Hetze gegen Roma nach Corona-Ausbruch in Berlin

"Als ob die Menschen ein Verbrechen begangen hätten"

Seitdem über Corona-Fälle berichtet wurde, sehen sich Roma in einem Berliner Wohnblock rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Der Prokurist der Wohnungsgesellschaft ärgert sich über die Stigmatisierung der Betroffenen.

Wohnhaus an der Harzer Straße in Neukölln, das unter Quarantäne gestellt wurde / © Wolfgang Kumm (dpa)
Wohnhaus an der Harzer Straße in Neukölln, das unter Quarantäne gestellt wurde / © Wolfgang Kumm ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bringen Sie uns kurz auf den Stand der Dinge. Was genau ist in der Harzer Straße los? Steht da nun der ganze Wohnblock unter Quarantäne, wie berichtet wurde? 

Benjamin Marx (Prokurist der katholischen Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft): Die Berichterstattung über die Harzer Straße ist fremdbestimmt. Man hat hier eine ganz andere Wahrnehmung. Die Häuser selber, die Wohnblocks, stehen nicht unter Quarantäne. Unter Quarantäne stehen lediglich die Haushalte, in denen Menschen positiv auf Corona getestet wurden.

DOMRADIO.DE: Was ärgert Sie genau daran, wie die Boulevardpresse über die Corona-Fälle in der Harzer Straße schreibt?

Marx: Die Boulevardpresse hat hier etwas entdeckt und denkt, man kann die Menschen mit dem Thema stigmatisieren. Die Menschen hier sind in Quarantäne. Sie können nicht einmal mehr ihre Fenster öffnen. Denn wenn sie ihre Fenster öffnen, dann werden sie sofort von Journalisten mit Fragen konfrontiert. Es ist extrem schwierig. Es ist so, als ob die Menschen ein Verbrechen begangen hätten. Sie sind schlicht an einem Virus erkrankt, sonst nichts.

Erstaunlich ist auch, dass man gerade darüber spricht. Wir haben hier 57 positive Testergebnisse in 137 Wohnungen. In Berlin gibt es etliche tausend positive Testergebnisse, über die kein Mensch spricht.

DOMRADIO.DE: Das ist das Schüren alter Klischees: Roma gleich schmutzig, gleich krank und daran sind sie auch noch selber schuld?

Marx: Ja, das ist tatsächlich so. Der "Cicero" (politische Magazin, Anm d. Red.) hat ganz aktuell einen Aufmacher über "Roma-Bashing" gemacht. Weil man keinen Müll an den Häusern gefunden hat, wurden sie von einer öffentlichen Grünanlage, an der sich Müll gestapelt hat, fotografiert.

DOMRADIO.DE: Sie haben mit den Betroffenen gesprochen. Wie geht es den Menschen, wie gehen sie mit der Situation um?

Marx: Die Menschen sind total verunsichert, weil auch in der Pressekonferenz des Bezirksamts davon gesprochen wurde, dass man ja auch mit Hundertschaften diese Quarantäne durchsetzen kann. Dinge, die absolut nicht notwendig sind. Die Menschen gehen ganz verantwortlich damit um. Ich war mit dem Bezirksbürgermeister, Martin Hikel, vor Ort gewesen. Da standen alle Bewohner vorbildlich in einem Mindestabstand von zwei Metern zueinander, alle trugen eine Maske. Herr Hikel hat sich für die Kommunikation mit den Menschen ganz formal entschuldigt.

DOMRADIO.DE: Meinen Sie, dass es schon etwas gebracht hat, dass Sie auch Kommunalpolitiker wie den Bezirksbürgermeister getroffen haben? 

Marx: Ja, das hat eine Menge Entspannung gebracht. Es wurde ja auch berichet, dass die Roma angeblich Eier oder Tomaten geworfen haben. Ich kann verstehen, dass man aus Verärgerung so etwas macht. Aber man soll bitte keine Bilder liefern, die andere erwarten.

DOMRADIO.DE: Was zeigt dieser Fall über den Umgang der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit den Roma an sich?

Marx: Ja, das zeigt, dass die Roma einfach nicht dazu gehören. Man bezeichnet sie auch als Community. Und man sagt, die leben ja alle unter sich, und von daher können wir mit unserer Lockerung auch weiter umgehen und im Grunde kann man hier einen Zaun drumherum setzen. So ist auch der ganze Bereich unter Quarantäne gestellt worden, nach dem Motto: Wir stellen lieber den ganzen Block unter Quarantäne ehe wir irgendeine Schule schließen müssen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Benjamin Marx / © Markus Nowak (KNA)
Benjamin Marx / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema