Minutenlanger Beifall für den geschassten Domkapellmeister, konsternierter Gesichtsausdruck bei Erzbischof Burger. Die Christmette 2024 im Freiburger Münster konnte erst nach längerer Unterbrechung beendet werden, die TV-Übertragung wurde sogar abgebrochen.
Gegen Ende der Messe hatten die Unterstützer von Boris Böhmann durch demonstrativen Applaus für den Domkapellmeister ihren Unmut über die Bistumsspitze deutlich gemacht. Der Eklat an Weihnachten ist ein weiteres Kapitel im jahrelangen Konflikt um die Freiburger Dommusik. Inzwischen ist Böhmann von seiner Aufgabe mit sofortiger Wirkung freigestellt.
Bei einem lange schwelenden Streit ist selten die eine Seite völlig unschuldig und fehlerlos, während die andere Seite alles falsch macht. Diese triviale wie zutreffende Beobachtung gilt auch für den Streit um den Freiburger Domkapellmeister Boris Böhmann. Da das Erzbistum Freiburg aber aus juristischen Gründen die genauen Gründe für die Kündigung des langjährigen Leiters der Dommusik nicht nennt, bleibt vieles unklar – lediglich wurde mitgeteilt, dass das Thema sexueller Missbrauch dabei keine Rolle spiele.
Was ebenfalls klar ist und von keiner Seite bestritten wird, ist die musikalisch-künstlerische Qualität des Musikers, der seit über 20 Jahren Domkapellmeister ist.
Gerade deshalb kann man nur mit dem Kopf schütteln, schaut man sich die Eskalation der vergangenen Tage an. Da wird im Sommer dem Domkapellmeister gekündigt, der dagegen vorgeht, aber vor Gericht verliert. Anstatt diese Situation klar aufzulösen und entweder die Kündigung zurückzunehmen oder ihn sofort freizustellen, erwarteten der Erzbischof und das Domkapitel allen Ernstes, dass der gekündigte Chorleiter seinen Dienst bis zur Wirksamkeit der Kündigung im Februar 2025 geräuschlos durchzieht und seine Unterstützer doch bitte leise sein mögen.
Eskalation mit Ansage
Dabei gab es vor Weihnachten Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen für den bei vielen Chorsängerinnen und Chorsängern nach wie vor beliebten Domkapellmeister. Auch wenn es heißt, dass Böhmann im Umgang nicht immer frei von Launen sei, unterstützt ihn die deutliche Mehrheit der Angehörigen der Dommusik. Es war also absehbar, dass das Weihnachtsfest im Freiburger Münster vielleicht nicht ganz so reibungslos und harmonisch ablaufen würde.
Das lange Klatschen in der Christmette als Unterstützung für Böhmann zeigt vor allem eins: Die Spitze des Erzbistums hat die Situation völlig falsch eingeschätzt. Im 21. Jahrhundert kann man in einem solchen Konfliktfall so weder kommunizieren und als katholische Kirche auch nicht so handeln, auch wenn die Kündigung juristisch rechtens ist.
Wenn sich das Erzbistum im Anschluss an die Christmette darüber beklagt, dass die Messe der falsche Ort für eine Solidaritätsbekundung sei, fragt man sich: War der Gottesdienst mit dem Diensteinsatz des Domkapellmeisters nicht auch eine Art Machtdemonstration des Erzbistums? Boris Böhmann soll die Chöre an einem so wichtigen Hochfest wie Weihnachten dirigieren, obwohl er weiß, dass für ihn in wenigen Wochen damit Schluss ist? An Weihnachten profitiert man noch von seiner jahrzehntelangen Arbeit, aber dann soll er bitte den Weg für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin freimachen? Ist das ein angemessenes Vorgehen als kirchlicher Arbeitgeber mit einem verdienten Domkapellmeister?
Ausgerechnet die Dommusik wird beschädigt
Fatal an dem Streit ist vor allem der Schaden für die Angehörigen der Freiburger Dommusik; besonders für die Eltern, die unter erheblichen Mühen ihren Kindern das Mitsingen ermöglichen. Trotz der erschütternden Missbrauchsfälle der vergangenen Jahrzehnte in der Katholischen Kirche vertrauen sie der Freiburger Dommusik und dem Domkapellmeister und ermöglichen ihren Kindern die Mitwirkung in den Chören. Aber auch für die ehrenamtlichen Sängerinnen und Sänger der Erwachsenenchöre ist der Umgang des Erzbistums mit der Dommusik nicht nur kommunikationstechnisch eine Zumutung, erfuhren sie doch von der Kündigung erst aus der Presse.
Wenn die katholische Kirche heutzutage in vielen ihrer pastoralen Handlungsfelder aus Mangel an Gläubigen und Personal immer kürzertreten muss, ist der Bereich der Kirchenmusik in den meisten Diözesen noch höchst aktiv und zieht Jung und Alt gleichermaßen an. Kinder lernen in den Domchören – aber auch in anderen kirchlichen Chören – viel über den christlichen Glauben, erleben und gestalten die Liturgie hautnah mit.
Für die meisten ist die Kombination aus musikalischer Ausbildung, Chorgemeinschaft und erlebbarem Glauben etwas, das sie ihr Leben lang positiv begleitet, das ihnen die schöne Seite von Kirche und Glauben zeigt. Ausgerechnet auf diesem Feld gelingt es den Verantwortlichen im Erzbistum Freiburg nicht, eine für jede Seite akzeptable Lösung zu finden – obwohl der Streit dem Vernehmen nach schon seit vielen Jahren schwelt.
Nun bleiben alle beschädigt zurück, die seelischen Wunden dürften erheblich tiefer geworden sein, von Versöhnung, über die so gern in kirchlichen Kreisen gepredigt wird, kann keine Rede sein. Und als Außenstehender fragt man sich verwundert: wie konnte es nur so weit kommen?
Zur Info: Mathias Peter ist Redakteur bei DOMRADIO.DE. Als Jugendlicher und junger Erwachsener sang er im Domchor der Limburger Dommusik, seit 2009 ist er Mitglied im Vokalensemble Kölner Dom.