Der frühere Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Patrick Bauer, lobt die Reaktion von Kardinal Rainer Maria Woelki auf das Kölner Missbrauchsgutachten. Woelki habe Wort gehalten und schnell reagiert. Dass er schon heute Offizial Günter Assenmacher und Weihbischof Dominikus Schwaderlapp vorläufig suspendiert habe, habe ihn "in dieser Deutlichkeit überrascht", sagte Bauer am Donnerstag im ZDF. Ihm fehle aber, dass diese Männer nicht vorher selbst ihre Schuld eingestanden hätten.
Bauer betonte, ihm fehle auch die moralisch-ethische Bewertung: "Dazu brauche ich keine Gutachten." Er nannte es zudem "erbärmlich", dass es angeblich so viel "Überforderung und Nichtwissen" bei den Verantwortlichen im Erzbistum mit Blick auf Rechtsgrundlagen gegeben habe. Da sehe er viel "grobe Fahrlässigkeit" bei Verantwortlichen.
Gut sei, dass das Gutachten klar benannt habe, dass vielen Verantwortlichen der Schutz der Täter immer wichtiger war als der Schutz der Opfer - "aber für diese Erkenntnis hätte es eigentlich auch nicht Professor Gercke gebraucht".
Betroffeneninitiativen kritisieren Kölner Gutachten
Als Freispruch für Kardinal Rainer Maria Woelki hat hingegen der Sprecher der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, das am Donnerstag präsentierte Kölner Missbrauchsgutachten bezeichnet. "Was man bestellt hat, hat man bekommen", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln. Das Gutachten kläre weder moralische noch kirchenrechtliche Fragen. Katsch kritisierte zudem, dass die Perspektive der Betroffenen für die Erstellung des Gutachtens keine Rolle gespielt habe. Das Gutachten sei kein Ersatz für Aufarbeitung, so Katsch. Diese müsse erst noch geschehen.
Der ehemalige Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Karl Haucke, formulierte ein nach eigenen Aussagen "hartes Urteil": "Nach dieser Showveranstaltung von eben bin ich der Meinung, die theologischen Fakultäten in Deutschland können ihren Laden schließen", sagte er vor Journalisten am Kölner Dom. Die Kirche brauche keine Moral, weil auch die "Kirchenfürsten" keine Moral hätten.
Bonner Stadtdechant fordert zügige Konsequenzen
Bonns Stadtdechant, Wolfgang Picken, äußert sich tief betroffen über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen und dessen Vertuschung im Erzbistum Köln. "Die Zahlen der Missbrauchsopfer und das beschriebene Leid verpflichten die Kirche von Köln zuerst zum Mitempfinden mit den Opfern. Sie wurden Opfer von Gewalt und mussten zudem oft jahrzehntelang erleben, dass kirchliche Obere die Täter schützten und sie als Opfer missachteten. Deshalb ist es jetzt zuerst geboten, allen Opfern unkonventionell und großzügig zu helfen, wo immer sie Unterstützung benötigen", sagt er.
Es müsse nach der umfangreichen Feststellung fehlender Opferfürsorge auch infrage gestellt werden, ob die gegenwärtig üblichen Zahlungen und Unterstützungsleistungen hinreichend seien.
Kölner Stadtdechant erwartet weitere Konsequenzen
Der Kölner Stadt- und Domdechant Robert Kleine begrüßt die Veröffentlichung des Gutachtens der Kanzlei Gercke-Wollschläger. Nach seinem Amtsantritt als Kölner Erzbischof hatte Kardinal Woelki eine solche juristische Aufarbeitung der Missbrauchsfälle angekündigt und in Auftrag gegeben. "Mit dem heutigen Tag ist diese Zusage für die Jahre 1975-2018 umgesetzt. Dies ist ein weiterer und wichtiger Schritt des Aufarbeitungsprozesses und der Prävention im Erzbistum Köln", so Kleine.
Für ihn ist es nur folgerichtig, "dass bereits am heutigen Tag persönliche Konsequenzen gezogen wurden, auch wenn ich mir diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Aufklärungsprozesses gewünscht hätte. Zudem muss der juristischen Aufarbeitung des bisherigen Umgangs mit Missbrauchsfällen – wie auch von den Gutachtern der Kanzlei Gercke-Wollschläger bei der Vorstellung der Untersuchung deutlich gemacht – eine moralische Bewertung des Verhaltens der Verantwortlichen folgen."
