Theologische Wortmeldung des emeritierten Papstes Benedikt XVI.: In der Fachzeitschrift "Communio" kommentiert er ein Dokument, das 2015 von der Vatikan-Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum veröffentlicht wurde, um das Verhältnis zwischen Christen und Juden 50 Jahre nach der Konzilserklärung "Nostra Aetate" neu zu bestimmen.
Einem Geleitwort von Kurienkardinal Kurt Koch zufolge war ihm der Text von Benedikt XVI. als eine private Reflexion übergeben worden und ursprünglich nicht für die Veröffentlichung vorgesehen. Er habe den emeritierten Papst aber überzeugen können, ihn in der einst von ihm selbst, Joseph Ratzinger, mitgegründeten Zeitschrift "Communio" zu veröffentlichen.
Eine Herzensache
Der Text mit dem Titel "Gnade und Berufung ohne Reue", so Koch, sei "eine wichtige Antwort auf die Einladung der Vatikanischen Kommission zu einem vertieften theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum". Dieser Dialog habe Ratzinger "stets am Herzen" gelegen.
Der Text ist mit "Joseph Ratzinger - Benedikt XVI." signiert und auf den 26. Oktober 2017 datiert. Er bietet eine kritische Reflexion bisheriger "Standards" im jüdisch-christlichen Dialog beziehungsweise im nachkonziliaren theologischen Nachdenken über das Verhältnis von Judentum und Christentum.
Ein besonderer Status
Konkret setzt sich Benedikt XVI. bei den beiden Stichworten "Substitutionstheorie" und "nie gekündigter Bund" auseinander. "Beide Thesen - dass Israel nicht durch die Kirche substituiert werde und dass der Bund nie gekündigt worden sei - sind im Grunde richtig, sind aber doch in vielem ungenau und müssen kritisch weiter bedacht werden", schreibt er.
So habe es eine "Substitutionstheorie" - also die Vorstellung, die Kirche sei an die Stelle Israels getreten - "als solche nicht gegeben", stellt der emeritierte Papst klar. Dem Judentum komme aus christlicher Sicht stets ein besonderer Status zu.
Die Messias-Frage
Gerade die sogenannte Messias-Frage stelle "die eigentliche Streitfrage zwischen Juden und Christen" dar, hält Benedikt XVI. fest. Richte sich die jüdische Messias-Erwartung auf einen auch politisch verstandenen Friedensbringer, so müsse man aus christlicher Sicht darauf verweisen, dass Jesus "nicht unmittelbar die vollendete neue Welt des Friedens bringen wollte (...), sondern den Menschen, auch den Heiden, Gott zeigen wollte".
Insgesamt zielt der Text auf diverse theologische Differenzierungen, Präzisierungen und Vertiefungen in dem komplexen Feld des jüdisch-christlichen Dialogs. Auch die Frage des "nie gekündigten Bundes" zwischen Gott und den Juden - eine Aussage, die auf Papst Johannes Paul II. zurückgeht (1978-2005) und zum heute selbstverständlichen Deutungshorizont des Judentums aus christlicher Sicht gehört - verlangt laut Benedikt XVI. nach Differenzierungen.
So gehöre etwa die "Kündigung" eines Bundes nicht zur theologischen Begriffswelt des Alten Testaments. Auch die damit verbundene Vorstellung eines Vertrags auf Augenhöhe entspreche nicht der biblischen Theologie.
"Kein lehramtlich-autoritativer Rang"
Der Wiener Dogmatiker und "Communio"-Herausgeber Jan-Heiner Tück sagte der Presseagentur Kathpress, der Beitrag Benedikts XVI. beanspruche "keinen lehramtlich-autoritativen Rang", sondern sei vielmehr "so stark wie die Argumente, die er einbringt". Tück sprach von einem "Zeugnis innerkirchlicher Reflexion". Insofern sei dem Text auch mit einer "Hermeneutik des Wohlwollens" entgegenzutreten, ohne die es kein Verstehen gebe. Allerdings befasse sich der Autor ausschließlich mit der Schärfung innerchristlicher Sprachregelungen.
Ein eigentliches Gespräch mit der jüdischen Theologie werde hier nicht geführt.