In die Debatte um den politischen Islam kommt Bewegung. Ein Positionspapier von Unions-Innenpolitikern, über das die Bundestagsfraktion demnächst diskutiert, fordert erstmals gezielte Maßnahmen gegen eine islamistische Unterwanderung der Gesellschaft. Das Dokument verlangt eine breit angelegte Erforschung der ideologischen Strukturen. Dafür soll es künftig eigene Lehrstühle geben, eine "Dokumentationsstelle Politischer Islamismus" nach österreichischem Vorbild sowie einen Expertenkreis beim Bundesinnenministerium (BMI), der jährlich berichten soll.
Papier thematisiert den "politischem Islamismus"
Außerdem befürworten die Verfasser ein "Moscheeregister", das ausländische Geldflüsse an die Gemeinden offenlegt, um deren Prägung durch radikalislamische Kreise etwa aus den Golfstaaten erkennen zu können. Drittens fordern die Unionspolitiker eine Studie über den Einfluss islamistischer Propaganda auf Jugendliche. Ein Anlass sind die Solidaritätsbekundungen muslimischer Schüler für den Mörder des französischen Lehrers Samuel Paty, die im vergangenen Herbst für Erschrecken gesorgt hatten.
Das siebenseitige Papier spricht durchweg von "politischem Islamismus" und vermeidet den gängigeren Begriff "politischer Islam". Ihn hatten Islamvertreter, aber auch christliche Theologen wiederholt kritisiert, weil er aus ihrer Sicht eine ganze Religion und das legitime politische Engagement von Muslimen unter Verdacht stellt. "Wir wollen uns gerade nicht mit dem Streit um Begrifflichkeiten aufhalten, sondern das extremistische Potenzial dieser Ideologie in den Fokus rücken", begründete der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, treibende Kraft hinter dem Papier, am Donnerstag die Wortwahl gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Ob politischer Islam oder politischer Islamismus - gemeint ist letztlich dasselbe: eine Herrschaftsideologie, die Staat und Gesellschaft schleichend den Normen des fundamentalistischen Islam unterwerfen soll. Ihre Wortführer verurteilen den Terrorismus, hetzen aber unter Muslimen gegen die westliche Lebensweise, gegen Pluralismus und sexuelle Freiheit. Den säkularen Rechtsstaat lehnen sie ab. Als Hauptakteure gelten die arabischen Muslimbrüder mit ihrem verzweigten Netz aus Vereinen und Moscheen sowie türkisch-nationalistische Organisationen wie Milli Görüs und Graue Wölfe. Einige Beobachter sehen sogar die vom türkischen Staat kontrollierte Ditib, den größten Moscheeverband hierzulande, in diesem Fahrwasser.
Fokus auf "ideologischen Untergrund"
"Wir haben zu Recht Dutzende Lehrstühle zur Erforschung von Rechtsextremismus und Antisemitismus, aber der politische Islamismus, der die Gesellschaft spaltet, ist derzeit völlig unterbelichtet", meint de Vries. Islamisten zehrten von einem schwachen Staat, der aus Angst vor dem "Islamophobie"-Vorwurf wegschaut und sie teilweise sogar als seriöse Ansprechpartner akzeptiert.
Ziel des Positionspapiers sei es, den alleinigen Fokus vom islamistischen Terrorismus zu lösen und auf den "ideologischen Untergrund" auszuweiten. "Wenn fundamentale Werte wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und der Vorrang unserer Gesetze vor religiösen Regeln im Zweifel abgelehnt werden, müssen wir als wehrhafter Staat handeln", so der Abgeordnete. Gelingende Integration dürfe nicht durch die politischen Instrumentalisierung der Religion sabotiert werden.
Wachsendes Problembewusstsein
Der liberale islamische Theologe Mouhanad Khorchide sieht ein wachsendes Problembewusstsein der deutschen Politik. Unlängst habe er an einer Konferenz der Grünenfraktion im Bundestag zum Thema Islamismus teilgenommen, so der Leiter des Seminars für Islamische Theologie an der Uni Münster zur KNA. "Wichtig sind aber konkrete Maßnahmen, um Druck auf diese menschenfeindliche Ideologie auszuüben und Zustände wie in Frankreich zu verhindern, wo Islamisten ganze Stadtviertel kontrollieren." Einrichtungen wie die 2020 ins Leben gerufene Wiener "Dokumentationsstelle Politischer Islam", deren wissenschaftlichen Beirat er leitet, hält Khorchide für ein wirksames Instrument, um Politik und Öffentlichkeit fundierte Ergebnisse zu liefern.
Zumindest die Gründung des im Papier geforderten Expertengremiums beim Bundesinnenministerium hält de Vries noch vor der Bundestagswahl im September für möglich. Etwas Vergleichbares fehlt dort bisher. Auf Anfrage verweist das BMI vor allem auf die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Daneben gebe es "zunehmend auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema politischer Islamismus, etwa durch Förderung von Forschungsprojekten und Beratungsangeboten". Aus Sicht der Unionsabgeordneten reicht das für eine kontinuierliche und zentral gesteuerte Auseinandersetzung mit dem Gesamtphänomen Islamismus nicht aus.