Historiker: Juden und Christen sollen gemeinsam zu Pius XII. forschen

"Die Zeit drängt"

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf schlägt eine gemeinsame Aufarbeitung der Akten zu Papst Pius XII. durch katholische und jüdische Wissenschaftler vor. Beide Seiten wollen wissen, warum der Papst nicht deutlicher gegen den Holocaust protestiert hat.

Papst Pius XII. / © CNS photo (KNA)
Papst Pius XII. / © CNS photo ( KNA )

"Wie groß das Interesse an den Beständen der Jahre von 1939 bis 1945 ist, weiß ich auch aus Gesprächen mit jüdischen Kolleginnen und Kollegen", schreibt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift "Herder Korrespondenz" zu den Akten über Papst Pius XII. "Sie wünschen sich endlich Klarheit darüber, warum der Papst nicht lauter und deutlicher gegen den Holocaust protestiert hat."

Zugang zu Dokumenten ab 2020

Papst Franziskus hatte Anfang März angekündigt, die Dokumente dieses Pontifikats der Vatikanarchive ab dem 2. März 2020, dem 81. Jahrestag der Wahl Eugenio Pacellis zu Papst Pius XII., zugänglich zu machen. Dies wird von der Forschung seit Jahren verlangt, um Aufschluss über die Haltung von Pius XII. zu bekommen.

Katholische und jüdische Forscher sollten "die einschlägigen Quellen gemeinsam aufspüren, sichten, veröffentlichen und kommentieren - auch kontrovers, wenn sie sich nicht einig werden", schlägt Wolf vor. Das Vatikanische Geheimarchiv habe 70 Arbeitsplätze, ab Oktober könne man sich anmelden. "Die Zeit drängt."

Hat er gerettet, statt geredet?

Prägend für das öffentliche Bild von Pius XII. ist das 1963 uraufgeführte Theaterstück "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth. Darin wirft der Schriftsteller dem Papst vor, in der NS-Zeit zu wenig gegen den Mord an den Juden getan zu haben.

Verteidiger des Papstes argumentieren demgegenüber, Pius XII. habe sich die Maxime "Retten statt Reden" zu eigen gemacht und damit beispielsweise 80 Prozent der römischen Juden vor dem Tod bewahrt. Seit Längerem läuft ein Verfahren zur Seligsprechung von Pius XII.

Wie nahm Pius XII. den Islam wahr?

Möglicherweise lasse sich bei der Auswertung der Akten auch etwas zur Wahrnehmung des Islam finden, so Wolf. In der Zeit von Pius XII. sei der Blick des Vatikan über Europa hinausgegangen. Wolf weist auf die Gründung der Muslimbruderschaft 1928 in Ägypten hin, "die für die islamische Welt sehr bedeutend werden sollte. Wir wissen bisher recht wenig darüber. Doch der Heilige Stuhl beobachtete diese Entwicklungen genau."

Bald werde man ein genaueres Bild davon haben, wie er den Islam wahrgenommen habe - "und damit vielleicht auch von den Wurzeln einiger bis heute fortwirkender Missverständnisse".


Quelle:
KNA
Mehr zum Thema