischen Kirche): Kältebusse fahren nachts durch die Straßen von Berlin und reagieren auf Anrufe von Passantinnen und Passanten. Wenn sie jemanden gesehen haben, der obdachlos ist, dem es nicht gut geht und das mit der Frage verbunden ist, ob diese Person in einer Notunterkunft untergebracht werden muss, kann man sich in einem Callcenter melden.
Die Busse fahren dann zu den entsprechenden Menschen und fragen, ob sie mitfahren wollen. Ganz oft wollen sie das nicht. Sie haben bestimmte Gründe, warum sie Notunterkünfte meiden. Sie mögen es zum Beispiel nicht, mit vielen Menschen in einem Raum zu sein.
Dann haben die Kältebusse die Möglichkeit, die Leute mit Schlafsäcken, heißem Tee oder einer Suppe zu versorgen. Und wenn sie wissen, dass irgendjemand unter irgendeiner Brücke ist, dem es nicht gut geht, dann schauen sie auch so mal vorbei.
DOMRADIO.DE: Seit 1994 ist der Kältebus in Berlin jetzt schon im Einsatz. Was war damals der Anlass, dieses Angebot in Berlin einzuführen?
Breuer: Es war der Erfrierungstod eines obdachlosen Menschen. Da haben Kolleginnen und Kollegen von mir gesagt: "Es kann nicht sein, dass in so einem Land wie Deutschland Menschen erfrieren müssen." Sie haben sich spontan einen alten, ausgemusterten VW-Bus geschnappt und sind losgefahren, zum Beispiel an die U-Bahnhöfe. Und da haben sie die Leute gefragt, ob sie schon wissen, wo sie übernachten werden. Oft kam die Antwort, dass sie das nicht wüssten; "wir schauen mal", haben sie oft gehört.
Dann haben sie angefangen, die Leute einzusammeln. Schwierig war damals nur, dass man noch nicht so genau wusste, wohin mit ihnen. Es gab diese Infrastruktur noch nicht, es gab noch nicht so viele Not-Übernachtungsplätze. Eine Kirchengemeinde hat dann abends immer umgeräumt und eine provisorische Notübernachtungsstelle geschaffen.
DOMRADIO.DE: Letzte Woche war der Bundespräsident zum 30. Jubiläum bei Ihnen, um Ihnen zu danken. Wie haben Sie diesen Besuch von Frank-Walter Steinmeier erlebt? Welche Bedeutung hat er für Ihre Arbeit ?
Breuer: Also für die rund 60 Kolleginnen und Kollegen, die ehrenamtlich bei uns die Kältebusse fahren und das Kältebus-Team bilden, ist das natürlich eine große Wertschätzung, wenn das Staatsoberhaupt vorbeischaut und Dankbarkeit ausdrückt. Das war wirklich toll. Der Bundespräsident hat auch Suppe an obdachlose Menschen verteilt und ist mit ihnen ins Gespräch gekommen.
Ich glaube, das sind ganz wertvolle Momente. Wahrscheinlich ist man als Berufspolitiker, der das schon so viele Jahre macht, auch schon ein Stückchen weit weg von der Lebensrealität. Aber Frank-Walter Steinmeier hat ja tatsächlich auch seine Doktorarbeit zum Thema Obdachlosigkeit geschrieben. Das war schon immer ein Thema, das ihm sehr am Herzen lag. Uns freut es natürlich sehr, wenn er das nicht aus dem Blick verliert.
DOMRADIO.DE: Wann sollte ich auf jeden Fall den Kältebus anrufen?
Breuer: Es kann lebensrettend sein, wenn wir gemeinsam die Augen aufmachen und darauf schauen, wie es unseren Nächsten geht, wie es den Menschen auf der Straße geht. Was man nicht erwarten darf, ist, dass die Leute immer das machen, was man selber will. Deswegen muss man sie fragen, bevor man uns anruft.
Wir haben oft Anrufe von Passantinnen und Passanten, die auf irgendeiner Parkbank irgendwas gesehen haben und einen Menschen vermuten. Da können wir aber nicht hinfahren. Wenn der Bus auf Verdacht einmal quer durch die Stadt fährt und derjenige vielleicht nirgendwohin möchte, nicht mal angesprochen werden möchte, dann ist das vertane Zeit.
In dieser Zeit erfriert in einer anderen Ecke der Stadt vielleicht jemand anderes. Auf jeden Fall müssen die Leute sich ein Herz fassen und die Leute ansprechen. Man kann ja einfach sagen: "Ich mache mir Sorgen um Sie. Es ist so kalt, kann ich Ihnen irgendwie helfen? Darf ich den Kältebus anrufen?" Wenn die Leute zustimmen, ist das super. Wenn nicht, dann können wir leider auch nichts machen. Wir zwingen ja auch niemanden, in den Bus einzusteigen. Aber wachsam sein und Hilfe anzubieten ist immer eine gute Geste.
DOMRADIO.DE: In den vergangenen Jahren finanziert sich der Kältebus fast ausschließlich aus Spenden. Kommen Sie damit über die Runden?
Breuer: Das ist natürlich immer schwierig. Man hat keine Planungssicherheit. Bisher haben wir das immer gestemmt. Und an die lieben Berliner Spenderinnen und Spender, die uns geholfen haben, sei ein herzlicher Dank ausgerichtet. Aber es ist natürlich immer schwierig.
Es kann ja mal ein Auto kaputtgehen und dann muss die Reparatur bezahlt werden. Dann fahren nicht mehr mit drei Bussen in der Nacht, sondern nur noch mit zwei. Das Benzin wird teurer, die Lebensmittel auch. Es ist schon schwierig, das alles zu wuppen. Und ja, es wäre natürlich schön, wenn das Ganze auch vom Staat finanziert wäre und das ein regulärer Teil der Kältehilfe wäre.
DOMRADIO.DE: Aber das wird nicht passieren.
Breuer: Bisher ist das nicht passiert. 30 Jahre haben wir auf dem Buckel. Mal gucken, was die nächsten 30 Jahre bringen. Wir sind ja Christen und verlieren die Hoffnung nicht.
DOMRADIO.DE: Wie wird der Kältebus in Berlin weiter unterwegs sein? Was kann er weiterhin tun?
Breuer: Wir hoffen, dass der Kältebus weiterhin so große Unterstützung in der Bevölkerung erfährt, dass wir weiterhin so viele tolle ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer haben, die Nacht für Nacht bis zwei oder drei Uhr morgens unterwegs sind, um die Leute auf der Straße aufzusuchen.
Was wir aber auch feststellen, ist eine Entwicklung, die in den letzten Jahren zugenommen hat und die wahrscheinlich nicht abnehmen wird. Den Menschen auf der Straße geht es zunehmend schlechter. Wir haben immer mehr mobilitätseingeschränkte Menschen, zum Beispiel Menschen, die im Rollstuhl sind. Für die gibt es einfach keine barrierefreien Unterkünfte. Wir haben auch zunehmend Menschen, denen es psychisch sehr schlecht geht. Der Umgang mit ihnen ist nicht so einfach und die wollen auch oft nicht in Unterkünfte. Die Probleme werden also nicht weniger, sondern eher mehr in den nächsten Jahren.
Das Interview führte Carsten Döpp.