Zum Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer

"Sie verharrte wie eingemauert im Keller der Umfragen"

Annegret Kramp-Karrenbauer kündigt ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz an, ebenso will sie auf die Kanzlerkandidatur verzichten. Für den Politikwissenschaftler Andreas Püttmann kommt das nicht überraschend – nur der Zeitpunkt vielleicht.

Annegret Kramp-Karrenbauer / © Sven Hoppe (dpa)
Annegret Kramp-Karrenbauer / © Sven Hoppe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Hatten Sie damit gerechnet, dass Annegret Kramp-Karrenbauer nach der Thüringen-Pleite jetzt so schnell aufgibt?

Andreas Püttmann (Katholischer Publizist und Politikwissenschaftler): Daran, dass sie noch Kanzlerkandidatin werden könnte, hatte ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gedacht. Aber ich habe mir vorstellen können, dass sie Parteivorsitzende bleibt, bis es einen Kanzlerkandidaten gibt, und dass ihre Popularität sich quasi in dessen Windschatten etwas erholen könnte. Dann stünde sie als innerparteiliche Moderatorin im Wahljahr zur Verfügung.

Auf diese Rolle wird es ja jetzt auch hinauslaufen, aber doch mit der Ansage, dass sie das Amt der Vorsitzenden früher abgibt. Gestern gab es ein Alarmsignal in der Talkshow "Anne Will". Melanie Amann vom SPIEGEL wurde gefragt, ob Kramp-Karrenbauer noch fest im Sattel sitze. Sie antwortete: Nein, AKK würde, noch mit einem Fuß im Steigbügel hängend, vom Pferd hinter sich her geschleift.

Über dieses drastische Bild war ich doch erschrocken. Das berührt das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen, sodass ich nach dieser Zuspitzung auch dachte, jetzt könnte ein Rücktritt schneller kommen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, so ganz überrascht hat es Sie nicht. War ihre Autorität denn tatsächlich so angeknackst, dass sie kaum noch eine andere Möglichkeit hatte?

Püttmann: Ja, das hat sich in langer Zeit aufgebaut. Es gab erst große Vorschusslorbeeren und eine hohe Sympathie in der Bevölkerung, weil man auch davon ausging, sie setze die Linie von Frau Merkel im Wesentlichen fort.

Dann kam die unglückliche Büttenrede, die ich nach wie vor für überbewertet halte. Sie hat aber einen nachhaltigen Rutsch der Popularität eingeleitet, die sich nicht mehr erholte. Später ging es um die Frage: Ins Kabinett: ja oder nein? Da hat sie sich dann selbst mit dem Ja etwas widersprochen.

Es kamen ein paar Initiativen zur internationalen Politik dazu, Stichworte: Flugzeugträger, Tagungsort des Europäischen Parlaments, Syrien-Schutzzone. Da wusste jeder, es ist nicht wirklich realistisch und soll vielleicht mehr dazu dienen, sich zu profilieren. Sie verharrte wie eingemauert im Keller der Umfragen. Das war nicht mehr zu heilen.

DOMRADIO.DE: Sie begründet ihren Schritt ja auch mit dem ungeklärten Verhältnis von Teilen der CDU mit der AfD und den Linken. Sie selbst sei strikt gegen eine Zusammenarbeit mit den beiden Parteien. Heißt das, dass Annegret Kramp-Karrenbauer da vor dem rechten Flügel in der eigenen Partei einknickt? Wie ist das zu verstehen?

Püttmann: Sie hat ja zunächst versucht, ihn zu integrieren. Es gab zum Beispiel das Werkstatt-Gespräch zur Flüchtlingspolitik. Sie hat sich in einer Situation, wo zwei Flügel der Partei auseinander streben – wie man es in Thüringen im Brennglas noch einmal schärfer sehen konnte –, versucht zu integrieren. Das ist schief gegangen. "In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod." Das ist nun wirklich in ihrem Fall nachzuvollziehen.

Das Verhältnis zur Linken ist eigentlich nicht strittig. Wir müssen die Linkspartei gar nicht neu bewerten, um eine Stimmenthaltung der CDU im Thüringer Landtag zu begründen. Thüringen ist ganz offensichtlich ein Sonderfall. Es ist doch lachhaft, Herrn Ramelow zum Objekt eines Kampfes gegen den Bolschewismus hochzustilisieren. Zur Linken insgesamt ist das Verhältnis klar: Das ist von den Inhalten her gesehen die von der CDU am weitesten entfernte Partei.

Aber bei der AfD ist eben, was gravierender ist, die Systemfrage ungeklärt und das Personal völlig inakzeptabel. Insofern ist AKK vor allem am ungeklärten Verhältnis, das einige in der CDU zur AfD haben, gescheitert – es gibt ja auch nur auf dieser Seite eine eigene Gruppe, die kleine, aber laute Werte-Union -, also am rechten CDU-Flügel. Der war ja auch in Thüringen sehr aktiv.

