Während die Kirchenleitung zögerte, eine Prüfungskommission nach der anderen aufstellte und Delegaten zur Recherche entsandte, hat ein Teil des Kirchenvolkes längst mit den Füßen abgestimmt. Für sie ist, was sich seit 1981 in einem Nest in der Herzegowina 20 Kilometer westlich von Mostar abspielt, Grund genug, dort hinzupilgern. Und so gehört Medjugorje heute zu den erfolgreichsten Marienwallfahrtsorten der Welt.
Seit Juni 1981 sollen sich dort angeblich täglich Marienerscheinungen abspielen, mehr als 40.000 insgesamt. Mal nur für einen der sechs Seher, mal für mehrere oder für alle gleichzeitig. Es ist das übliche Erscheinungsschema, wie man es seit dem 19. Jahrhundert aus Lourdes kennt, aus La Salette, Marpingen, Fatima oder Banneux: arme Gegend, soziale Krise, junge Hirtenkinder. Allerdings keine Botschaften – zunächst.
Der Papst steckt im Dilemma
Am Anfang blieb die Muttergottes stumm, erschien einfach nur und verschwand wieder. Das machte den Franziskaner Jozo Zovko, damals Ortspfarrer von Medjugorje, stutzig. Die Seherkinder fragte er immer wieder, welchen Sinn solche Erscheinungen haben sollten, wenn Maria nichts zu sagen habe. Ob es denn keine Aufträge gebe: Kapellenbau, Friedensgebete – irgendwas?
Nein, davon habe die "Gospa" (Herrin) nichts gesagt. Immerhin: Von ihren Tausenden Besuchen bis heute überliefern die Seher inzwischen auch eher schlichte Appelle wie "öffnet euer Herz für Gott" oder "steht für den Frieden ein".
Papst Franziskus steckt in einem Dilemma. Nachdem die bislang größte Medjugorje-Untersuchungskommission schon 2014 ihren Bericht vorlegte und zuletzt auch sein persönlicher Medjugorje-Delegat Erzbischof Henryk Hoser die Mission in dem bosnischen Wallfahrtsort beendet hat, liegt der Ball nun endgültig im Feld des Papstes.
Auf dem Rückflug vom 100. Jahrestag der Marienerscheinungen im portugiesischen Fatima 2017 nannte er den Medjugorje-Kommissionsbericht "sehr gut". Zugleich wiederholte er seine ironische Einschätzung, er sehe Maria nicht als "Leiterin eines Telegrafenamtes, das jeden Tag eine Nachricht zu einer bestimmten Stunde versendet".
Findet der Papst die salomonische Hintertür?
Seit Jahrzehnten hat der Vatikan zu Medjugorje gezögert – und zugleich eher größere als kleinere Zweifel durchblicken lassen, was das Verhalten der Seher, der Geschäftsleute und auch einiger Franziskaner vor Ort angeht. Nun steht Franziskus vor der Wahl, mit einem Segen für die dortigen Vorgänge eine skeptische Mehrheit unter den Katholiken zu brüskieren – oder aber mit einer Ablehnung die Millionenherde jener Frommen, die in Maria und ihren Erscheinungen einen letzten Rettungsanker der Menschheit sehen.
Ausgerechnet der Papst müsste ihnen praktisch sagen: Sorry, ihr seid einer Scharlatanerie aufgesessen. Diese Aporie ruft förmlich nach einer salomonischen Hintertür. Und die bietet die Kommission in ihrem Abschlussbericht auch an. Sie schlägt vor, zwischen zwei Phasen zu unterscheiden: einer ersten, sehr frühen Phase der Erscheinungen. Damals, so könnte man argumentieren, sei bereits die Grundlage für den Pilgeransturm und die vielen geistlichen Berufungen dort gelegt worden.
Alle Übel, die seitdem geschehen sind – Widersprüche, Machtmissbräuche, Beutelschneidereien, Absurditäten und Selbstdarstellungen – könnten in eine "zweite Phase" verpackt und so vergleichsweise schadlos verworfen werden.
Wunderprediger in Medjugorje
Und vor allem: Der Vatikan sollte die disziplinarische Hoheit über den Wallfahrtsort übernehmen, so die Empfehlung. Zwar standen die zuständigen Ortsbischöfe von Mostar-Duvno dem Phänomen Medjugorje stets distanziert gegenüber – inklusive Amtsinhaber Ratko Peric, der am 2. Februar 75 Jahre alt wird. Doch ist es ihnen bis heute nicht gelungen, sich entscheidend gegen die Franziskaner durchzusetzen, die seit jeher die Seelsorge in dem Pilgerort innehaben.
Womöglich liegt ein Heil in der Einsetzung eines sogenannten Apostolischen Visitators, einer Art päpstlichem Aufseher. So könnten künftig auch Gemeindepriester mit ihren Gläubigen nach Medjugorje fahren und sie auch geistlich begleiten. Bislang öffnete das Pfarrerbegleitverbot nur selbsternannten Wunderpredigern die Tür.