DOMRADIO.DE: In den Sozialen Medien präsentieren sich sogenannte "Tradwives", also traditionelle Ehefrauen in Videos mit einer Ästhetik, die wie aus einer anderen Zeit wirkt. Sie zeigen eine heile Welt. Ist es das, was die Nutzerinnen und Nutzer in den Sozialen Medien so fasziniert? Oder warum sind "Tradwives" gerade so erfolgreich?
Prof. Dr. Friederike Herrmann (Professur für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Dekanin der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät (SLF), Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Sicher ist das eine schöne heile Welt, die jeder gerne mal anguckt: Schöne junge Frauen in wunderbarer Umgebung, oft mit tollen Häusern mit Blick auf den See. Sie backen wunderbare Kuchen und haben hinreißende Kinder, die ganz lieb sind. Das macht schon Spaß und ist sicher ein Grund.
Wenn man aber ein bisschen tiefer geht, haben sie ein Weltbild, das sehr klar geordnet und einfach ist. Der Mann steht über der Frau, die Frau kümmert sich um Haushalt, Kinder und Kochen. Das sind sehr einfache Bilder, die in einer immer komplexer werdenden Welt eine gewisse Verführungskraft haben. Diese jungen Frauen sagen dann noch 'Ich lasse meinen Mann für mich entscheiden, weil er der Mann ist, der kann das besser', was mich natürlich erst einmal entsetzt. Das ist aber auch eine Entlastung in einer Welt, in der wir ständig Entscheidungen treffen müssen, von denen wir nicht genau wissen, was sie bringen. In der wir vielleicht auch oft ein bisschen überfordert sind. Ich glaube, das sind Punkte, die die Attraktivität ausmachen.
Vielleicht auch das Wissen, wie schwierig es ist, Beruf und Familie zu vereinen. Solche Auswege aus einer komplexen Lebenssituation, vor allem, wenn sie so ideal gezeigt werden und nicht mit ihren wirklichen Folgen und Implikationen, haben natürlich eine Attraktivität. So wie jeder "Rosamunde Pilcher"-Film Attraktivität hat, würde ich sagen - obwohl man bei diesem Trend sicher noch problematischere Implikationen hat.
DOMRADIO.DE: Sprechen wir mal über das Frauenbild, was hinter den "Tradwives" steckt. Würden Sie sagen, das ist ein bewusstes Gegenmodell zu der modernen, arbeitenden Frau?
Herrmann: Ja, natürlich ist es das. Es ist stark patriarchalisch. Es ist entmündigend für die Frauen. Aber das wird dadurch kompensiert, dass ihnen ihre eigene, glanzvoll gezeichnete Welt zugeschrieben wird. Es ist auch biologistisch, es ist binär – es gibt eigentlich nur zwei Geschlechter, die ganz klar ihre Rollen haben. Insofern ist es schon ein sehr konservatives Frauenbild, das dort gezeichnet wird.
Die oft schwierigen Herausforderungen moderner Frauen, die Berufstätigkeit und Familie zu vereinbaren versuchen und sich in einer Männerwelt oft noch behaupten müssen, scheinen wegzufallen. Wobei natürlich nicht gezeigt wird, was an diesem 1950er-Jahre Frauenbild alles problematisch war: von der Vereinsamung der Hausfrauen bis hin zur Altersarmut.
Und dass Kinder eben nicht immer nur reizend, lieb und nett sind und der Haushalt sich auch nicht von alleine macht. All diese Sachen fallen aus diesen Hochglanzbildern raus.
DOMRADIO.DE: Es gibt darunter auch nicht wenige Influencerinnen, die religiös sind. Man könnte sagen christlich-konservativ, zum Beispiel evangelikal oder auch katholisch. Ist das Zufall?
Herrmann: Was wir über die Entstehung dieser "Tradwives" wissen, ist, dass sie wohl aus dem Dunstkreis der Alt-Right-Bewegung in den USA entstanden sein sollen. Da gibt es auch solche, die sich christlich nennen oder eine Nähe zum Christentum haben, aber tatsächlich noch nicht direkt die fundamentalistischen christlichen Bewegungen in den USA sind, sondern sehr viel stärker nach rechts orientiert. Das meine ich, wenn ich sage, sie haben sehr gefährliche Implikationen.
