Dass Gemeinden nicht laut Hurra schreien, wenn sie zusammengelegt werden, ist mehr als verständlich. Auch wenn die Versprechen von Synergien, Effizienz und der Abbau von Doppelstrukturen zunächst toll klingen, die unbequeme Wahrheit ist: Sparzwang führt zu Zweck-Gemeinschaft.
Anders als in biologischen oder physikalischen Prozessen erfordert die Fusion von Kirchengemeinden jedoch vor allem eines: Vertrauen. Und das braucht Zeit. Deshalb meint die Losung #ZusammenFinden in erster Linie wohl ein Zusammenwachsen – eine höchst emotionale Angelegenheit. Seinen Namen aufgeben. Sein Konto teilen. Plötzlich Freunde sein müssen, wo vorher möglicherweise nicht einmal Sympathien gehegt wurden. Wie soll das funktionieren?
Einige Gemeinden sind schon sehr weit
Und doch es gibt sie – die Beispiele, die die Ankündigung der Pfarreireform nicht nur geschluckt, sondern binnen eines Jahres schon verdaut zu haben scheinen. Düsseldorf Nord ist so eins. Schon zum 1. Januar 2026 wollen dort zehn Kirchengemeinden unter einem Dach agieren. Ein ambitioniertes Ziel.
Kirchenvorstände und das Pastoralteam waren sich rasch einig. Der Beschluss wurde einstimmig verabschiedet – ohne Gegenstimmen, betont Pfarrer Oliver Dregger: "Die Beteiligten haben die Notwendigkeit der Reform erkannt. Wir wollen Menschen erreichen, dafür brauchen wir schlanke Strukturen. Da ist die Fusion der richtige Weg". Schließlich werde vieles dadurch einfacher: Nur noch ein Pfarrgemeinderat und ein Kirchenvorstand, bedeutet weniger Bürokratie für alle.
Nachfragen habe es viele gegeben, aber keinen Streit, berichtet Dregger. Er konnte als leitender Pfarrer der neuen Pastoralen Einheit die Sorge vor einer Zentralisierung nehmen: "Die pastorale Musik spielt in den Ortsgemeinden – auch weiterhin". Hinzu kommt, dass einer der beiden Seelsorgebereiche in der Vergangenheit bereits zusammengelegt worden ist. Gemeinden, die Erfahrung mit Fusionen haben, sind tendenziell aufgeschlossener.
Zusammenfinden heißt Zusammenwachsen
Die größte Frage aber, die im Raum steht, ist: Was ändert sich konkret im Gemeindeleben? Was bedeutet die Reform für den Gottesdienstbesucher am Sonntag, die Frauengruppe im Pfarrheim, die Verwandten, die ihr Kind taufen oder firmen lassen wollen? Im besten Fall ändert sich nichts. Im schlechtesten wird auch mal eine Kirche zu gemacht. Dann muss man eben zur nächsten fahren.
Zusammenfassen könnte man die Auswirkungen auch mit den fünf Gs: Grenze, Größe, Gebäude, Geld und Geistliche beziehungsweise Mitarbeitende im Allgemeinen. In diesen Bereichen kommen drastische Veränderungen auf die Gemeinden zu. Wie diese in der Praxis aussehen, müssen die Pastoralen Einheiten für sich aushandeln.
Vertrauen ist eine Frage der Zeit
"Wir bemühen uns, dass die Menschen miteinander etwas erleben", sagt Pastor Lambert Schäfer, der den Zusammenschluss von Lindlar, Wipperfürth, Marienheide, Radevormwald und Hückeswagen in Oberberg Nord koordiniert – einer der größten Pastoralen Einheiten im Erzbistum Köln. Erste gemeinsame Projekte gibt es schon: ein Laienkonzert, Exerzitien im Alltag, eine Bibel-Woche mit Wanderungen.
Schäfer ist Pragmatiker. Alles sei eine Frage des Wollens und der behutsamen Heranführung, sagt er. "Die meisten Menschen sind mobil. Wenn ihnen der Gottesdienst wichtig ist, werden sie einen weiteren Weg in Kauf nehmen". Von den Bistümern in Ostdeutschland könne man dabei viel lernen. Sie leben schon lange in einer Diaspora-Situation. Dass sich das Priesterbild wandeln müsse und Ehrenamtliche stärker gefragt sind, liege auf der Hand.
Wer kann mit wem (nicht)?
