DOMRADIO.DE: Wie ist Ihr Eindruck? Mit welchem Gefühl sind Sie aus Paris zurückgekommen?
Ansgar Wallenhorst (Konzertorganist, künstlerischer Leiter der Orgelwelten Ratingen und Orgel-Experte): Wir waren alle nicht nur begeistert, sondern wirklich tief gerührt und ergriffen.
Nach Paris fährt man öfter, aber ich glaube, so etwas erlebt man nur einmal im Leben. Das war das Resümee unserer Reiseteilnehmer, dass wir wirklich von Notre Dame, der Atmosphäre, von allen Aspekten, die so ein Besuch beinhaltet, wirklich restlos berührt waren.
DOMRADIO.DE: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich gesagt haben: Ich muss mir unbedingt die Orgel nach der Wiedereröffnung anhören? Und mit wem sind Sie dort hingefahren?
Wallenhorst: Wir sind mit dem Förderverein Musica sacra Ratingen mit 50 Leuten im Bus hingefahren. In Paris sind sieben Leute dazugekommen. Hintergrund ist zum einen, dass der Förderverein hier bei uns in der Pfarrei eine sehr aktive Gruppe ist. Mit über 100 Mitgliedern machen wir regelmäßig solche Reisen. Das heißt, große Reisen unternehmen wir alle zwei Jahre. Zum anderen sind und waren alle Organisten von Notre-Dame immer regelmäßig hier zu Gast. Von daher gibt es viele persönliche Beziehungen aus dem Kreis der Reisenden.
DOMRADIO.DE: Wie klingt die Orgel?
Wallenhorst: Es ist ein großartiges Instrument. Es gab vorher sehr viel Diskussionen. Wir haben zwei Orgeln, die beiden "chefs d’oeuvres" des berühmten französischen Orgelbauers Cavaillé-Coll gehört.
Wir waren am Freitag zu Gast in Saint-Sulpice und haben Karol Mossakowski, den neuen Titularorganisten, dort gehört. Es ist ein ganz anderes Instrument, weil es sozusagen Cavaillé-Coll in Reinkultur ist.
Notre-Dame ist in gewisser Weise die Summe von Orgelbau in Frankreich über Jahrhunderte - von der Entstehung der Orgel über die Etappen wie Cavaillé-Coll bis ins 21. Jahrhundert. Ich finde nach wie vor, dass es ein ganz großartiges Instrument ist. Die Wirkung im Raum habe ich genauso empfunden, wie es vorher war. Es gibt, glaube ich, kleine Änderungen, bei der Frage des Nachhalls. Olivier Latry als einer der Titularorganisten an der Kathedrale hat gesagt, das macht jetzt nicht mehr "tack tack", sondern geht in geraden Wellen durch.
Vincent Dubois, einer der anderen Titularorganisten, sagte mir, er sei positiv überrascht, wie lange die Nachhall-Zeit anhält, selbst wenn sich die Kathedrale füllt. Das ist somit ein wenig neu. Wie immer nach einer Reinigung sind die Höhen der Orgel etwas glanzvoller und man merkt, dass die Tiefresonanzen etwas mehr abgefedert sind. Die Kathedrale ist super-sauber renoviert. Die Gewölbe sind zwar geschlemmt, aber das Mauerwerk ist noch offenporig. So viel hat sich nicht geändert. Warten wir bis Weihrauchschwaden und Kerzenwachs wieder drauf sind, wie es dann ist.
DOMRADIO.DE: Es gab am zweiten Adventswochenende bei der Wiedereröffnung eine ergreifende Zeremonie für die Orgel durch den Pariser Erzbischof. Das war sehr eindringlich, wie er direkt zur Orgel gesprochen hat. Was macht diese Orgel so besonders?
