"Eine Kultur versteht erst, wer auch ihren Sternenhimmel kennt", sagt Raoul Schrott. Der österreichische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller hat in einem einzigartigen Buchprojekt einen Atlas der Sternenhimmel und Schöpfungsmythen der Menschheit herausgegeben. Im DOMRADIO.DE Interview erzählt er, wie er in den Sternenhimmel von 17 verschiedenen Kulturen blickt und deren Sternbilder dokumentiert.

"Der Himmel ist eine Lehrtafel, an dem jede Kultur das für sie Wichtigste erkennt und weitergibt", sagt Schrott, "denn jede Kultur sieht in den Sternen die für sie wichtigsten Götterhelden, Urahnen, Tiere, Pflanzen und Objekte". Der Autor erklärt, dass es ohne Sternbilder nie einen Kalender gegeben hätte. Überlebenswichtige Handlungsanweisungen leiten die Kulturen aus den Sternkonstellationen ab. Für Jäger und Sammler, für die Landwirtschaft, für das ganze Leben sei der Blick in den Himmel unverzichtbar gewesen.
Auf großen Sternenhimmelkarten veranschaulicht Raoul Schrott wie sich die Himmel von den alten Ägyptern bis zu den australischen Aborigines, von den Inuit, Buschleuten und den Tuareg unterscheiden. Der Große Wagen, den wir kennen, war für die Maya ein göttlicher Papagei, für die Inka der einbeinige Gott des Gewitters, für die Inuit ein Elch, für die Araber eine Totenbahre. Und obwohl jede Kultur in den Sternen auf den ersten Blick etwas völlig anderes sieht, gibt es doch in den Urmythen Übereinstimmungen.
Bei seinen Recherchen halfen ihm auch die Berichte von Missionaren, die erstaunlich neutral die Sternbilder indigener Völker dokumentierten. So verglichen zum Beispiel die Salesianer die Sternbilder indigener Einwohner mit dem, was in der Bibel an Schöpfungsmythen steht und erfuhren, dass es auch bei den Indigenen vergleichbare Schöpfungsmythen gab.
"Den schnellsten und besten Eindruck einer Kultur bekommt man, wenn man die Sternbilder dieser Kultur anschaut", ist Raoul Schrott überzeugt. Auch würde der Blick in die Sterne unser Denken auf die richtige Proportion zurechtstutzen, denn wenn wir den Sternenhimmel noch sehen würden, würden wir uns bewusst, dass unsere Erde ein ganz, ganz kleiner Planet ist, dass wir fast nichts sind. Wir würden nicht mehr denken, dass uns die Welt gehört und es nur und ausschließlich uns gibt.
"Der Blick in den Himmel schafft Ehrfurcht und Demut", sagt der Autor, "und diese Ehrfurcht führt dazu, dass man im Himmel nichts Belangloses sieht – deshalb sieht jede Kultur im Himmel das, was für ihre Kultur am Wichtigsten ist". Der Sternenhimmel sei vergleichbar mit der Sixtinischen Kapelle, denn auch da ist alles verzeichnet, was ich als Christ wissen muss", sagt der Schriftsteller.