DOMRADIO.DE: Die Gelder aus den Kollekten der katholischen Weihnachtsgottesdienste gehen traditionell an das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Das Motto der diesjährigen Adveniat-Weihnachtsaktion lautet: "Glaubt an uns, bis wir es tun." Glauben die Jugendlichen in Lateinamerika nicht an sich selbst?
Bischof Franz Josef Overbeck (Bischof von Essen und Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat): Ich glaube, es gibt in der ganzen Welt viele junge Leute, die es aufgrund der Umstände schwer haben, an sich, an das Gute im Menschen und in der Umwelt zu glauben.
Wir haben beim Eröffnungsgottesdienst der Adveniat-Aktion am ersten Advent zwei Jugendliche aus dem kolumbianischen Tumaco erlebt, die erzählt haben, wie schwer es sein kann, daran zu glauben, dass es gut werden wird, wenn man von so viel Gewalt und Unrecht umgeben ist. Von daher hoffe ich, dass unsere Aktion in diesem Jahr hilft, dass viel mehr Menschen diesen Weg gehen und glauben, es wird gut.
DOMRADIO.DE: Warum ist es wichtig, diese jungen Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren?
Overbeck: Weil sie die Zukunft sind. Eine Generation folgt auf die nächste und jede soll mit einem guten und hoffnungsvollen Blick den Weg in die Zukunft gehen.
DOMRADIO.DE: Viele Probleme der Menschen in Lateinamerika sind strukturell bedingt: Es fehlt an Bildungsmöglichkeiten, junge Menschen werden wegen der Armut eher zum Arbeiten als in die Schule geschickt. Springt Kirche da in eine Lücke, die eigentlich der Staat schließen müsste?
Overbeck: Die katholische Kirche hat in Lateinamerika bei vielen Menschen einen guten Ruf, weil sie sich für den Frieden und die Würde der Menschen einsetzt, weil sie auch Bildung zur Verfügung stellt, zum Beispiel in Form von Schulen oder Begleitung von Familien, Kindern und Jugendlichen. Wir können nicht davon ausgehen, dass der Sozialstaat, den wir in Deutschland kennen, überall auf der Welt Wirklichkeit wird, so ist es leider auch in vielfacher Weise in Lateinamerika.
In Tumaco, wo die Jugendlichen herkommen, die jetzt uns besucht haben, sind 70 Prozent aller Menschen arbeitslos und es gibt kein Sozialsystem, wie wir es in Deutschland kennen. Wir tun als Kirche, was wir können und unterstützen dies auch als katholisches Hilfswerk Adveniat.
DOMRADIO.DE: Die Deutschen sind gerade sehr mit sich selbst beschäftigt: Der Krieg in Europa, die schwache Wirtschaft, der Bruch der Ampelkoalition, Neuwahlen. Warum sollten die deutschen Katholiken sich trotzdem auch über die Menschen in Lateinamerika Gedanken machen und spenden?
Overbeck: Wir wissen, dass es viele schwere Umstände bei uns in Deutschland gibt, aber es gibt sie auch auf der Welt und mit diesen Menschen sollten wir als Christen solidarisch sein, denn es gibt viele, denen es noch sehr viel schlechter geht. Darum hoffe und bitte ich aus vollem Herzen zu geben, was möglich ist. Die diesjährige Aktion stellt die Zukunft der Jugend in den Mittelpunkt und wir sollten dazu beitragen, dass sie wieder an sich selbst glauben: Trauen wir den Jugendlichen etwas zu, dann können sie selbst die nächsten Schritte gehen.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.