Kleine erwartet, dass auch aus dieser moralisch-ethischen Aufarbeitung im Erzbistum Köln Konsequenzen gezogen werden.
Laien im Erzbistum Köln schockiert von Missbrauchsausmaß
Ein Laiengremium im Erzbistum Köln zeigt sich nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens schockiert vom Ausmaß sexueller Übergriffe durch Kirchenvertreter. Die hohen Zahlen machten deutlich, "dass die vorhandenen und geprägten kirchlichen Strukturen einen Nährboden für den Missbrauch von jungen Menschen bieten", erklärte der Diözesanrat der Katholiken am Donnerstag in Köln. Die Untersuchung bezeichnete das Gremium als ersten Aufschlag. Viele Fragen seien noch offen.
24 Mal zählten die Gutachter eine Pflichtverletzung durch den verstorbenen Kardinal Joachim Meisner (1933-2017). Dieser habe einen eigenen Ordner mit Akten über "Brüder im Nebel" geführt, "in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt" habe, erklärte Strafrechtler Björn Gercke. Angesichts dieser Darstellung zeigte sich der Diözesanrat fassungslos. Meisners Amtszeit müsse neu bewertet werden, forderten die Laien.
Katholische Frauen: Das System muss dringend verändert werden
Katholische Frauenverbände sehen das Kölner Missbrauchsgutachten als Beweis dafür, dass die Machtstrukturen in der katholischen Kirche grundlegend verändert werden müssen. Eine rein juristische Begutachtung der Vorgänge reiche nicht aus - auch im Hinblick auf die katastrophale Aktenlage, erklärten die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) und Maria 2.0 am Donnerstag in Köln und Düsseldorf.
Besonders bestürzend sei, dass bei Verfehlungen von Laien sofort arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen worden seien, bei Klerikern aber nicht.
"Sexualisierte Gewalt in jeder Form ist eine Sünde, kein Kavaliersdelikt", erklärte die Vorsitzende des kfd-Diözesanverbands Köln, Elisabeth Bungartz. Rotraut Röver-Barth, Vorsitzende des KDFB-Diözesanverbands Köln, erklärte, die Kirche als Institution müsse alles tun, um solche Straftaten zu verhindern und Täter zu ahnden. "Strukturen müssen verändert werden, Hierarchie muss abgebaut werden und die Bistumsleitung muss, auch hier in Köln, die Verantwortung für den Transformationsprozess übernehmen."
Maria Mesrian, Sprecherin von Maria 2.0 Rheinland, betonte, Köln zeige, dass die Kirche nicht in der Lage sei, Straftaten und deren Vertuschung in ihren Räumen selbst aufzuklären. "Nur eine unabhängige Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission kann Licht in das Dunkel bringen."
Maria 2.0 kritisiert Kölner Missbrauchsgutachten
Auch für die Mit-Initiatorin der katholischen Reformbewegung Maria 2.0, Lisa Kötter, ist das Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln nicht geeignet, die Ursachen für den jahrzehntelangen Missbrauch aufzuarbeiten. Es gehe nur um die Taten Einzelner; "das System wird nicht in Frage gestellt", kritisierte die Gründerin von Maria 2.0 am Donnerstag gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
"Was übrig bleibt, ist die lebenslange Qual der Menschen, denen Gewalt angetan wurde", sagte Kötter. Wenn auch nur ein Mensch verletzt worden sei, um die Fassade einer Institution, eines Amtes, einer "Heiligkeitsbehauptung" zu schützen, habe diese Institution ihre Würde verloren, fügte sie hinzu. Sie äußerte die Befürchtung, dass die "paar Männer", die ihre Ämter verlassen müssen, "wie immer in brüderlichen Armen weich aufgefangen werden, hochwürdig selbstverständlich". Sich mit den "Kleinen und Verletzten" auf eine Ebene zu begeben und selbst um Hilfe zu bitten, stehe nicht zur Diskussion.
