Papst Franziskus hat Lateinamerika verändert

Herausforderungen und Spaltungen

Die schwere Erkrankung des Papstes lenkt den Blick auf dessen Heimatkontinent. Nach genau zwölf Jahren Amtszeit sind die Spuren des Argentiniers überall sichtbar. Nicht nur in den zehn Ländern, die er dort besucht hat.

Autor/in:
Tobias Käufer
Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer (KNA)
Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer ( (Link ist extern)KNA )

Die erste Auslandsreise begann mit einem Fahrfehler: Der Hubschrauber kreiste über Rio de Janeiro als Papst Franziskus vom Flughafen in Richtung Innenstadt fuhr. Dabei beging der Fahrer des Kirchenoberhauptes einen kleinen Fehler und fuhr nicht in die dafür vorgesehene mehrspurige Straße, sondern in eine eigene kleinere Fahrspur direkt daneben. Sofort stürmten einige Gläubige an das nun greifbar gewordene Auto und sorgten für spektakuläre Luft-Bilder des Helikopters. Franziskus' Reise zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro 2013 wurde zu einem kleinen Triumphzug.

Blick auf den Zuckerhut und die Christus-Statue in Rio de Janeiro / © Marcelo Sayao/efe/epa (dpa)
Blick auf den Zuckerhut und die Christus-Statue in Rio de Janeiro / © Marcelo Sayao/efe/epa ( (Link ist extern)dpa )

Lateinamerikas Gläubige, vor allem die jungen Katholiken, erhofften sich einen Aufbruch von jenem Kirchenoberhaupt, der vom "Ende der Welt" kam. Endlich war einer "von ihnen" Papst. Am 13. März 2013 wurde Kardinal Jorge Bergoglio, der Erzbischof aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, zum 266. Bischofs von Rom gewählt: Die Begeisterung über den ersten Lateinamerikaner im höchsten Amt der katholischen Kirche war vor allem auf seinem Heimatkontinent groß. Zwölf Jahre später ist die Bilanz von Papst Franziskus in der riesigen Region zwischen dem Rio Grande und Feuerland bemerkenswert, aber auch umstritten. Es gibt Befürworter und Zweifler. Die jüngste schwere Erkrankung des Papstes, die ihn zu einem langen Krankenhausaufenthalt in Rom zwingt, lenkte auch den Blick auf dessen Einfluss in dessen Heimatregion.

Ein Meilenstein für die Region war die - von vielen als Umweltenzyklika beschriebene - Enzyklika "Laudato si". Sie stellte die Weichen für eine stärkere Fokussierung der lateinamerikanischen Kirche auf umweltpolitische Themen: In der Amtszeit von Franziskus gewannen das kirchliche Amazonas-Netzwerk REPAM oder die Amazonas-Bischofskonferenz CEAMA zunehmend an medialer Bedeutung. Inzwischen sind sie Beobachter, Kritiker und vernehmbare Stimme zu einer Umweltzerstörung durch Abholzung, illegalen und legalen Bergbau und den Folgen des Klimawandels, die weite Teile Lateinamerikas durch immer intensivere Hitzewellen, Starkregenereignisse oder Tropenstürme trifft.

Franziskus schuf Umweltinstanzen der Kirche

Franziskus hat damit eine Umweltinstanz der Kirche geschaffen, die auf Vergehen von Regierungen jeder politischen Farbe eingeht. Erst vor wenigen Tagen schrieben Wissenschaftler und 21 Bischöfe der katholischen Kirche einen Brandbrief an Brasiliens Präsident Lula da Silva in dem sie die geplante Ölförderung im Amazonas-Mündungsbecken kritisierten.

Dass in diesen Tagen die Reaktionen aus den lateinamerikanischen Präsidentschaftspalästen auf die Erkrankung des Papstes unterschiedlich ausfielen, wirft einen Blick darauf, dass auch Franziskus Polarisierungen und Spaltungen der Gesellschaft nicht aufhalten konnte. Es sind vor allem Linkspolitiker, die wegen der Erkrankung des Papstes öffentlich ihre Besorgnis äußern. Und die den Papst wegen dessen Kapitalismuskritik und Wachstumsskepsis auf ihrer Seite wähnen.