Wallenhorst: Bei der Orgel von Notre-Dame ist es so, dass es vor allem diese Orgel-Baugeschichte ist. Die Orgel kann für diesen Raum in der Kathedrale sehr viele stilistische Bereiche abdecken. Am Samstag, als wir da waren, war es so, wie es zurzeit immer ist; es sind Tausende von Besuchern da. Wenn man Gottesdienst feiert, braucht die Orgel schon eine Durchschlagskraft. Das war das, was bei der Eröffnung sehr stark war, dass man erlebt hat, dass diese Orgel eine Strahlkraft hat, die die Kathedrale bis zum letzten Stein erreicht.
Zugleich, und das haben wir am Samstagabend auch erlebt, ist die Orgel unglaublich poetisch. Sie hat wahnsinnig schöne Solisten, die sich gut ins Ensemble der Register einfügen, also wie bei einem richtigen Profiorchester.
Es ist wirklich ein harmonisches Ganzes, aber mit ganz tollen Solofarben. Und im 20. Jahrhundert gab es durch Pierre Cochereau die technischen Erweiterungen und nun im 21. Jahrhundert sieht man, was man machen kann mit Pedalteilung, mit sostenuto und so weiter. Die Orgel ist also vielschichtig, wie man es sich kaum anders und mehr wünschen kann.
DOMRADIO.DE: Es gab in der Zeit, als die Orgel nicht bespielbar war, Ärger um die Kirchenmusik. Ein Titularorganist wurde unfreiwillig in den Ruhestand verabschiedet, dann gab es einen neuen, sehr guten Nachfolger, dem aber ein formaler Abschluss fehlt. Haben Sie von diesem Ärger am Wochenende irgendwas gespürt?
Wallenhorst: Ich finde, das Traurige ist, dass man Philippe Lefebvre als einen der Titularorganisten, der sich jahrelang um die Kathedrale nicht nur als Titularorganist, sondern auch als Intendant und als Manager, der bis zur Reinigungskraft mit allen guten Kontakt hatte, dass man den sozusagen in "Unehren" entlassen hat. Das war unnötig. Alles Weitere wird sich zeigen. Jetzt muss man sehen, dass eine gute Zusammenarbeit mit dem neuen jungen Organisten gelingt und ich glaube, das wird sich dann auch zeigen.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist eigentlich die Orgel für Notre-Dame? Schauen alle Besucher "nur" auf den Raum oder ist es auch ein wichtiger Teil, dass die Orgel mehr oder weniger so erhalten geblieben ist, wie sie vorher war?
Wallenhorst: Es ist wichtig zu sehen, dass Notre-Dame ein gotischer Raum mit dieser Theologie "Gott ist Licht" ist. Das ist, glaube ich, jetzt nochmal deutlicher. Es war vorher ein sehr dunkler Raum. Wir kennen das von der Renovierung und Restaurierung der Kathedrale von Chartres die ebenfalls so hell geworden ist. Dieses Lichtprogramm kommt dann viel deutlicher hervor und das ist etwas, was die Titularorganisten immer erwähnen.
Man hat oben diese wunderbare Fensterrose nicht nur im Süden und Norden, sondern eben auch hinter der Orgel. Das ist dieses Licht und dazu kommt die Erfüllung mit Klang. Die Orgel ist, wie die Organisten immer zurecht und stolz sagen, die Seele der Kathedrale.
DOMRADIO.DE: Was hat Sie von Ihrem Wochenende in Paris am meisten beeindruckt?
Wallenhorst: Das war dieser Moment, dass wir als Gruppe dort hineinkamen. Es war nicht ganz einfach zu organisieren. Es gab in der Woche sehr viele Anpassungen an die besondere Situation, wie wir das erwartet hatten.
Das heißt, man hat jeden Tag neu auf die Situation reagiert. Es gab immer auch Sicherheitsaspekte mit den Besuchern und wir brauchten alle eine persönliche Einladung, die ich dann noch organisieren konnte. Alle 55 Leute hatten dann also eine personalisierte Einladung. Ich glaube, jeder von denen, die drin waren, haben diesen besonderen Moment gespürt, als man die Kathedrale betreten hat. Wir haben lange draußen gewartet und dieser besondere Moment, der bleibt, glaube ich, jetzt ein Leben lang erhalten.
Das Interview führte Mathias Peter.