30 Jahre gesamtorthodoxe Zusammenarbeit in Deutschland

Weg der Einheit

Die Zusammenarbeit unter den orthodoxen Diözesen ist nicht einfach. Doch gibt es seit Jahrzehnten gemeinsame Institutionen. Und heute eine Bischofskonferenz. Unser Autor war ihr Generalsekretär und schaut auf die Geschichte zurück.

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Gastbeitrag von Nikolaj Thon
Orthodoxe Kirche  / © Sailorr (shutterstock)

Am Anfang der Zusammenarbeit der orthodoxen Diözesen in Deutschland stand die Einsicht, dass es ohne sie nicht geht. Dazu beigetragen hatte eine Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing im Mai 1993, zu der die Evangelische Kirche in Deutschland gemeinsam mit der Griechisch-Orthodoxen Metropolie eingeladen hatte. 

Dazu erschienen immerhin sechs Bischöfe, etwa 50 Geistliche und rund 25 Laien aus verschiedenen orthodoxen Bistümern Deutschlands sowie hohe Beamte der Bundesregierung und der Landesregierungen. Trotz so mancher auch damals existierender innerorthodoxer Probleme war man sich einig, dass eine gemeinsame Vertretung der Orthodoxie gegenüber den anderen Konfessionen und den staatlichen Stellen überfällig war. 

Zudem sollte die "Kommission der Orthodoxen Kirchen in Deutschland" (KOKiD) die Zusammenarbeit in der Jugend- und Sozialarbeit, dem Religionsunterricht und der Medienarbeit koordinieren.

Auch die Russische Auslandskirche machte mit

Relativ bescheiden entschied man sich für die Gründung einer "Kommission". Das sollte auch zu hohen Erwartungen vorbeugen. Ursprüngliche Intention war auch, dass die orientalisch-orthodoxen Kirchen (einschließlich der von vielen als "nestorianisch" angesehenen "Kirche des Ostens") vertreten sein sollten. Hiervon nahm man Abstand.

Nach der im April 1994 angenommene Satzung sollte der Vorsitzende der Kommission ein Angehöriger des Ökumenischen Patriarchats - und damit der damals größten orthodoxen Diözese in Deutschland - sein. Die Wahl fiel auf den Inspirator der Zusammenarbeit, den Münsteraner orthodoxen Theologen Anastasios Kallis. 

Bei der offiziellen Gründung im Mai 1994 gehörten der KOKiD Vertreter von acht Diözesen an, die sieben autokephalen Kirchen angehörten: aus dem Patriarchat Konstantinopel der Griechisch-Orthodoxen Metropolie und dem Erzbistum der russischen orthodoxen Gemeinden in Westeuropa, sodann der Bistümer des Patriarchats Antiochien (Exarchat in Westeuropa), des Moskauer Patriarchats (Berliner Diözese), der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland (Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland), der Serbischen (Diözese für Mitteleuropa), der Rumänischen (Metropolie für Deutschland und Zentraleuropa) und der Bulgarischen Kirche (Diözese von Westeuropa).

Bemerkenswert ist, dass auch die Russische Auslandskirche, die - damals - im Prinzip von den meisten der in der KOKiD vertretenen Bistümern nicht als kanonisch angesehen wurde, zuerst konstruktiv als Vollmitglied mitarbeitete. Die Aufnahme einer anderen, damals als unkanonisch eingestuften Diözese, nämlich der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche in der Diaspora" erfolgte hingegen erst am 13. September 1997, nachdem diese durch Aufnahme in das Patriarchat von Konstantinopel am 13. März 1995 ihren kanonischen Status erhalten hatte.

Konsens über gemeinsamen orthodoxen Religionsunterricht 

Das so neu entstandene Organ der Zusammenarbeit, das "der inneren Einheit der orthodoxen Kirchen entspricht", erhielt als höchstes Organ eine Delegiertenversammlung, wobei die Diözesanbischöfe allerdings ein Vetorecht gegen alle - zumindest mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu fassenden - Beschlüsse erhielten (von dem übrigens nie einer der Oberhirten Gebrauch gemacht hat!). In rascher Folge wurden nun konsensfähige Entwürfe zum gemeinsamen orthodoxen Religionsunterricht und zur gemeinsamen Vertretung in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) sowie zu einem Presseorgan "Orthodoxie aktuell" erarbeitet.

Eine erste Krise musste die KOKiD allerdings schon 1995 überwinden: Die Vollmitgliedschaft der Russischen Auslandskirche (ROKA) wurde für einige Mitgliedskirchen zum Problem, als der Heilige Synod der ROKA vom 1994 nicht nur scharfe Kritik am Moskauer Patriarchat äußerte, sondern auch gegenüber Konstantinopel, das es des "Ökumenismus" und "Modernismus" anklagte und zudem die sakramentale Gemeinschaft mit Gruppen der Altkalendarier in Griechenland, Rumänien und Bulgarien
aufnahm, was der Vorsitzende der KOKiD als "einen groben Verstoß gegen das Gemeinschaftsverständnis der Kommission, der ihre Identität und Substanz tangiert", verurteilte.

Erzbischof Mark betonte zwar in einem Brief an Kallis von Seiten der ROKA sei man "bemüht, in Deutschland zur Schaffung von Harmonie und gegenseitiger Achtung zwischen den Orthodoxen Kirchen beizutragen". Doch nach intensiver Diskussion stimmte die Mehrheit dem Antrag zu, dass Kriterium der Mitgliedschaft die Kanonizität sein sollte. Damit schied die ROKA für über ein Jahrzehnt aus der aktiven Mitarbeit in der KOKiD aus. Erst als 2007 das Moskauer Patriarchat und die ROKA den "Akt der kanonischen Gemeinschaft" unterzeichneten, konnte diese erste offene Wunde heilen.

Gründung einer Orthodoxen Bischofskonferenz 

Um die Einheit der Orthodoxie stärker zu betonen, benannte sich das Gremium 1998 in "Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland - Verband der Diözesen" um. Auch wenn nur ein Buchstabe gestrichen wurde, verdeutlichte der Wechsel vom Plural zum Singular die innere Einheit der Diözesen, die zusammen die Eine Orthodoxe Kirche in Deutschland verkörpern. Das wird auch deutlich in gemeinsamen Stellungnahmen zu aktuellen Fragen, besonders alljährlich zum Sonntag der Orthodoxie mit einem gemeinsamen Hirtenbrief. Einmal jährlich wird im ZDF ein orthodoxer Gottesdienst live übertragen.

Besonders intensiv war die Arbeit für den gemeinsamen orthodoxen Religionsunterricht, damit dieser als ordentliches Lehrfach    an staatlichen Schulen Kindern aller Nationen offensteht, was inzwischen in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zumindest rechtlich gelungen ist, wenngleich die erreichte Schülerzahl immer noch klein ist.

Die Gründungsphase fand ihren Abschluss, als ihr Vorsitzender Kallis nicht mehr zur Verfügung stand. Damit stand nicht nur ein Personalwechsel an; sondern auch die Frage, ob die KOKiD als ein Verband der Diözesen nicht stärker ein bischöfliches Gesicht tragen sollte. Es müsse klarer werden, dass es ja keine Orthodoxe Kirche ohne die Bischöfe gebe, wurde gefordert. Dies zu verdeutlichen, beschloss 2006 die Delegiertenversammlung in Berlin eine vollständige Umgestaltung des Vorstandes: Metropolit Augoustinos wurde zum neuen Vorsitzenden gewählt und als seine beiden Stellvertreter Metropolit Serafim von der Rumänischen und Erzbischof Longin von der Russischen Kirche.

Im Februar 2010 kam es zur Gründung der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD). Damit begann eine neue Phase der Zusammenarbeit, eine, für die die KOKiD das Fundament gelegt hatte, deren Aufgaben und Aktivitäten die OBKD weitestgehend fortsetzte.

Die OBKD unterscheidet sich satzungsgemäß allerdings in einem wichtigen Punkt von der KOKiD: Während in dieser der  Vorstand (mit der oben genannten gewissen Ausnahme des Vorsitzenden) frei gewählt werden konnte, wird er jetzt nach den Diptychen bestimmt und ist Vorsitzender von Amts wegen immer der ranghöchste Hierarch des Ökumenischen Patriarchats im Lande (de facto also der griechisch-orthodoxe Metropolit).

