Angela Merkel bezieht im Koaltionsstreit Stellung

EU-Beitritt der Türkei: "Ergebnisoffene Verhandlungen"

Erneut Streit in der großen Koalition. Offene Fragen um einen EU-Beitritt der Türkei sorgen für Unstimmigkeiten zwischen CSU-Chef Edmund Stoiber und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Stoiber will die Verhandlungen mit der Türkei am liebsten abbrechen: Das Land sei andauernd vertragsbrüchig gegenüber Zypern, und der anstehende EU-Fortschrittsbericht falle negativ aus.

 (DR)

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Dienstag versichert, dass die Beitrittsverhandlungen mit Ankara ergebnisoffen geführt würden. Darüber hinaus halte sie sich an die Beschlüsse, die von der vorherigen Bundesregierung gefasst wurden. Das sagte sie bei einem Treffen mit dem finnischen Ministerpräsidenten Matti Vanhanen in Berlin. Zuvor hatten offene Fragen um einen EU-Beitritt der Türkei zu Unstimmigkeiten zwischen CSU-Chef Edmund Stoiber und Außenminister Frank-Walter Steinmeier geführt. Stoiber will die Verhandlungen mit der Türkei am liebsten abbrechen: Der am Mittwoch anstehende EU-Fortschrittsbericht falle zu negativ aus. Steinmeier warnte davor, die Türkei mit einer Ablehnung vor den Kopf zu stoßen. Die EU-Kommission stellt der Türkei in ihrem Bericht ein schlechtes Zeugnis aus. Hören Sie eine Einschätzung von unserem Berlin-Korrespondenten Gerhard Hofmann und ein Interview mit dem Kirchenhistoriker und Türkeiexperten Prof. Rudolf Grulich über die Situation der Christen in der Türkei.

Mangelnde Religionsfreiheit
Mängel gebe es vor allem bei der Abschaffung der Folter, dem Versuch, Kontrolle über die Armee zu gewinnen, und dem Recht auf Meinungsfreiheit, so das Dokument. Weitere Mängel seien der unzureichende Schutz von Minderheiten, die fehlende Unabhängigkeit der Justiz sowie Korruption. Zudem wird kritisiert, dass das Land weiter seine Häfen und Flughäfen nicht für Schiffe und Flugzeuge aus Zypern öffne.

Angela Merkel sieht in dieser Sache Chancen auf eine Entwicklung: Die Türkei habe vor der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zugesagt, das Ankara-Protokoll bis Ende 2006 umzusetzen. Dies sei bisher nicht geschehen, es müsse nun alles daran gesetzt werden, "dass das, was wir untereinander besprechen, auch eingehalten werde". Sie zeigte sich zuversichtlich, dass es noch in diesem Jahr zu einer Einigung in der Zypern-Frage kommen werde. Die Wochen bis zum EU-Gipfel im Dezember sollten ausreichen, um eine Lösung herbeizuführen.

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn hatte in den vergangenen Wochen mehrfach scharfe Kritik an Ankara geäußert. Er nannte dabei vor allem fehlende Religionsfreiheit und die noch ausstehende Versöhnung mit den Nachbarn einschließlich Armeniens. Im Europaparlament sagte Rehn wörtlich: "Ich kann mir keinen Mitgliedstaat vorstellen, der nicht die Grundrechte einhält."

Historisch ist die Türkei entscheidend für das Christentum gewesen. Doch heute leben auf dem Gebiet von Kleinasien nur noch etwa 100 000 Christen - und immer noch gibt es Probleme mit der Religionsfreiheit. Christen können dort längst nicht so frei ihren Glauben leben wie beispielsweise Muslime in Deutschland. Aber warum ist das so? Mathias Peter hat darüber mit dem Kirchenhistoriker und Türkeiexperten Professor Rudolf Grulich gesprochen.

Gül: Reformen sind nötig
Auf einem Treffen der EU-Außenminister Mitte Oktober hatte der türkische Außenminister Abdullah Gül die Fortsetzung der Reformen in seinem Land angekündigt. Diese Reformen seien unabhängig von einem möglichen EU-Beitritt seines Landes nötig, sagte Gül nach dem Treffen in Luxemburg. Bei ihrer Umsetzung hoffe er auf weitere Unterstützung durch die EU.