Claudia Sheinbaum spricht während einer Veranstaltung auf dem Zocalo, um ihren Sieg bei den Präsidentschaftswahlen zu feiern. / © Jair Cabrera Torres (dpa)
Claudia Sheinbaum spricht während einer Veranstaltung auf dem Zocalo, um ihren Sieg bei den Präsidentschaftswahlen zu feiern. / © Jair Cabrera Torres ( (Link ist extern)dpa )

Venezuelas wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen umstrittener Machthaber Nicolas Maduro ließ Franziskus wissen, er könnte auf das "liebevolle Gebet" des venezolanischen Volkes zählen. Kubas kommunistischer Diktatur Miguel Diaz-Canel zeigt sich "bewegt" über den Gesundheitszustand des Papstes. Aus der demokratischen Linken gibt es Stimmen wie die von Präsidentin Claudia Sheinbaum, die die Bedeutung des Papstes "für die ganze Menschheit" hervorhob und Kritikern des Argentiniers vorwarf, es gebe Leute, die "gegen" den Papst seien, weil er "progressiv" und "kritisch gegenüber dem Neoliberalismus" eingestellt sei. Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro bezeichnete Franziskus erklärte: "Ich hoffe mein Seelenverwandter verlässt uns nicht."

Trend zu Evangelikalen konnte er nicht stoppen

Im konservativen oder rechtspopulistischen Lager herrscht dagegen meist Schweigen. Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei schweigt, schickte aber seinen Religionsstaatssekretär nach Rom. In Brasilien konnte Franziskus den Trend zu einem wachsenden Einfluss der evangelikalen - meist erzkonservativen - Kirchen nicht stoppen.

Ihre Gläubigen könnten bereits 2030 zahlenmäßig die Katholiken überholen. In diesem Lager gibt es Enttäuschung über den Papst, weil er nicht genügend Kritik an den schweren Menschenrechtsverletzungen in den Linksdiktaturen in Kuba, Venezuela oder Nicaragua äußere. Länder, die durch ihre repressive Politik hauptverantwortlich für die Massenmigration in der Region sind.

Polizei in Nicaragua / © Jeiner Huete_P (shutterstock)

Die Kritik am Papst trifft nicht ganz zu: Die Situation in dem vom Familienclan um die sandinistischen Machthaber Daniel Ortega und Rosario Murillo regierten Nicaragua verglich der Papst in einem Interview mit der Nazi-Zeit und der stalinistischen Sowjetunion. Die Folgen für die Kirche im Land waren verheerend: Geistliche und Bischöfe wurden verhaftet, Ordensgemeinschaften gezwungen das Land zu verlassen. Eine solche Erfahrung macht auch einen Papst vorsichtig.

Ob der Papst sich noch einmal vollständig erholt, ist offen. Und damit auch ob er erstmals nach seiner Wahl 2013 in sein Heimatland Argentinien reisen kann. Dort regiert mit Javier Milei ein ausgewiesener Papstkritiker und radikaler Anhänger der Marktwirtschaft - wie es sie auch in den evangelikalen Kirchen gibt. 

Papst Franziskus und Javier Milei / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)

Die Konfliktlinie zwischen beiden Lagern verläuft entlang des Wirtschaftsmodells und der Frage was wichtiger ist: Wirtschaftswachstum, um die Armut zu bekämpfen, oder auf Solidarität basierende volkswirtschaftliche Ordnung.

In seinem Heimatland stehen Wahlen bevor

In den nächsten Monaten finden in Argentinien unter anderem die Wahlen in Buenos Aires sowie landesweit für den Senat und den Kongress statt. Deren Ausgang wird entscheidenden Einfluss darüber haben, ob der volkswirtschaftliche Reformkurs Mileis fortgesetzt oder mit anderen Mehrheiten in den Parlamenten gestoppt wird. Schwer vorstellbar, dass Franziskus in dieser Phase nach Argentinien kommt, sollte er sich wieder vollständig erholen. Ob die wohl spannendste Reise seines Pontifikats jemals stattfinden wird, ist also völlig offen.