Glocken der Dormitio in Jerusalem erlebten wechselvolle Geschichte

Zwei Zimbeln für den Zion

An diesem Donnerstag hat Abt Nikodemus Schnabel in der Dormitio-Abtei in Jerusalem zwei neue Glocken geweiht. Diese sollen das vorhandene vierstimmige Geläut ergänzen. Dessen Geschichte ist wechselvoll und spannend zugleich.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Die beiden neuen Zimbelglocken der Dormitio-Abtei / © Daniel Orth (privat)
Die beiden neuen Zimbelglocken der Dormitio-Abtei / © Daniel Orth ( privat )

Es ist eine Art rheinische Enklave mitten in Jerusalem südlich des Zionstores zur Altstadt. Als Kaiser Wilhelm II. während seiner Palästinareise im Herbst 1898 die deutsche Erlöserkirche in der Jerusalemer Altstadt einweihte, erwarb er vom Sultan Abdülhamid II. für 120.000 Reichsmark ein Grundstück auf dem Zionsberg, das er dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande übergab. Der Verein war erst drei Jahre zuvor aus der Fusion zweier anderer Zusammenschlüsse entstanden und hat bis heute seinen Sitz in Köln.

Es kam daher nicht von ungefähr, dass der Kölner Diözesanbaumeister Heinrich Renard damit beauftragt wurde, die Pläne für eine Kirche und eine Abtei zu entwerfen, die sich künftig auf dem Zionsberg erheben sollte. Dort in der Nähe des Abendmahlssaals und des Sterbeortes der Gottesmutter hatten bereits seit dem 5. Jahrhundert zwei Vorgängerbauten gestanden, die aber alle von nicht-christlichen Herrschern zerstört worden waren.

Bauliche Rücksichtnahme auf die Umgebung

Renard nahm in seinen Plänen erstaunlich viel Rücksicht auf die örtlichen Gegebenheiten und die damals überwiegend muslimische Nachbarschaft. So wurde beispielsweise der Glockenturm der Abteikirche an einer Stelle errichtet, von wo aus sein Schatten nicht auf das damals noch muslimische Heiligtum des Davidsgrabs fällt. Ab 1900 entstand innerhalb von nur zehn Jahren ein beeindruckendes Ensemble aus Kloster und Kirche, die in Anlehnung an die Entschlafung Mariens den Namen Dormitio mit dem Patrozinium der Aufnahme Mariens in den Himmel trägt.

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Eine Besonderheit der Dormitio-Basilika (seit 1957 zu einer Basilica minor erhoben) ist auch ihr Geläut, das eine bewegte Geschichte durchlebt hat. 1909 – also ein Jahr vor der Vollendung der Kirche – wurden vier Glocken in der Gießerei Otto in Hemelingen (heute ein Stadtteil von Bremen) gegossen, mit dem Schiff nach Jaffa transportiert und von dort nach Jerusalem gebracht. Während die evangelischen deutschen Kirchen wie die Erlöserkirche in der Altstadt oder die Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg über Geläute der Gießerei Schilling aus Apolda verfügen, die damals einige kaiserliche Stiftungen wie auch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin beliefert hatte, kam für die katholische Dormitio-Abtei eine Gießerei mit katholischem Hintergrund zum Zuge.

Priester und Schuster gießen Glocken

Carl Otto und sein Bruder Franz stammten aus Duderstadt im Untereichsfeld. Carl erlernte bei der Gießerei Radler in Hildesheim die Kunst des Glockengießens, schlug dann jedoch die theologische Laufbahn ein und wirkte als Priester in Hemelingen. Der Glockenguss muss ihn aber nachhaltig geprägt haben, da Carl seinen Bruder Franz, der von Beruf Schuhmacher war, nach Hemelingen holte, um dort im Jahr 1874 zusammen mit ihm die Glockengießerei Otto zu gründen. Während Franz Otto nun auch die Kunst des Glockengusses erlernte, konzentrierte sich Carl neben seinem Priesterberuf auf das Konstruieren der Rippen, also der Formen, die die Klangeigenschaften ausmachen.

Es gelang den beiden Otto-Brüdern, aus dem Betrieb innerhalb weniger Jahrzehnte eine der renommiertesten Gießereien Deutschlands werden zu lassen. 1898 lieferten sie mit dem Guss des bis heute vollständig erhaltenen fünfstimmigen Geläuts von St. Josef in Krefeld ihre Vorzeigereferenz für das Rheinland. Fast jedes Geläut der in dieser Zeit errichteten monumentalen historistischen Kirchen der rheinischen Großstädte kam aus dem Hause Otto. Auch für den Kölner Dom lieferte die Gießerei zwei kleinere Instrumente. Während der Errichtung der Dormitio-Abtei war also Otto in Hemelingen der Haus- und Hoflieferant von Glocken im Rheinland.

Mollakkord mit über fünf Tonnen Gewicht

Otto goss vier Bronzeglocken mit den Namen Salvator, Maria, Bonifatius und Elisabeth mit einem Gesamtgewicht von knapp fünfeinhalb Tonnen. Klanglich bildeten sie einen ausgefüllten cis-Moll-Akkord mit den Tönen cis, e, fis und gis in der eingestrichenen Oktave. Die Weihe wurde am 3. Juni 1909 in der Pfingstoktav vollzogen. Doch die damalige Regierung verwehrte den anschließenden Aufzug der Glocken auf den Turm.

Inschrift und Schulterzier der Salvatorglocke / © Daniel Orth (privat)
Inschrift und Schulterzier der Salvatorglocke / © Daniel Orth ( privat )

Die muslimischen Religionsführer fürchteten, dass der Klang der Glocken den auch von ihnen verehrten König David, dessen Grab sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, in seiner Totenruhe stören und dadurch seinen Zorn darüber freisetzen könnte. So standen die Glocken einige Wochen lang wohlverpackt am Fuße des Turmes und warteten auf ihr weiteres Schicksal.

