DOMRADIO.DE: Meta-Chef Mark Zuckerberg begründet die Abschaffung des Faktencheck mit der Meinungsfreiheit. Warum ist das ein Trugschluss?
Andreas Büsch (Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaft an der katholischen Hochschule Mainz und Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz (DBK)): Ich halte das tatsächlich für rechtlich fragwürdig, politisch brandgefährlich und ethisch katastrophal. Natürlich gibt es in Amerika eine sehr lange Tradition der Debatte um die sogenannte 'Free speech', also die freie Meinungsäußerung, aber auf einer anderen, auch rechtlichen Tradition als bei uns.
Für uns ist diese grundgesetzlich festgelegte Freiheit maßgeblich zur Information, zur Meinungsäußerung. Presse, Rundfunk sind frei. Eine Zensur findet nicht statt. Aber wir haben Grenzen. Es gibt keine absolute Freiheit, sondern die Freiheit endet genau da, wo ich die Würde oder die Rechte eines anderen berühre. Und wir haben noch - siehe Jugendmedienschutz - die besonderen Gesetze zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.
Genau diese Abwägung, die bei uns eine breite demokratische Tradition hat, setzt Herr Zuckerberg jetzt aus, indem er - ich habe Teile des Interviews auch gesehen - unsere Regulierungen, die wir im Bereich Medien haben, mit Zensur gleichsetzt. Das ist ein sehr vorsätzlicher und böswilliger Trugschluss.
DOMRADIO.DE: Heißt für uns aber auch: Wir müssen uns in Europa keine Sorgen machen. Wir bleiben bewahrt aufgrund der strengen Richtlinien, die Sie genannt haben, zum Beispiel auch dem Digital Service Act.
Büsch: Das ist eben die zweite Seite der Medaille. Ja, wir haben da ganz gute Regulierungen, die gut formuliert sind. Ob das jetzt allerdings in der gegebenen Situation trägt, ist für mich zumindest mal mit einem kleinen Fragezeichen zu versehen. Deswegen finde ich das auch politisch so gefährlich.
Elon Musk, der sich quasi zum Chefberater des künftigen US-Präsidenten Trump geriert, und Mark Zuckerberg äußern jetzt schon die unverhohlenen Drohungen gegen Europa. Das werde Konsequenzen haben und dann müsse man mal nachdenken, wenn Europa - wie Herr Zuckerberg das formuliert - Innovationen verhindert, indem wir mit Blick auf die Menschenwürde Regulierung vornehmen. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
DOMRADIO.DE: Es gibt KI-Tools, mit denen 'Deep Fake'-Fotos und -Videos generiert werden können. Haben wir die Macht der sozialen Medien insgesamt unterschätzt?
Büsch: Ich bin tatsächlich überzeugt und widerrufe insofern auch gerne eine früher selbst von mir geteilte Position, dass wir diese Euphorie insbesondere der Nullerjahre zu den Akten legen können. Diese Euphorie, dass Menschen niedrigschwellig miteinander in einen Austausch kämen und dann im Habermas'schen Sinne mit dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments ihre Ideen gegeneinander abwägen, reichte bis in Papstbotschaften hinein. Ich erinnere an Benedikt XVI. im Jahr 2009 zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel für eine Kultur der Freundschaft und Versöhnung.
Ich glaube, das liefern die sozialen Netzwerke wirklich nicht. Es geht um eine Aufmerksamkeitsökonomie, die ganz klar kommerziellen und nicht sittlichen Kriterien folgt. Das, was emotionalisiert: das, was aufregt, wird häufiger angeklickt, entsprechend häufiger geteilt und ausgespielt.
Wahrheit, sachliche Richtigkeit oder differenzierte Darstellung funktionieren in sozialen Netzwerken eher nicht. Das finde ich wiederum medienethisch höchst bedenklich. Denn das vorsätzliche oder fahrlässige Verbreiten von Fake News oder um es mit Trump zu sagen: "alternativen Fakten", ist das Ende sachlicher Information. Die ist aber zwangsläufig eine Basis von verantwortlichen Entscheidungen.