Mehr als drei Millionen orthodoxe Gläubige

Und wie sieht es heute aus? In den letzten 30 Jahren hat sich die Orthodoxie in Deutschland deutlich verändert. Ging man bei der Gründung der KOKiD von knapp einer Million Gläubigen aus, sind es heute deutlich über drei Millionen (bzw. mit Einrechnung der ukrainischen Flüchtlinge vier). Fast alle von ihnen haben hier eine neue Heimat gefunden, zumal Griechen, Rumänen und Bulgaren aus EU-Mitgliedsstaaten kommen.

Doch das Anwachsen der Gläubigenzahl bedeutet zunächst eine stärkere emotionale Bindung an die Herkunftsländer. So haben fast alle  Bisrtümer inzwischen eine intensive und erfolgreiche eigene Jugendarbeit, aber es gibt kaum eine diözesanübergreifende panorthodoxe Jugendarbeit.

Nicht nur die Zahl der Kirchenmitglieder ist um ein Mehrfaches gestiegen, auch die Zahl der Bistümer, sei es durch Neugründungen oder Aufteilungen beziehungsweise Ausgliederungen aus den ersten Auslandsbistümern. Ein markantes Beispiel ist die serbische Diözese, die bei ihrer Gründung unter Bischof Lavrentije nicht nur für ganz Mittel- und Westeuropa, sondern auch noch Australien zuständig war, heute aber - als Metropolie von Düsselsdorf und ganz Deutschland nur die Bundesrepublik umfasst.

Eine neue Krise bei der Zusammenarbeit löste ab Herbst 2018 die ukrainische Kirchenfrage aus, als das Moskauer Patriarchat  seinen Klerikern verbot, in Organisationen weiter mitzuarbeiten, die von einem Vorsitzenden aus dem Patriarchat Konstantinopel geleitet werden, was bedeutet, dass auch in der OBKD die russischen Bischöfe (und der damalige Generalsekretär) nicht mehr tätig sein konnten. 

Die Vollversammlungen der Bischofskonferenz finden zwar weiterhin zweimal jährlich statt, doch ohne (zumindest formale) russische Beteiligung finden die dort gefassten Beschlüsse nicht mehr den Weg  zu allen Bistümern, zumal, wenn auch aus anderen Gründen, die bulgarische und die georgische Diözese seit Jahren nahezu keinen Anteil mehr an der Arbeit der OBKD nehmen.

Herausfordernde Integration von ukrainischen Flüchtlingen

Ein weiteres diffiziles Problem stellen derzeit die ukrainischen Flüchtlinge dar. Ein Teil von ihnen hat den Weg in die westeuropäische ukrainische Diözese des Ökumenischen Patriarchats und damit auch in die gesamtorthodoxe Struktur der OBKD gefunden, andere sind in die Gemeinden der beiden russischen Bistümer integriert. 

Daneben gibt es aber auch inzwischen an die 30 eigenen neuen Pfarreien, die der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (OKU) unter Metropolit Onufrij unterstehen. Diese grenzen sich aus nachvollziehbaren Gründen sowohl vom Moskauer Patriarchat, von dem sie sich 2022 losgesagt haben, wie vom Ökumenischen ab, das 2019 ihrer Rivalin, der "Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU)" die Autokephalie zusprach. 

Auch die Integration der Makedonischen Orthodoxen Kirche / Erzbistum Ohrid, die 2023 von der Serbischen Kirche die Autokephalie erhielt, deren gesamtorthodoxer Status ebenfalls hinterfragt wird, zumal ihr nach Auffassung von Konstantinopel keine eigenständigen Auslandssstrukturen zustehen.

1998 schrieb Erzbischof Longin in "Orthodoxie in Begegnung und Dialog", einer Festgabe für Metropolit Augoustinos, vorausschauend: "Der bisher zurückgelegte Weg war nicht immer leicht, der kommende wird es nicht weniger sein, denn das prinzipiell von allen bejahte gemeinsame Handeln macht uns zwar stärker, es kann aber manchmal auch unbequem sein."

Orthodoxe Kirche

Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen ("autokephalen") Landeskirchen. "Orthodox" ist griechisch und bedeutet "rechtgläubig". Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (84).

Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )
Quelle:
KNA