Rörig: Ausmaß des Missbrauchs in Köln ist "erschreckend"
Das im Kölner Missbrauchsgutachten gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen kirchlicher Verantwortungsträger ist aus Sicht des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, "erschreckend". Zugleich lobte er das Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im katholischen Erzbistum Köln am Donnerstag nach dessen Vorstellung als einen "wichtigen von vielen weiteren Mosaiksteinen der unabhängigen Aufarbeitung". Nun müsse zügig eine Aufarbeitungskommission unter Beteiligung von Betroffenen und weiteren Experten gebildet werden.
Erst durch die nun anstehende unabhängige Aufarbeitung gerieten "endlich die Betroffenen stärker in den Fokus, die sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erlitten haben", erklärte der Beauftragte. Damit werde "auch das Leid der Betroffenen betrachtet und auch geklärt, warum Kirchenleute so rigoros und herzlos mit kindlichen Opfern umgegangen sind". Auch stünden die oft schweren Folgen des sexuellen Missbrauchs im Mittelpunkt.
"Wenn sich das mächtige Erzbistum Köln nun an die Spitze der unabhängigen Aufarbeitung setzt und auch die Betroffenen uneingeschränkt unterstützt, würde ich das sehr begrüßen", sagte Rörig. Zudem hoffe er sehr, "dass die unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche mit ganzer Energie und mit uneingeschränktem kirchlichem Aufklärungswillen in allen deutschen Bistümern weiter vorangetrieben wird".
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte am Montag eine Vereinbarung mit verbindlichen Kriterien für die Missbrauchsaufarbeitung unterzeichnet. Damit habe Woelki die Steuerung der Aufarbeitung im Erzbistum aus seinen Händen gegeben und der künftigen Aufarbeitungskommission übertragen, ohne aus der Verantwortung entlassen zu sein, erklärte Rörig weiter. Er sprach von "unumkehrbarer Verbindlichkeit".
Der Missbrauchsbeauftragte und die Deutsche Bischofskonferenz hatten sich im vergangenen Jahr auf eine "Gemeinsame Erklärung" verständigt. Das Papier gibt allen Bistümern einen einheitlichen Rahmen für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vor.
Experte Zollner: Maßnahmen in Köln "viel zu kleiner Schritt"
Nach Ansicht des vatikanischen Experten für Missbrauchsprävention Hans Zollner, sind die bisherigen Maßnahmen im Erzbistum Köln ein "viel zu kleiner Schritt". Aus Sicht der Opfer genüge die von vornherein "klar gewählte rein juristische Sichtweise" nicht. "Die Betroffenen brauchen mehr", sagte Zollner, Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Eine reine juristische Aufklärung von Missbrauch und dem Umgang damit könne "nicht Anspruch einer umfassenden Aufarbeitung sein", kritisierte der Psychologe, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana das Zentrum für Kinderschutz leitet. In die Untersuchungen hätten Betroffene und Präventionsbeauftragte mit einbezogen werden müssen, so Zollner.
Das vorgelegte Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger zeige zudem, "wie mangelhaft in kirchlicher Verwaltung vorgegangen wurde". Für die Opfer bedeute es aber noch keine Gerechtigkeit, "wenn jetzt jemand wegen Verfahrensfehlern von seinem Amt entbunden wird", so Zollner mit Bezug auf die Suspendierung von Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (53) und Offizial Günter Assenmacher (69).
"Wir sind Kirche": Erschütternde Missstände im Erzbistum Köln
Für die Initiative "Wir sind Kirche" zeigt das Kölner Missbrauchsgutachten "erschütternde Ergebnisse mangelnden Rechtswissens und verstörenden Unrechtsbewusstseins bei den Leitungsverantwortlichen des größten deutschen Bistums". Aufgrund der lückenhaften Aktenführung könnten die Ergebnisse des Gutachtens nur die Spitze des Eisbergs darstellen, erklärte die Initiative am Donnerstag in München. Zugleich werde vor allem "das systembedingte Versagen besonders in der langen Ära Meisner deutlich".