Durch "Schwabenstreich" auf den Turm befördert

Doch die Gegner des Glockenläutens auf dem Zionsberg hatten die Rechnung ohne eine Pilgergruppe aus Schwaben – darunter auch Stifter der Glocken – gemacht, der die glockenlose Zeit zu lang wurde und die am 18. August, dem Tag der heiligen Kaiserin Helena, trotz diplomatischer Bedenken zur Tat schritt. Über das forsche Handeln der Pilger, den sogenannten "Schwabenstreich", berichtet der Organist, Orgel- und Glockensachverständige Karl Walter in seiner "Glockenkunde" aus dem Jahr 1913. Demnach griffen die Herren der Gruppe zu den bereitstehenden Vorrichtungen, um die vier Glocken auf den Turm zu ziehen, während die Damen einen Schutzkreis um sie zogen.

Die anwesenden Polizeidiener wagten nicht, die Kette zu durchbrechen, sodass die Glocken nach drei Stunden oben im Turm angekommen waren und die Gruppe daraufhin voll Freude über das Gelingen "Großer Gott, wir loben dich" anstimmte. So konnten die Instrumente bereits wenige Tage vor der Weihe der Kirche am 10. April 1910 erstmals erklingen.

Zerstörung im Unabhängigkeitskrieg

Anders als die meisten Glocken in Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg mussten die vier Instrumente der Dormitio-Abtei nicht zu Rüstungszwecken abgeliefert werden. Allerdings geriet das Bauwerk während des Israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948 unter Beschuss, bei dem die zweitgrößte Glocke so sehr beschädigt wurde und daher neu gegossen werden musste. Dies geschah jedoch erst 1971 durch die Gießerei Gebhard in Kempten im Allgäu.

Glockenstube im Turm der Dormitio-Abtei / © Daniel Orth (privat)
Glockenstube im Turm der Dormitio-Abtei / © Daniel Orth ( privat )

Dabei wurden dem Gießer fatalerweise falsche Angaben zur genauen Tonhöhe der vorhandenen Instrumente übermittelt, sodass die neue Marienglocke im Gesamtgeläut deutlich hörbar zu hoch steht. Trotz dieses Teilverlustes ist das Geläut der Dormitio-Abtei von hohem Denkmalwert und zeugt vom ebenso hohen Leistungsstandard der Gießerei Otto um die Jahrhundertwende.

Zimbelklang über Grundgeläut

Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass der Dormitio-Abtei umfangreichere Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten bevorstehen. Bereits zuvor war auch die Glockenanlage notdürftig instandgesetzt worden. Dabei entstand die Idee, das vorhandene Geläut zu ergänzen. Die Initiatoren des Glockenprojekts, Pater Simeon und der Glockensachverständige Daniel Orth, entschieden sich neben Erneuerung der Technik und dem Austausch einiger Klöppel für das Hinzufügen von zwei kleinen Zimbelglocken, die also im Oktavabstand über den vier großen Instrumenten erklingen.

"Diese Variante schien uns allen, auch musikalisch, als die beste", erläutert Orth das Projekt gegenüber DOMRADIO.DE. Zudem müsse man so aufgrund des geringen Platzbedarfs der beiden kleinen Glocken mit den Tönen ais und cis in der zwei- und dreigestrichenen Oktave nicht in den vorhandenen historischen Glockenstuhl eingreifen. "Reizvoll wird wohl nicht nur das Plenum, sondern auch sämtliche Teilgeläute, gerade auch aufgrund des Tritonus mit der zu hoch stehenden e", merkt Daniel Orth an.

Erstes Gesamtgeläut zu Ostern

Durch mehrere Spenden unter anderem durch die Ritterschaft zum Heiligen Georg in Passau konnte die Ergänzung des Geläuts finanziert werden. Den Guss besorgte die in Passau ansässige traditionsreiche Gießerei Perner, da die Firma Otto bereits seit 1974 keine Glocken mehr liefert und Perner aufgrund von Arbeiten auf weiteren Jerusalemer Kirchtürmen die Anlage der Dormitio bereits kannte.

Abt Nikodemus Schnabel vor den beiden neuen Zimbelglocke / © Daniel Orth (privat)
Abt Nikodemus Schnabel vor den beiden neuen Zimbelglocke / © Daniel Orth ( privat )

Am 115. Jahrestag der Weihe der Dormitio-Abtei, dem 10. April, weihte Abt Nikodemus Schnabel die beiden Zimbeln. Mit 114,5 und 68,5 Kilogramm Gewicht sind sie gegenüber ihren vier großen Schwester ausgesprochene Leichtgewichte, weshalb auch ihr Transport in den Turm wesentlich unspektakulärer verläuft als noch vor über 100 Jahren. In der Osternacht soll erstmals das insgesamt sechsstimmige Gesamtgeläut vom Zionsberg erklingen.

Deutscher Verein vom Heiligen Lande

Seit mehr als 160 Jahren engagiert sich der Deutsche Verein vom Heiligen Lande (DVHL) für die Menschen im Nahen Osten – immer vor dem Hintergrund des interreligiösen Dialogs und friedenspolitischen Engagements. "Mit Erfahrung und Kompetenz sind wir auf einzigartige Weise im Nahen Osten präsent. Wir engagieren uns dort, wo Menschen konkrete Hilfe brauchen, und treten mit ihnen für eine bessere Zukunft ein." Im Spannungsfeld von Judentum, Christentum und Islam stehen sie für Verständigung, Versöhnung und Frieden.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)
Quelle:
DR

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