Zumindest ein Teil hat diese Nähe zu wirklich rechtsextremen Bewegungen und ist insofern nicht in einem christlichen, sondern einem rechten Bild verhaftet, das potenziell gewalttätig ist, weiße, christliche Menschen als einziges Ideal hat und zum Beispiel auch antisemitisch ist. Natürlich migrationsfeindlich. Insofern ist das ein hochproblematisches Bild. Die Videos zeigen einen vermeintlich unpolitischen Alltag. Dadurch findet eine Diskursverschiebung statt, weil die Leute nicht merken, wie politisch es ist. Rechte Gruppen nutzen das aus.
Bei den "Tradwives" gibt es, glaube ich, sehr unterschiedliche Ausprägungen. Es wird sicher auch so sein, dass sich konservative oder sehr konservative christliche Kreise von so einem patriarchalen Frauenbild angezogen fühlen. Vor allem fundamentalistische Kreise. Es gibt "Tradwives", die sich sehr konservativ kleiden und dann vielleicht gut in dieses Weltbild passen. Es gibt auch andere, die sich sehr sexy mit Minirock zurechtmachen – da weiß ich nicht, wie diese Kreise darauf reagieren.
Auch das Christentum ist eine Religion, die in ihren Ursprüngen sehr patriarchale Implikationen hat. Angefangen bei Adam und Eva, bei denen die Unterordnung der Frau und das bestimmende Männliche enthalten ist. Auch wenn es heute viele Christen und Christinnen gibt, die sich ein anderes Frauen- und Männerbild entworfen haben, mag das für bestimmte konservative Kreise immer noch attraktiv sein.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, es ist entmündigend. Es sind eben die patriarchalen Strukturen, die da gefeiert werden. Aber ist es nicht auch ein legitimes, vielleicht sogar für manche Menschen ein bewährtes Lebensmodell? Es ist noch nicht so lange her, dass es hier in Deutschland auch so war, dass sich eine Frau der Familie widmet. Warum muss man sich schämen, wenn man heute nur Hausfrau ist? Warum kann die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit nicht eine selbstbestimmte Entscheidung sein?
Herrmann: Das ist eine selbstbestimmte Entscheidung. Wir leben in einer freien Gesellschaft und es gibt Frauen, die dieses Modell wählen, und das kann ihnen auch keiner streitig machen. Das ist bei uns natürlich erlaubt und es gibt auch viele, die es zumindest phasenweise leben. Was ich an diesem "Tradwife"-Bild kritisieren würde, ist, dass sie nur die Zuckerseite zeigen. Beispielsweise die Sonntagnachmittage, wenn die Familie traut beisammen sitzt und das Wetter schön ist und meistens alle jung und schön sind.
Es zeigt nicht die Gründe, warum man sich von diesem Frauenbild der 1950er Jahre in ganz weiten Teilen, auch konservativer Frauen, abgewandt hat. Weil es eben ein entmündigendes Modell ist, in dem Frauen finanziell abhängig sind und worin sie auch keine eigenen Entscheidungen treffen konnten. In den 1950er-Jahren konnte der Ehemann der Frau tatsächlich verbieten zu arbeiten. Sie hatten keine echten Bildungschancen und sie endeten sehr oft in Altersarmut, wenn der Mann gestorben war, weil es keine richtige Rente für diese Frauen gab und gibt.
Oder, wenn die Ehe nicht gut lief, was nun auch vorkommt, blieben sie in dieser Ehe und litten unendlich. All diese schwierigen Seiten fallen einfach raus aus diesem Bild. Das würde ich immer kritisieren, denn dann ist das keine wirklich freie Entscheidung. Dann kriege ich irgendwas vorgegaukelt, was es nachher ja gar nicht ist.
DOMRADIO.DE: Wobei man auch sagen kann, dass andere Influencerinnen sicherlich auch nicht nur die Schattenseiten nach vorne kehren.
Herrmann: Das stimmt, da muss ich Ihnen recht geben. Das ist natürlich ein Thema: Nicht alle, aber doch sehr viele dieser Influencerinnen zeigen eher eine schöne, heile Werbewelt.
Das Interview führte Elena Hong.