"Wir sind Kirche" kritisierte zugleich eine Fokussierung des Gutachtens auf die rein juristischen Aspekte; die Frage nach dem kirchlichen Selbstverständnis bleibe außen vor. In diesem Zusammenhang stellt die Initiative auch die Frage nach der persönlichen Verantwortung von Kardinal Rainer Maria Woelki. Er müsse sich fragen, wie er als Erzbischof bislang seiner Aufsicht innerhalb des Erzbistums gerecht geworden sei und ob die angekündigten Amtsenthebungen nicht ein "Bauernopfer" darstellten, um von seiner Letztverantwortlichkeit abzulenken. Auch der Kardinal müsse seinen Rücktritt anbieten, ebenso wie der jetzige Hamburger Erzbischof Stefan Heße.
Bundespolitik fordert weitere Konsequenzen nach Kölner Gutachten
Das Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln hat auch in der Bundespolitik den Ruf nach weiterer Aufklärung und Konsequenzen laut werden lassen. "Auf die heutigen ersten personellen Konsequenzen haben viele Opfer viel zu lange gewartet", sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).
"Diese Schritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die so lange überfällige unabhängige Aufarbeitung in Köln und andernorts immer noch am Anfang steht." Weiterhin gelte, dass Täter und Strukturen genannt werden müssten. Jeder Hinweis auf noch nicht verjährte Taten müsse zur Anzeige gebracht werden.
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte nach der Vorstellung des Gutachtens zwei Geistliche, Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und Kirchenrichter Günter Assenmacher, vorläufig von ihren Aufgaben entbunden. Schwaderlapp bot Papst Franziskus danach seinen Rücktritt an. Während Woelki selbst laut der Studie keine Vorwürfe treffen, belastet sie auch den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der früher in Köln als Personalchef und Generalvikar tätig war.
Der religionspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Benjamin Strasser, sagte, das Kölner Gutachten könne nur der Anfang sein. "Es reicht nicht aus, dass Kardinal Woelki erste personelle Konsequenzen gezogen hat. Auch Erzbischof Heße muss Verantwortung für die Pflichtverletzungen übernehmen." Vor allem fehlten aber weiterhin "konkrete Vorschläge, wie die Missbrauchsfälle grundsätzlich aufgearbeitet werden sollen". Ziel müssten ein besserer Opferschutz und der Abbau täterschützender Strukturen sein.
Der Religionsbeauftragte der Grünen-Fraktion, Konstantin von Notz, forderte ebenfalls weitere auch personelle Konsequenzen. Woelki müsse "sich gut überlegen, ob er noch das notwendige Vertrauen genießt, den weiteren Weg zu gehen", sagte der Politiker. Um Vertrauen zurückzugewinnen, brauche es weiterhin eine unabhängige Aufarbeitung.
Dabei müssten die Interessen Betroffener an erster Stelle stehen. Von Notz appellierte zugleich an die Bundesregierung, endlich die Voraussetzungen für eine umfassende, auf die Gesamtgesellschaft bezogene Dunkelfeldstudie zum Thema Missbrauch zu schaffen.
SPD-Beauftragter: Bundestag muss Missbrauchsaufklärung begleiten
Der religionspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Lars Castellucci, fordert eine Begleitung von kirchlicher Missbrauchsaufklärung und -aufarbeitung durch das Parlament. "Wer aufklärt, muss über alle Zweifel erhaben sein, persönlich und als Institution, sonst wird es kein ausreichendes Vertrauen in die Ergebnisse geben können", sagte Castellucci am Donnerstagabend der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin: "Deshalb stößt die Aufklärungsarbeit, für die von den Kirchen selbst der Rahmen vorgegeben wird, an Grenzen."
"Bevor jetzt in 27 Bistümern Gutachten in Auftrag gegeben, zurückgezogen, geschwärzt oder erneut in Auftrag gegeben werden, fordere ich einen verbindlichen gemeinsamen und überprüfbaren Rahmen für die Aufarbeitung in ganz Deutschland", erklärte Castellucci. Das Thema betreffe auch die evangelische Kirche, die hier hinterherhinke.
Sternberg sieht in Kölner Gutachten "Auftrag für Reformen"
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ZdK sieht in dem Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln einen "klaren Auftrag für Reformen". Das betreffe die Kirche insgesamt, betonte ZdK-Präsident Thomas Sternberg am Donnerstag in Bonn. "Alle Bistümer können aus den offensichtlichen Verfahrensfehlern, mangelnden rechtlichen Regelungen und mangelnder Rechtskenntnis in Köln lernen", so Sternberg. "Wer jetzt nicht ehrlich und glaubwürdig mit den Betroffenen spricht, wer nicht Prävention, Anerkennung und Aufarbeitung intensiv betreibt, kann die große Vertrauenskrise, die über die Kirche hinausweist, nicht überwinden."
Das zuvor in Köln vorgestellte Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger hatte für den Zeitraum zwischen 1975 und 2018 Übergriffe und Grenzverletzungen untersucht und dabei 202 Beschuldigte ermittelt. Die Zahl der Betroffenen beläuft sich auf 314. Dabei stellten die Anwälte 75 Pflichtverletzungen von acht lebenden und verstorbenen Verantwortlichen fest. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, dem selbst keine Pflichtverletzungen nachgewiesen wurden, entband daraufhin Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und Offizial Günter Assenmacher mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben. Schwaderlapp bot inzwischen dem Papst seinen Rücktritt an.
ZdK-Präsident Sternberg nannte die ersten Entscheidungen Woelkis konsequent. Nun komme es auf die weiteren Schritte im Erzbistum an.
Es gehe "um Transparenz, Einbeziehung des Betroffenenbeirats und den Willen zur transparenten Kommunikation. Bislang ist da viel schiefgelaufen", so Sternberg. "Angesichts der dilettantischen Arbeitsweise erwarte ich, dass überfällige Verwaltungsreformen sofort eingeleitet werden. Reformen, die den Mindeststandard einer Behörde erfüllen." Hier brauche es einen konkreten Zeitplan und konkrete Zuständigkeiten.
Der Fall Köln zeige nicht nur massive Pflichtverletzungen und "Dilettantismus" von Verantwortungsträgern, sondern stehe auch "exemplarisch dafür, wie wichtig es wäre, endlich eine Verwaltungsgerichtsbarkeit der Kirche einzurichten", so Sternberg, der zugleich weitere Aufarbeitung forderte. "Das Gutachten ist wichtig, bietet aber eine ausschließlich juristische Bewertung. Die vollständige Aufarbeitung kirchlichen Versagens kann nur gelingen, wenn interdisziplinär und unabhängig gearbeitet wird."
Frauen: Kleriker müssen moralische Verantwortung übernehmen
Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) begrüßt, dass der Hamburger Erzbischof Stefan Heße dem Papst seinen Amtsverzicht angeboten hat. Die Vorsitzende des kfd-Diözesanverbands Hamburg, Gabriele Semrau, bezeichnete es jedoch am Freitag in der Hansestadt als "mehr als bedauerlich", dass es dazu des Kölner Rechtsgutachtens bedurft habe. "Wir erwarten von einem Kleriker, einem Seelsorger, dass er eine moralische Verantwortung übernimmt und sich auch seiner Schuld als Mensch und Christ bewusst wird."
Die stellvertretende kfd-Bundesvorsitzende Agnes Wuckelt betonte in Düsseldorf, dass in der Aufarbeitung des Missbrauchs nicht nur reine Pflichtverletzungen betrachtet werden dürften. "Die Institution Kirche muss die Perspektive der Betroffenen einnehmen." Missbrauchstaten seien vom Kirchenstrafrecht lange nur deshalb erfasst worden, weil der Täter schwer gegen Amtspflichten wie die sexuelle Enthaltsamkeit verstoßen habe - und nicht, weil die Tat aus Opferperspektive als besonders schwerwiegend beurteilt wurde. "Hier muss ein Paradigmenwechsel stattfinden", so Wuckelt. "Deshalb ist es notwendiger denn je, eine unabhängige Aufarbeitung des Missbrauchs voranzubringen."
Information der Redaktion: Dieser Artikel gibt gesammelte Stimmen und Reaktionen auf die Veröffentlichung des Kölner Missbrauchsgutachtens wieder und wird fortlaufend ergänzt, Stand 19.03.2021, 13:45 Uhr.