DOMRADIO.DE: Was bedeutet die Wiedereröffnung der Kathedrale für Paris?
Olivier Latry (Titularorganist von Notre-Dame in Paris): Alle wollen nach Paris kommen und das ist ein Problem. Notre-Dame ist ziemlich klein, es passen nur rund 3000 Menschen in die Kathedrale.
Jeden Tag schreiben mir Leute, die wissen wollen, ob es möglich ist, einen Platz zu bekommen und das ist es nicht. Aber wir werden sechs Monate Wiedereröffnung feiern. Ich denke, dass es viel besser ist, später zu kommen als im Dezember. Im Dezember wird es unmöglich sein.
DOMRADIO.DE: Wenn wir noch einmal an das Feuer zurückdenken, im April 2019. Was haben Sie damals gedacht?
Latry: Ich war sehr böse, dass das so oft passiert, dass ein Gebäude in der Restaurierung beginnt zu brennen. Das ist zum Beispiel in der Kathedrale von Nantes passiert oder auch in der Börse von Kopenhagen in Dänemark. Wie war das möglich, dass das auch in Notre-Dame passiert ist? Das kann ich nicht verstehen. Warum gab es nicht mehr Sicherheit?
Natürlich ist es jetzt auch gut für Notre-Dame. Denn sonst würden wir nicht so viel Geld bekommen. Nach dem Feuer haben wir viele Millionen Euro bekommen. Das war vorher unmöglich. Vorher war es sehr schwer, zum Beispiel nur 30.000 Euro zu finden.
Jetzt diese Millionen, das ist unglaublich. Die Kathedrale ist natürlich jetzt viel schöner als vorher, viel heller: Das ist wie eine neue Kathedrale. Das ist unglaublich. Aber natürlich ist noch nicht alles fertig. Draußen wird es vielleicht noch zehn Jahre dauern.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie gefühlt, als Sie das erste Mal wieder in der aufgeräumten und gereinigten Kathedrale waren?
Latry: Nichts besonderes. Das größte Gefühl war einen Monat nach dem Feuer. Da bin ich in die Kathedrale gekommen und dieses Licht dort hatte ich vorher noch nicht erlebt. Da war dieses Loch, durch das der Turm in die Kathedrale gefallen ist.
Ich konnte den Himmel und die Türme sehen in der Kathedrale. Das war unglaublich, das war wirklich wie nach einem Krieg. Und ich dachte, das ist nicht möglich, das in fünf Jahren zu restaurieren. Aber es hat geklappt. Die Leute aber, die in der Kathedrale gearbeitet haben, sagen: "Nicht mehr, das war zu viel Druck."
DOMRADIO.DE: Es gab ja viele Diskussionen in Frankreich, wie man Notre-Dame wieder aufbauen sollte, am Ende wurde sie mehr oder weniger so wieder wie vorher aufgebaut. Ist das für Sie als Künstler auch die richtige Entscheidung und dass jetzt nicht irgendeine ganz moderne Architektur umgesetzt wurde?
Latry: Das wäre eine Katastrophe gewesen, wenn es eine moderne Architektur, zum Beispiel beim Dach, gegeben hätte. Es ist für mich viel besser, dass es wieder so aufgebaut wurde. Das ist ja im Herz und im Kopf von allen Leuten und ein historisches Monument, da kann man nicht einfach alles anders machen. Und es wäre auch nicht möglich gewesen, die Kathedrale in fünf Jahren mit etwas Zeitgenössischem zu restaurieren.
DOMRADIO.DE: Hat durch das Feuer die Welt, hat Frankreich auch verstanden, wie wichtig diese Kirche ist?
Latry: Wie wichtig das Gebäude ist, ja. Aber nicht, dass es eine Kirche ist und das ist für mich schlimm. Viele Leute hätten Notre-Dame lieber als Museum gesehen, aber das ist für uns natürlich ganz unmöglich.
Notre-Dame ist zuerst eine Kirche, und es muss eine Kirche bleiben. Das ist sehr wichtig, dass die Leute das für die Wiedereröffnung realisieren. Wir können nicht nur Konzerte haben oder Besichtigungen. Wir müssen viele Messen jeden Tag haben, das ist der Sinn, für den Notre-Dame gebaut wurde.
DOMRADIO.DE: Es gab das Gerücht, dass Papst Franziskus zur Wiedereröffnung kommen wollte. Er kommt aber nicht…
Latry: Nein, er wollte nicht kommen. Einige Franzosen wollten, dass er kommt. Aber ich denke, er hat keine wichtige Verbindung mit Frankreich. Sein Interesse ist mehr bei den Ländern des Südens. Europa ist nicht so wichtig für ihn.
DOMRADIO.DE: Am 7. Dezember kommt es zur großen Wiedereröffnung von Notre-Dame. Vielleicht können sie ihre Gefühle beschreiben. Was geht in Ihnen vor? Vorfreude, Aufregung?
Latry: Angst. Es ist ein bisschen komisch. Ich spiele die Orgel von Notre-Dame schon seit einigen Wochen wieder. Und es ist jedes Mal schon ein bisschen besser, würde ich sagen. Aber es fühlt sich noch ein bisschen unangenehm an.
DOMRADIO.DE: Müssen sie sich noch wieder daran gewöhnen, an den Raum und an die Orgel? Oder was macht die Angst?
Latry: Ich habe die Orgel schon im Juni das erste Mal wieder gespielt und da habe ich sie nicht erkannt. Das war sehr, sehr komisch. Die Akustik war sehr unterschiedlich. Es gab fast kaum Nachhall, auch wegen der Gerüste, die in der Kathedrale waren.
Und es ist jedes Mal ein bisschen besser geworden. Das letzte Mal, dass ich dort gespielt habe, war die Kathedrale fast leer, ohne Gerüst und ohne Leute. Und da habe ich die Orgel wiedergefunden und jetzt war sie auch wieder fast ganz, mit allen Pfeifen. Die Orgel muss noch gestimmt werden.
DOMRADIO.DE: Wie lange überlegen Sie schon, was Sie bei der Wiedereröffnung spielen werden?
Latry: Bei der Wiedereröffnung werden wir nur improvisieren. Ich weiß nicht, was ich improvisiere. Das muss nur im letzten Moment kommen. Das ist nicht möglich, eine solche Improvisation zu planen, schon gar nicht eine solche Improvisation wie für diesen Gottesdienst.
Das Interview führte Matthias Friebe.