Andernfalls muss ich aus dem hohlen Bauch oder in Unkenntnis von Fakten, in jedem Fall aber uninformiert und damit letztlich auch unverantwortlich oder willkürlich entscheiden. Das finde ich im privaten Bereich schon höchst bedenklich und mit Blick auf Gemeinwesen, Gesellschaft und Politik erst recht.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet diese Entscheidung für die Nutzerkonten von christlichen Medien, Bistümern und Gemeinden, die auf Facebook und Instagram aktiv sind und dort vor allem die junge Zielgruppe erreichen wollen? Sollten sie die Plattformen boykottieren und das Feld den Verbreitern von Fake News überlassen oder einfach weitermachen wie bisher?
Büsch: Ich steh da wirklich zwischen den Stühlen. Einerseits wissen wir, dass Desinformation deutlich mehr Wirkfaktoren hat als die bloße Quantität. Die Nutzer müssen auch dafür anfällig sein. Zum Beispiel, weil sie in einer entsprechenden Bubble oder in einem sozialen Umfeld sind, wo ähnliche Gedanken geteilt werden. Dann reagieren Betroffene eher auf Fake News. Im Übrigen: Bildung ist der Schlüssel, um so etwas zu entlarven und kritisch zu hinterfragen.
Das ist wirklich ein klassisches Dilemma. Es gibt keine dritte Alternative. Entweder drin bleiben und dort versuchen ein gutes Gegengewicht zu liefern. Das ist ehrenwert und auch ein ganz wesentliches Argument. Das nicht mehr zu tun, heißt auch, dass man keine Kontaktflächen mehr für Menschen bieten kann, die nach Orientierung suchen, die nach kirchlichen Angeboten oder vielleicht auch einfach nach gutem Zuspruch oder so etwas fragen.
Insofern ist es sicherlich keine einfache Entscheidung die sozialen Netzwerke zu verlassen und dort nicht mehr präsent sein zu wollen. Auf der anderen Seite liefert man solange man dort präsent ist, Daten und Aktivitäten und somit weiteres Schmieröl für das Getriebe dieses Datensystems. Das muss man sich ebenso gut überlegen.
Zweiter Punkt dabei für mich: Ich freue mich und folge auch sehr vielen kirchlichen Akteur*innen. Das sind zum Teil inzwischen sehr gute institutionelle Accounts, aber auch viele kirchlich engagierte Menschen. Wenn ich realistisch auf die Followerzahlen gucke, sind das natürlich auch eher Bubbles (Anm. d. Red.: kleinere Mediennutzergruppen). Da muss man auch noch mal gucken, welche Reichweite, welchen Impact das hat.
Bloß weil die bei mir in der Timeline auftauchen, ist es ja nicht so, dass die bei allen Menschen in den Netzwerken so auftauchen, sondern die haben wiederum einen Algorithmus für ganz andere Informationen. Die Frage ist wirklich, was kann ich in so einem Netzwerk erreichen? Oder ist es dann am Ende des Tages realistischer und ehrlicher zu sagen: Nein, das ist nicht unsere Plattform, sondern wir setzen auf nicht kommerzialisierte Plattformen oder freie Netzwerke wie Mastodon oder so, um die stark zu machen. Also Umzug in andere Netzwerke, die selbst organisiert und selbst verwaltet sind, Stichwort Fediverse. Dort kann man sich auch mit anderen Menschen vernetzen. Ich weiß aber auch, dass wir dort nicht diese riesigen Zahlen haben haben wie auf facebook oder anderen Plattformen.
Es gibt auch das böse Argument von dem "too big to fail". Mit der technischen Entwicklung muss man prüfen, wie sich diese Position zwischen Pest und Cholera entscheidet. Letztlich muss das jede Person und jede Institution für sich verantwortlich und realistisch einschätzen.
Das Interview führte Elena Hong.