Fanrituale zeigen auffällige Parallelen zur religiösen Kultur

Mit der "Kutte" ins Stadion

Kult pur gerade in Südafrika. Mit Fahnen wallfahren die Fans zum Stadion. Jubel erklingt, wenn die Akteure Einzug halten. Und nach dem Spiel finden in Fanartikel-Shops Devotionalien reißenden Absatz. Ob Bundesliga oder WM: Experten sehen in Fußball-Ritualen auffällige Parallelen zur religiösen Kultur.

Autor/in:
Andreas Otto
 (DR)

Spätestens seit Herbert Zimmermann in seinem Kommentar des "Wunders von Bern" 1954 Toni Turek zum "Fußballgott" erkor, gibt es diese seltsame Verbindung von Sport und Religion. Da werden die Stars auf dem "heiligen Rasen" von ihren Fans "angehimmelt" und Tore als "Erlösung" gefeiert. Der Bochumer Theologe Joachim von Soosten beobachtet, dass - zumindest für die meisten Männer - der Sport "Kult" ist. Denn hier wie dort gebe es Riten - also Regeln, wie man sich gegenüber dem "Heiligen" zu verhalten hat. So pilgere die "Samstaggemeinde" zu ihrer "heiligen Zeit" ins Stadion, ihren Tempel. Und finde dort alles, was das Herz erreicht: das Erlebnis eines großen Raums, viele Gesten und Musik. Dabei erfahre sich der Fan als "Teil einer großen Mannschaft".

Auch der Berliner Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer beschreibt die Fußball-Anhänger als Mitglied "eines mächtigen Chores, der sich in seiner Gesamtheit seine Heiligen erzeugt" - mit Macht und Wundertätigkeit ausgestattete Wesen, die von den Beschränkungen des normalen Lebens entlasteten. Und wie die Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft vollziehe sich die Integration in die Fan-Gemeinde, schreibt Gebauer im Buch "Fußball als Kulturphänomen": Der "Novize" begibt sich mit Einsteigerkluft in die Stehplatzkurve, stimmt in die Gesänge ein und wird mit Erfüllung der Gemeinschaftsmoral schließlich als Mitglied anerkannt.

"Kirchenchoral" Fangesang
In die Richtung zielt auch der Hannoveraner Musikpsychologe Reinhard Kopiez, der Fangesänge unter die Lupe nahm. Schon das Stadion mit seinem Hall sei als "locus theologicus", als sakraler Ort, konzipiert. Die Fangesänge mit ihrer Frage-Antwort-Struktur vollzögen sich in Form eines Wechselgesangs. Zudem wiesen diese "deutliche Elemente des Kirchenchorals" auf. Und ähnlich wie es Augustinus für Fälle religiöser Verzückung beschreibt, werden laut Kopiez auch die Fußball-Gesänge im Zustand höchster Ekstase textlos - weil Worte die grenzenlose Begeisterung nicht ausdrücken können. Sein Fazit: Das Stadion sei eine "Kultstätte unserer Zeit".

So offenherzig wie keine anderen Fans pflegen die von Schalke 04 ihre "Religion". Im "Schalke unser" wird um die Mannschaft gebetet, nein gefleht: "Verteidigt werde Dein Name, Dein Sieg komme wie zu Hause so auch auswärts..." Sportjournalist Dieter Kürten, selbst bekennender Katholik, bringen solche Sätze zum Schmunzeln. Allzu eifrige Glaubenswächter mahnt er, die gelbe Karte in der Brusttasche zu lassen und diese Worte nicht auf die theologische Goldwaage zu legen.

"Lebensrezept oder Lebensprogramm"
Der Würzburger Volkskundler Michael Prosser warnt davor, in den Fußball-Ritualen wirkliches religiöses Empfinden zu sehen. Denn es handele sich um einen Leistungswettbewerb und nicht um eine Veranstaltung mit religiöser Zweckbestimmung. Dafür plädiert auch der Ethnologe Christian Bromberger. Fußballrituale seien allenfalls eine humoristische Anlehnung an religiöse Riten. Überhaupt böten die unsteten Stars mit ihren häufigen Vereinswechseln kaum Sicherheit. Religionen dagegen gäben Antworten auf den Sinn des Daseins - über den Spieltag hinaus.

Ähnlich sieht es Kardinal Karl Lehmann: Fußball biete nun mal kein "Lebensrezept oder Lebensprogramm". Er rät aber zur Gelassenheit, wenn Sportler religiöses Vokabular oder religiöse Gesten verwenden. "Ich respektiere es, wenn sich ein Fußballspieler in aller Öffentlichkeit vor einem Spiel bekreuzigt", so der Mainzer Bischof. "Derjenige, der es tut, schämt sich dafür nicht."