DOMRADIO.DE: Heißt das, die AfD ist, was die Inhalte anbelangt, näher an der CDU, als die Linken es sind? Was zeigt denn diese neue Entwicklung in der CDU über die Einflussmöglichkeiten, die die AfD dann hat?

Püttmann: Bei Wahlomaten werden CDU-Wähler meist näher bei der AfD als der Linken liegen, aber darauf kommt es staatspolitisch jetzt nicht an. Die AfD ist im Kern systemfeindlicher. Zehn bis 15 Prozent in jeder menschlichen Gruppe können die soziale Atmosphäre und das praktische Miteinander nachhaltig beeinträchtigen, wenn sie sich destruktiv verhalten. Es gibt dann aber immer auch weitere zehn bis 15 Prozent, die sich davon beeindrucken, sich einschüchtern oder sich anstecken lassen, vor allem durch gemeinsame Feindbilder.

Die Integration, die die AfD in der Gesellschaft bewirkt, geschieht ja vor allem über Feindbilder, wie zum Beispiel den Islam oder die sogenannte politische Klasse. Rund 50 Prozent der Bevölkerung haben gegenüber dem Islam erhebliche Vorbehalte. Die 15 Prozent radikal Rechten sind auch fleißiger als die moderaten und gemäßigten Kräfte und dazu sehr gut vernetzt.

Insofern habe ich mich nie der Illusion hingegeben, dass man einfach sagen kann: "Wir sind mehr, wir sind 80 Prozent und deswegen kriegt Ihr hier keine Schnitte." Das funktioniert nicht so. Denken wir nur daran, dass auch früher die NSDAP in freien Wahlen nur gut ein Drittel der Bevölkerung hinter sich brachte.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie würden schon sagen, dass auch die AfD den ein oder anderen Christdemokraten angesteckt hat?

Püttmann: Ja. Es gibt sogar Leute, die heimlich die AfD wählen und mit ihrem CDU-Mitgliedsausweis wedeln oder herumfuchteln. Es ist doch klar: Die AfD braucht die CDU, und deswegen ist jeder AfD-Sympathisant in der CDU für die AfD viel mehr wert, als ein weiteres eigenes Parteimitglied und als ein weiterer eigener Funktionär.

DOMRADIO.DE: Dass Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt aufgibt, ist natürlich auch ein schwerer Schlag für die Kanzlerin. Schlägt dann jetzt wohl doch noch die Stunde des Friedrich Merz?

Püttmann: Ich glaube das nicht, aus mehreren Gründen. Erstens könnte Merz jetzt als Brutus erscheinen, und den liebt man nicht. Auch wenn man den König nicht liebte, aber den Königsmörder liebt man noch weniger. Indem er die Arbeit der Regierung als grottenschlecht bezeichnet hat und auch durch andere illoyale Äußerungen merkte man: Er ist ganz unzufrieden. Er hat dadurch viele in der CDU und ihrer Wählerschaft vergrault.

Zweitens weiß man: Er kann nicht mit Frau Merkel. Angela Merkel ist aber nach wie vor in der CDU hoch beliebt – und auch in der Bevölkerung nach fast 15 Jahren Regierungszeit ungewöhnlich beliebt. Man möchte diese Kanzlerschaft, die in schwieriger Zeit noch anderthalb Jahre dauern kann, jetzt nicht stören oder abrupt beenden.

Merz ist zudem unerfahren in Regierungsämtern, er ist ja nicht mal Minister gewesen. Er ist auch in der Partei nicht besonders gut verankert, wo er seit seinem Ausstieg aus der Fraktionsführung lange Zeit abwesend war.

Viertens steht er ideologisch für schwarz-gelbe Koalitionen, die ohne Mehrheit in Deutschland sind. Eine Regierung Merz-Habeck kann man sich schlechthin nicht vorstellen. Und schließlich fehlt es ihm auch an Takt- und Fingerspitzengefühl und Berechenbarkeit. Man kann zum Beispiel nicht erst sagen, die AfD sei offen nationalsozialistisch, andererseits aber die Kirchen kritisieren, sie sollten AfD-Vertreter nicht von Kirchentagen ausschließen.

Als er jetzt am Holocaust-Gedenktag auch noch den Scheinwerfer auf islamischen Antisemitismus gerichtet hat, wo wir doch unserer schrecklichen eigenen, deutschen Schuld gedenken, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Deswegen wird man sich das mit Merz' Rolle sehr gut überlegen. Ich schätze, er wäre die 20 Prozent-Lösung für die CDU.


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )
Quelle:
DR
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