Forderung nach mehr Aufklärung und Preissteigerungen

Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung

Pro Jahr landen in Deutschland rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Studien sprechen vor allem von jüngeren Menschen als Verursacher. Wissenschaftler Thomas Schmidt beschäftigt sich mit der Reduzierung von Lebensmittelabfällen.

Lebensmittelverschwendung (dpa)
Lebensmittelverschwendung / ( dpa )

KNA: Das Thünen Institut gehört zur Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft. Inwiefern ist das Thema Lebensmittelverschwendung aktuell?

Thomas Schmidt (Agrar- und Umweltwissenschaftler vom Braunschweiger Thünen-Institut, der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft): Es gibt einen beunruhigenden Trend beim Thema Lebensmittelverschwendung. Eine Studie zum Umweltbewusstsein hat ergeben, dass vor allem der jüngere Teil der Gesellschaft häufiger Lebensmittel entsorgt als die älteren Menschen. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Jüngeren nicht mehr wissen, was es heißt, wenn Lebensmittel knapp sind. Diese Entwicklung ist sehr alarmierend.

KNA: Was heißt Lebensmittelverschwendung?

Schmidt: Lebensmittel sind alle Produkte, die für die Ernährung des Menschen produziert werden. Davon landen in Deutschland jährlich elf Millionen Tonnen im Müll. 8 Millionen Tonnen davon könnten vermieden werden. Zum Beispiel eine braune Banane, die weggeworfen wird, weil der Besitzer nur gelbe Bananen mag. Nicht vermeidbar ist das, was wir nicht essen oder nicht essen können, wie Kartoffelschalen oder Knochen. Und dann gibt es noch eine Grauzone. Hühnerfüße beispielsweise essen wir aus kulturellen Gründen nicht, exportieren sie aber nach China.

KNA: Warum wird so viel weggeworfen?

Schmidt: Deutschland ist eine Wegwerfgesellschaft. Das trifft auch die Lebensmittel. Dafür sind die Gesellschaft und jeder Einzelne verantwortlich. Denn indem wir Lebensmittel vergeuden, werfen wir nicht nur Essen weg, sondern verschwenden auch unnötig viele Ressourcen und belasten so die Umwelt. Uns muss klar werden, dass die CO2-Belastung nicht nur durch das Autofahren, sondern auch durch Lebensmittelverschwendung ansteigt.

KNA: Wo fallen die meisten Lebensmittelabfälle an?

Schmidt: Der größte Anteil ließe sich in privaten Haushalten vermeiden. Dort fallen 44 Prozent der Abfälle an. Rechnet man die Verpflegung in Restaurants und Kantinen dazu, steigt die Zahl noch einmal um zwölf Prozent. Der Verbraucher ist somit an über der Hälfte der Lebensmittelabfälle direkt beteiligt.

KNA: Weiß er das?

Schmidt: Nicht wirklich. Befragungen ergeben, dass Verbraucher sich schon für die Themen Lebensmittelverschwendung und umweltbewussten Konsum interessieren. Oft haben sie aber kein Bewusstsein dafür, dass sie selbst erheblich dazu beitragen. Es fehlt eine differenzierte Wahrnehmung für das, was eingekauft, weggeworfen oder im Restaurant zurückgegeben wird. Das wird oft nicht als "Abfall" wahrgenommen.

KNA: Was kann der Einzelne dagegen tun?

Schmidt: Wichtig wäre, die Gesellschaft für den Umgang mit Lebensmitteln zu sensibilisieren. Verbraucher könnten einen großen Teil der Abfälle einsparen, wenn sie bewusster und planvoller einkaufen. Die Grundvoraussetzung dafür ist, Lebensmittel wieder mehr wertzuschätzen. Wenn man Fleisch isst, sollte man sich bewusst sein, dass dafür ein Tier geschlachtet wurde und es nicht einfach in den Müll werfen.

KNA: Deutschland will im Rahmen der Agenda für nachhaltige Entwicklung bis zum Jahr 2030 die Hälfte der Lebensmittelabfälle einsparen. Wie kann das gelingen?

Schmidt: Dieser Weg wird sicher nicht einfach. Das Problem ist, dass die Politik wenige Möglichkeiten hat, auf die Verbraucher einzuwirken. Sie kann nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Lande ziehen, sondern muss versuchen, indirekt über Kampagnen und Plattformen Aufklärung zu leisten. Bei Unternehmen ist es einfacher. Sie produzieren gewinnmaximierend und haben daher eine größere Motivation, Verluste zu reduzieren. Eine weitere Möglichkeit wäre, an der Preisschraube zu drehen.

KNA: Das heißt, Lebensmittel teurer machen?

Schmidt: Ja. Lebensmittel sind in Deutschland vergleichsweise günstig. Der Anteil des Haushaltseinkommens, der für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt aktuell bei rund zehn Prozent. Im Vergleich: In den 1950er Jahren waren das noch etwa 50 Prozent. Außerdem könnten teurere Produkte auch zu mehr Wertschätzung und weniger Verschwendung führen. Eine Möglichkeit wäre, den zurzeit abgesenkten Steuersatz für Grundnahrungsmittel von sieben Prozent auf 19 zu erhöhen. Diese Verteuerung sollte sozialverträglich erfolgen, denn auch mit niedrigem Einkommen muss eine gesunde Ernährung möglich sein.

KNA: Apps wie "Foodloop" oder "Too Good To Go" machen den Verbraucher auf Lebensmittel in Supermärkten und Restaurants aufmerksam, die andernfalls entsorgt werden müssten. In öffentlichen Kühlschränken, sogenannten Fair-Teilern, können Privatleute überschüssiges Essen mit anderen teilen. Wie bewerten sie diese Initiativen?

Schmidt: Digital entstehen aktuell tolle Möglichkeiten. Das Problem dabei ist, dass sie bisher einen so geringen Marktanteil haben, dass sie quasi nicht sichtbar und messbar sind. Trotzdem gibt es einige gute Beispiele. Und auch Discounter haben entdeckt, dass sie Zweite-Wahl-Ware durchaus vermarkten können. Unter Labeln wie "Biohelden" oder "Krumme Dinger" bieten sie Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern an, die nicht der optischen Norm entsprechen.

Das Interview führte Anna Fries.


Quelle:
KNA