Doch ob die Einbindung von Freiwilligen in Zukunft noch so gut gelingt, bleibt fraglich. Die Ehrenamtler Christoph Klein, Mitglied im Lindlarer Pfarrgemeinderat, und Michael Hänsch, Teil des Kreiskatholikenrates in Oberberg, haben Zweifel. Gremienarbeit in Großpfarreien wird aus ihrer Sicht deutlich unattraktiver: "Ich kenne Hückeswagen und Radevormwald höchstens von der Autobahnausfahrt. Ich habe gar keinen Bezug dazu. Bin ich dann im Kirchenvorstand auf einmal für einen Kindergarten in Hückeswagen zuständig? Oder von dort jemand für unseren Friedhof? Das ist eine vollkommene Überforderung des Ehrenamts." Christoph Klein pflichtet Hänsch bei: "Viele Menschen engagieren sich gerne, eben weil sie es für ihren Heimatort tun".
Eine fusionierte Mega-Pfarrei können sie sich nicht vorstellen. Deshalb werben die beiden Ehrenamtler in Lindlar für die Option des "Spurwechsels" – ein Kompromiss, bei dem unter bestimmten Umständen ein Kirchengemeindeverband als Rechtsform gewählt wird, quasi eine Pfarreiengemeinschaft innerhalb der Pastoralen Einheit. Bis Mitte 2025 muss die Entscheidung in allen 67 Einheiten getroffen sein.
Widerstand, Konflikte und Spannungen
Ganz ähnliche Vorbehalte wie in Lindlar gibt es auch in anderen Seelsorgebereichen des Erzbistums. In Frechen und Hürth etwa will man partout keine pastorale Koalition bilden. Die Kirchengemeindevertreter wehrten sich 2022 mit einem offenen Brief. Pfarrer Michael Tillmann aus Hürth ist noch immer gegen einen Zusammenschluss: "Wir wollen nicht, aber wir müssen. Die Stimmung ist mies. Wir tendieren von der Bevölkerungsdenke mehr zu Köln und Brühl, nicht zu Frechen." Hinzu kommt, dass die neue Pastorale Einheit einen Radius von 25 Kilometern misst: "Bei den Landstraßen können Sie sich vorstellen, wie lange das dauert, bis der Pfarrer in der letzten Gemeinde angekommen ist!".
Auch in Bergisch Gladbach gab es Probleme. Kommunikationsfehler und umstrittene Personalentscheidungen sorgten für öffentlich ausgetragenen Knatsch. Bei der geplanten Modellregion ruderte das Erzbistum zurück. In Erkrath-Hochdahl, Hilden/Haan ließ sich der leitende Pfarrer entpflichten, weil er "sich nicht mehr zwischen den Gemeinden zerreißen lassen wollte". DOMRADIO.DE berichtete. Im Nordkreis Euskirchen protestierten im vergangenen Jahr Mitglieder aus Weilerswist gegen die Zusammenlegung mit Zülpich – ohne Erfolg. Massiven Widerstand der Kirchengemeinden gab es ebenfalls in Brühl und Wesseling. Die Liste ließe sich mühelos fortsetzen.
Neue Strukturen für Seelsorge und Verwaltung bis 2032
Dennoch ist Simon Schmidbaur, der im Erzbistum Köln für die Pastoralen Einheiten zuständig ist, mit dem bisherigen Verlauf der #ZusammenFinden-Reform zufrieden. Er und sein Team aus dem Fachbereich "Entwicklung Pastorale Einheiten" begleiten die Gemeinden durch regelmäßige Gespräche und Informationsangebote.
Widerstand sei im Grunde etwas Gutes, findet er: "Wenn unterschiedliche Traditionen und Frömmigkeiten zusammenkommen, ist es normal, dass man sich um das Eigene Sorgen macht. Was dadurch sichtbar wird, ist die hohe Motivation und Identifikation mit der Kirche vor Ort. Das ist gleichzeitig die größte Ressource, die wir haben". Als Nächstes gehe es darum herauszufinden, was gut zusammen geht und was besser in der eigenen Gemeinde verwirklicht werden kann. Das könne jede Einheit in ihrem Tempo tun. Den vorgegebenen Zeitplan hält er für realistisch.
Kirchturm-Denken bald passé?
Unter’m Strich wird deutlich: Die Reform ist ein Kraftakt. Reden, zuhören, aushandeln – das ist anstrengend. Und am Ende aller Beratungen steht immer nur ein Kompromiss. Dennoch ist die Umstrukturierung angesichts der Realitäten alternativlos. Denn bis 2030 wird es im Erzbistum Köln schätzungsweise 25 Prozent weniger Katholiken und Katholikinnen geben. Der Rückgang des pastoralen Personals in allen Berufsgruppen liegt im selben Zeitraum sogar bei 50 Prozent. Ein Kirchturm-Denken wird bei diesen Aussichten nicht helfen. Wer in Zukunft also seinen Glauben noch in Gemeinschaft leben will, dem muss es egal sein, welcher Name im Schaukasten steht.