Der arglose Kirchenbesichtiger in Rom wird wohl im ersten Moment gar keinen Unterschied bemerken: Das Deckengewölbe ist ein schimmerndes, goldenes Mosaik. Die kleinen Rundbögen an beiden Seiten des Hauptschiffs sind reich verziert. Über dem Altarraum segnet Christus Pantokrator den Betrachter. Doch die Christuskirche im römischen Stadtteil Ludovisi ist ein Unikum. Am Sonntag wird das hundertjährige Bestehen der einzigen evangelisch-lutherische Kirche in der 3-Millionen-Stadt gefeiert.
Friedrich Wilhelm III. schickte den ersten Geistlichen
Die überwiegend deutschsprachige Gemeinde mit ihren heute rund 500 Mitgliedern ist indes doppelt so alt wie der sandfarbene Sakralbau. 1817 fand in der Wohnung des preußischen Gesandtschaftssekretärs nahe dem Kapitol der erste evangelische Gottesdienst in Rom statt. Anlass war die 300-Jahr-Feier der Reformation. Der Wunsch des Sekretärs, seine Enkel mögen in 100 Jahren die Reformation in einer eigenen Kirche feiern, erfüllte sich kriegsbedingt nicht. Sein Gottesdienst allerdings legte den Grundstein für die bis heute bestehende Gemeinde.
Was noch fehlte, war ein Pfarrer. 1819 schickte Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. den ersten evangelischen Geistlichen nach Rom - auch um der "dortigen Bekehrungssucht, die den nach Rom kommenden Ausländern gefährlich ist", entgegenzuwirken. Katholische Geistliche hatten Briefen zufolge systematisch versucht, besonders die deutschsprachigen Protestanten in Rom zu einem Übertritt in die katholische Kirche zu bewegen.
Mit dem neuen Pfarrer wuchs die Gemeinde und erhielt einen festen Platz in der Kapelle der Preußischen Botschaft in Rom. Knapp 100 Jahre lang feierte sie dort ihre Gottesdienste. 1911 wurde der Grundstein für die heutige Christuskirche an der Via Toscana gelegt. Finanziert von Spenden aus ganz Deutschland, wurde sie nach kriegsbedingten Bauverzögerungen am 5. November 1922 eingeweiht.
Gutes Verhältnis zum Vatikan
Dass diesen Sonntag das Jubiläum mit einem großen Festgottesdienst begangen wird und nicht im November, hat einen einfachen Grund: Es ist das Fest "Peter und Paul", die beiden Stadtpatrone Roms. Im Übrigen die einzigen Figuren, die neben Jesus ihren Platz an der schlichten Fassade gefunden haben; ein Zeichen der Zugehörigkeit zur Ewigen Stadt.
Die Zeiten schwieriger Verhältnisse zwischen Katholiken und Lutheranern sind lange vergessen. Die Christuskirche ist die erste evangelische Kirche überhaupt, die von einem Papst nach der
Reformation besucht wurde: Johannes Paul II. machte 1983 den Anfang, Benedikt XVI. und Franziskus folgten.
Der Kontakt zur vatikanischen Ökumenebehörde sei eng, betont Pater Augustinus Sander. Er ist dort auch für den Dialog mit den Lutheranern zuständig. Die Christuskirche sei zugleich deutsch, lutherisch und universell eingebunden.
Auch wenn die Lutheraner in Rom zahlenmäßig stark in der Minderheit seien, so seien sie ein wichtiges ökumenisches Gegenüber. Ihre Repräsentanten könnten als Multiplikatoren das ökumenische Klima positiv beeinflussen.
"Es kommt nicht allein auf Zahlen an"
Aber nicht nur die Ökumene auf professioneller Ebene funktioniert. Besonders schön sei, dass sie mittlerweile auf der Pfarreiebene angekommen sei, erzählt der Pfarrer der Christuskirche, Michael Jonas.
Der 45-Jährige könnte mit seinem dunklen Bart auch als Italiener durchgehen. Vor zehn, zwanzig Jahren habe es Ökumene an der Basis noch nicht wahrnehmbar gegeben und genau das berge Vorteile: "Es ist neu, es ist spannend, und hat den Charme des Entdeckens", erklärt Jonas. "In Deutschland müssen wir aufpassen, dass wir nicht müde und gelangweilt werden, weil es schon so lange läuft."
In gewisser Weise spannend und immer wieder neu ist auch das Leben in der römischen Gemeinde. Rund die Hälfte ihrer Mitglieder sind Diplomaten und Geschäftsleute aus dem deutschsprachigen Raum. Sie bleiben meist nur einige wenige Jahre in der italienischen Hauptstadt, ziehen dann weiter oder wieder zurück. Bei nur 500 Menschen insgesamt sei das eine große Herausforderung, so Pfarrer Jonas, der die Pfarrei nur für eine begrenzte Zeit leitet.
Die Zukunft werde sein, die Menschen schnell in die Gemeinde zu integrieren, Heimat anzubieten und spürbar zu machen. Zugleich müsse auch als Seelsorger in größeren Kontexten gedacht werden: Menschen seien nicht nur Gemeindemitglieder, sondern lebten ihr Christsein und ihre Verantwortung in der ganzen Welt, erklärt Jonas. "Dass es nicht allein auf Zahlen ankommt, ist eine sehr schöne Entdeckung, die mir auch Mut für die Kirche in Deutschland macht. In Rom habe ich gelernt, dass man auch in kleinen Gruppen das Kirche-Sein toll leben kann."
Feier mit Kardinal Kurt Koch
Dazu gehört auch das vielfältige Engagement der Gemeinde. Der Adventsbasar ist eine Institution unter deutschsprachigen Römern - auch Katholiken. Seit Jahrzehnten organisiert die gebürtige Schweizerin Gertrud Wiedmer nicht nur diesen mit, sondern auch soziale Projekte der Pfarrei. Für die 69-Jährige sei die Gemeinde auch ein Stück Heimat, nicht nur der Sprache wegen. Vor 40 Jahren kam sie nach Rom, heiratete und blieb. Heute hilft sie beispielsweise Migrantinnen mit Kindern vom afrikanischen Kontinent dabei, ihr neues Leben zu meistern. Ebenfalls unterstützt sie das Team beim Armenfrühstück der Pfarrei und stößt nachhaltige Projekte an.
Finanziert werden Engagement, Gemeinde und Pfarrer dabei nicht aus Deutschland, sondern ausschließlich mit italienischen Mitteln. Die Lutheraner erhalten, wie die katholische Kirche auch, einen Anteil aus Steuermitteln, dem sogenannten "8 per mille". Hinzu kommen flexible Beiträge der Gemeindemitglieder.
Die Gemeinde sei eine Mischung aus Heimat und weiter Welt, sagt Pfarrer Jonas. Das wird sich auch am Sonntag zeigen, wenn das 100-jährige Bestehen der Christuskirche gefeiert wird: Mit Peter und Paul aus Rom, einer Bach-Kantante aus Deutschland, dem vatikanischen "Ökumene-Minister" Kardinal Kurt Koch und der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus.